12. Februar 1802 William Turner wird Mitglied der Royal Academy of Arts
"Maßlos" und "übertrieben in Phantasie und Kolorit" fanden die meisten Zeitgenossen die Gemälde William Turners. Heute gilt er als Schlüsselfigur für den Übergang der Malerei zur historischen Moderne. Autorin: Prisca Straub
12. Februar
Dienstag, 12. Februar 2019
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Was soll das sein?", flüstern die Galerie-Besucher hinter vorgehaltener Hand. Ein prachtvolles Seestück hatte William Turner angekündigt. Doch die großformatige Leinwand sieht aus, als wäre dem Maler die Farbpalette explodiert - ein ineinander verwirbeltes Nichts aus Gelb und Blau. Nicht mal ein Horizont ist erkennbar. Das grelle Geschmiere sähe aus wie Hummersalat, spötteln die Kritiker. Die Feinsinnigeren unter ihnen machen sich Sorgen um "das Augenlicht des Künstlers".
Atmosphere is his style
Völlig zu Unrecht. Joseph Mallord William Turner ist wohlauf und schert sich einen Dreck - weder um Häme, noch um Mitgefühl. "Atmosphere is my style!", verkündet er selbstbewusst - und er kann es sich leisten, den Kopf hoch zu tragen. Schon am 12. Februar 1802 hatte die Royal Academy of Arts den damals erst 26-Jährigen als Vollmitglied akzeptiert - ein elitärer Männerclub, der mit seinen Jahresausstellungen in Englands nobler Kunstszene den Ton angibt. Turner, dessen erste Bilder die Perücken-Werkstatt seines Vaters verschönerten, ist mit nicht mal 30 bereits so erfolgreich, dass er an sein Londoner Häuschen eine schicke Verkaufs-Galerie anbauen lassen kann. Ein Unternehmer in eigener Sache, unerhört! Und nicht nur das: Wenn dem Künstler danach ist, empfängt er seine Gäste in einem extra abgedunkelten Raum. Um deren Augen "einzustimmen" - auf die Farbexplosion auf seinen Leinwänden.
Er ist ein schwieriger, mitunter aufbrausender Typ, ohne Frage. Turner verbringt viel Zeit am Themseufer, an der Meeresküste - und fängt die Reflexe von Sonne, Gischt, Nebel, Dunst und Rauch nicht nur mit dem Pinsel ein, sondern auch mit Spachtel, Lappen und den Fingerspitzen. Er ritzt hauchdünne Farbschichten mit dem Paletten-Messer, tupft, wischt und verreibt Chromgelb, Bleiweiß und mitunter sogar Spucke auf der Leinwand - so lange, bis die Luft wie Wasser glänzt und das Meer wie Feuer leuchtet.
Die englische Gesellschaft verzeiht ihm einiges: seine Ungehobeltheit, seine schlechten Manieren, das vernachlässigte Äußere. Dafür nimmt sie Turner ausgiebig aufs Korn - den ungeschliffenen Akzent, die ungelenken Vorlesungen über Perspektive, die an der Royal Academy für Gähnanfälle sorgen. Karikaturen machen die Runde, auf denen ein kleiner feister Mann mit übergroßem Zylinder ordinäre Küchenzutaten auf seiner Palette mischt: Schlagsahne, Schokolade, Johannisbeergelee. Doch aller Häme zum Trotz: Am Ende seines Lebens hat William Turner sämtlichen Konkurrenten die Show gestohlen: Er ist der berühmteste Maler Englands.
Nur auf dem Kontinent - da weiß man nach wie vor nicht viel mit seinen Lichtstimmungen anzufangen. Turner ist der Maler, der sich im "Nebel verirrt" hat. Ein Schmierfink und Kleckser. Seine Bilder? - eine "Zufallsaktion mit verbundenen Augen", bei der egal sei, wie herum man sie aufhänge.
Es wird es Jahrzehnte dauern, bis William Turner zum Vorläufer einer ungegenständlich abstrakten Kunst werden wird. Ein Genie der Moderne! Aber auch das wäre dem grantigen Mann mit dem schwarzen Zylinder wohl herzlich schnuppe gewesen …