Das Thema Das romantische Buch
Das Medium, in dem die romantischen Konzepte der progressiven Universalpoesie, des Fragmentarischen, des Entgrenzens und des Aufbruchs ins schöpferische Ich am deutlichsten zum Ausdruck kommen, ist sicherlich der Roman. Anders als die Klassiker betrachten die Romantiker den Roman jedoch nicht als abgeschlossene, gesonderte Gattung, sondern als "romantisches Buch", in dem alle Gattungen, alle Formen, alle Stile, alle Bewusstseinsäußerungen sich vermengen.
Da er "als unendliche, offene Summenbildung […] prinzipiell alle diskursiven und poetischen Formen integrieren kann" (Kremer), kommt er, wie keine andere Textsorte sonst, der Unendlichkeit des Seins und Erkennens am nächsten. Für Schelling ist dieses Verwischen und Auflösen der Gattungsgrenzen die Grundbedingung des Romanhaften schlechthin: "Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und anderen Formen", schreibt er in seinem Gespräch über die Poesie.
Das "romantische Buch" als Fragment des Unendlichen
Nicht minder konstitutiv als das Postulat der Gattungsvermischung ist darüber hinaus das im Roman eingelöste Prinzip des Fragmentarischen. Da die Welt unendlich ist, bleibt sie unerzählbar. Kein Roman, wie lang auch immer und wie vermischt auch immer, kann alles erzählen, kein Roman kann die Gesamtheit aller Erscheinungen einfangen. Der Roman als "romantisches Buch" bildet diese Grundannahme strukturell durch eine potenziell unendliche Verschachtelung immer wieder neuer Geschichten und Erzählstränge ab. Diese Vielstimmigkeit, diese Polyphonie der Möglichkeiten öffnet stets neue Perspektiven und symbolisiert zugleich die Unabschließbarkeit des Erzählens, das im Nebeneinander erzählender, reflektierender Abschnitte, eingestreuter Lieder, Märchen, Gedichte, Briefe und dialogischer Sequenzen schon per se einen fragmentarischen Charakter trägt. Im Sinne der Universalpoesie wird das romantische Buch zum Abbild der unendlichen, und damit nie erreichbaren, nie abschließbaren infinitesimalem Annäherung an die Wirklichkeit des Absoluten. So bleibt jeder romantische Text ein offenes Projekt, ein offener Prozess und damit selbst ein Fragment der Idee des Romantischen. Damit eignet sich der Roman zum bevorzugten Experimentierfeld eines völlig freien, absolut autonomen Autors, der laut Schlegel "an kein Gesetz, keine Regeln, keine Vorgaben gebunden und völlig frei von jeder poetologischen Konvention" agiert. So bleibt als einziges Gesetz, das die romantische Poesie anerkennt jenes, "dass die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide."
Dass die Klassik dieses Verfahren strikt ablehnt, liegt auf der Hand. So bezeichnet Goethe einen Roman Achim von Arnims, der über 100 Erzählstränge kombiniert als Fass, "das überall ausläuft, weil der Böttcher vergessen hat, die Reifen festzuschlagen."