11. August 1999 Totale Sonnenfinsternis in Mitteleuropa
Auf diesen Tag hatte sich Mitteleuropa akribisch vorbereitet. Sonnenfinsternisbrillen, Fotoequipment, Routenplan, um den besten Aussichtspunkt zu finden – die Sofi wollte man nicht verpassen! Autor: Hellmuth Nordwig
11. August
Dienstag, 11. August 2020
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Auf nach Stuttgart, in die "Sofi-Hauptstadt"! Sofi statt Sonnenfinsternis, das hat jeder
gesagt, der dabei war am 11. August 1999. Auch schwierigere Vokabeln haben damals alle benutzt: Kernschatten zum Beispiel, also das Gebiet auf der Erde, in dem der Mond die Sonne vollständig verdeckt. Stuttgart lag im Zentrum dieses gut 100 Kilometer breiten Streifens und hatte einfach das beste Marketing. Denn genauso gut hätten sich Reims, Saarbrücken oder Salzburg zu "Sofi-Hauptstädten" ernennen können. Oder München, wo der FC Bayern jenen Tag unter das Motto stellte: "Mia Sun Mia" - "Sun" so geschrieben wie das englische Wort für Sonne.
Mia Sun Mia
Aber wer etwas auf sich hielt, für den musste es schon Stuttgart sein. Allerdings wollten so viele mit dem Zug dorthin, dass die Polizei an einigen Stationen Menschen zurückweisen musste. Das Auto zu benutzen war auch keine gute Idee, es staute sich auf einigen hundert Kilometern Länge. Den Andrang kann man verstehen. So eine totale Sonnenfinsternis erlebt ja längst nicht jeder. In Süddeutschland war die letzte im Jahr 1706, die nächste wird erst 2151 zu sehen sein. Da lohnt es sich schon, die Sofi-Schutzbrille einzupacken - wenn man noch eine bekommen hat - und das Ländle in vollen Zügen zu ... ertragen.
Und dann der Blick nach oben…
Wer sich etwas mehr leisten konnte als ein Baden-Württemberg-Ticket, hat vielleicht von einem der Charterschiffe auf dem Schwarzen Meer aus die schwarze Sonne bewundert. Oder in London die Concorde bestiegen, die damals noch flog. Und zwar nach Westen, in die gleiche Richtung wie der Mondschatten, der über die Erdoberfläche raste. Wer dafür 2000 Euro hinblättern wollte, hatte dank Überschallgeschwindigkeit immerhin sechs Minuten lang Finsternis. Am Boden dauerte das Erlebnis nicht einmal halb so lang.
Gänzlich kostenlos war der Liegestuhl im Garten irgendwo in Oberbayern. Die Sonne machte es dort richtig spannend, weil es an dem Tag eigentlich bewölkt war und sie sich nur selten zeigte. Jedes Mal, wenn sie es tat, war sie an diesem späten Vormittag ein Stückchen mehr vom Mond überschattet. Unmerklich wurde es immer düsterer, schließlich dämmerte es nur noch. Es war kurz nach 12 Uhr 38, als die Blüten sich schlossen und die Vögel verstummten. Ruhe kehrte ein, und plötzlich war die Sonne zwischen den Wolken wieder zu sehen - nein, eben nicht die Sonne, sondern ein schwarzer Mond und um ihn herum ein heller Flammenkranz, die Corona. Auch dieses Wort ging damals allen locker über die Zunge, und niemand dachte sich etwas dabei. Kalt war es geworden, und sogar ein paar Sterne konnte man erblicken. Totenstille, zwei Minuten 45 Sekunden lang, als wäre die Natur selbst ehrfürchtig angesichts dieses seltenen Schauspiels. Alle hielten den Atem an. Und dann - die Vögel hatten noch nicht wieder begonnen zu singen - warf einer der Nachbarn seinen Rasenmäher an.
In der "Sofi-Hauptstadt" Stuttgart hatten Tausende von Schaulustigen weniger Glück. Pünktlich zur Finsternis begann ein heftiger Wolkenbruch. Dunkel wurde es natürlich trotzdem - und einige Stuttgarter zündeten wenigstens ein Feuerwerk, an diesem denkwürdigen schwarzen Mittag im August.