21. April 1856 Steinmetze erkämpfen ersten Achtstundentag
Schon im alten Ägypten streikten die Steinmetze, weil der Lohn für ihre Knochenarbeit ausgeblieben war. Ihre Nachfahren am Bau in Australien erkämpften die weltweit erste Achtstundentag. Am 21. April 1856 legten sie in Melbourne Hammer und Meißel nieder.
21. April
Mittwoch, 21. April 2010
Autor: Thomas Grasberger
Redaktion: Thomas Morawetz
Wie ist die Welt beschaffen? Das ist bekanntlich keine einfache Frage. Und jeder hat seine eigene Antwort darauf. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie die radikalen Konstruktivisten, die behaupten, eine objektive Realität gebe es gar nicht. Zumindest sei sie nicht erkennbar. Vielmehr konstruiere sich jeder Mensch seine Wirklichkeit selbst - im eigenen Kopf. Und nur dort. Nun gut, so weit wollen wir - wie gesagt - nicht gehen. Und doch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit stark bestimmt wird von dem, was wir jeden Tag vor Augen haben. Computerbildschirme zum Beispiel. Oder Aktenordner - mit Steuerbescheiden oder Formblättern zu Dienstunfalluntersuchungen nach § 45 des Beamtenversorgungsgesetzes. Ja, so was prägt! Mitunter auch fürs Leben. Zumindest, wenn man solche Dinge acht Stunden am Tag vor Augen hat. "Deformation professionelle" nennt der Franzose solche berufsbedingten Perspektivverengungen, die unser Sozialverhalten prägen.
Wie mag es da jemandem gehen, der Tag für Tag harten Stein behauen muss? Granit etwa. Massigen, grob-kristallinen, harten Granit! Mit Hammer und Meißel. Auch so was färbt ab. Von den Steinhauern im Bayerischen Wald etwa erzählt man sich heute noch, dass sie harte Burschen waren. Wild mitunter, anarchisch und rauflustig. Trinkfreudig sowieso, aber auch stolz und selbstbewusst und unabhängig. Nicht zuletzt in politischen Fragen. Hart wie Granit eben! Denn das Material prägt den Charakter. Der erste überlieferte Arbeitskampf der Weltgeschichte fand übrigens im Alten Ägypten statt. Vor mehr als 3.000 Jahren. Natürlich waren es Steinhauer, die streikten, weil sie achtzehn Tage lang keinen Lohn für den Bau von Königsgräbern bekommen hatten.
Angesichts solch langer Traditionen kann es nicht verwundern, dass der weltweit erste Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich ausgerechnet von Steinmetzen und Gebäudearbeitern erkämpft wurde. Am 21. April 1856 legten sie ihre Arbeit am Universitätsneubau im australischen Melbourne nieder. Sie marschierten demonstrierend zum Parlament und wiederholten die alte Forderung der Arbeiterbewegung, die der Sozialreformer Robert Owen einst in dem Satz zusammenfasste. "Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung." Dreimal die Acht also! Die australischen Steinhauer waren erfolgreich und setzten sich durch mit ihrer Forderung. Ein Meilenstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung, ein weltweites Vorbild und zugleich ein Symbol für die Kraft der Solidarität!
Die kannten auch die wilden Steinhauer aus dem Bayerischen Wald. Auch sie haben Streikgeschichte geschrieben, Ende der 1980er Jahre. Als hierzulande die Nachfrage nach Bayerwald-Granit zurückging, weil aus Indien und China zu billigsten Preisen importiert wurde, kürzten die Arbeitgeber die Akkordzahlungen um 20 Prozent. Die Hauzenberger Steinhauer wehrten sich. Mehr als zehn Monate lang legten sie ihre Bohrer und Meißel nieder. Es war der längste Arbeitskampf in der Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung! Am Ende aber haben die Steinhauer doch auf Granit gebissen. Gegen Mechanisierung und Globalisierung hatten sie keine Chance. Vor zwei Generationen gab es noch mehr als 10.000 Steinhauer im Bayerischen Wald, heute sind sie praktisch ausgestorben. Den Achtstundentag, den die australischen Kollegen einst erkämpft haben, verbringt man hierzulande jedenfalls nicht mehr im Steinbruch. Aber wo dann? Vor Bildschirmen oder hinter Aktenordnern? Vielleicht ist sie ja auch deshalb nicht mehr ganz so kompakt und schlagkräftig, unsere Gewerkschaftsbewegung.