Das Thema Die Romantisierung der Welt
Schlegels Forderung, dass alle Poesie romantisch sein solle, ist kein Aufruf zu gefühliger Weltflucht. Sie zielt vielmehr darauf, in der Überwindung sämtlicher durch Religion, Philosophie und Literaturtheorie konstruierten Grenzen die Versöhnung von Mensch und Natur durch das schöpferische Ich herzustellen. Dabei soll nicht in erster Linie die Literatur, sondern die Welt insgesamt durch die Vernetzung bislang getrennt gedachter Sphären romantisiert werden.
Für Novalis wird dieser Ansatz eines schöpferischen Ichs, das am Absoluten teilhat und alle Welterscheinungen in sich vereinigt, zum Ausgangspunkt des eigenen Erlebens und Schreibens. Den persönlichen Ort dieser Vereinigung von Sichtbaren und Unsichtbaren, Nahem und Fernem, Rationalem und Emotionalem identifiziert er dabei mit dem Gemüt.
"In unserm Gemüt ist alles auf die eigenste, gefälligste und lebendigste Weise verknüpft. Die fremdesten Dinge kommen durch einen Ort, eine Zeit, eine seltsame Ähnlichkeit, einen Irrtum, irgend einen Zufall zusammen: so entstehn wunderliche Einheiten und eigentümliche Verknüpfungen - und Eins erinnert an alles, wird das Zeichen vieler und wird selbst von vielen bezeichnet und herbeigerufen. Verstand und Phantasie werden durch Zeit und Raum auf das sonderbarste vereinigt, und man kann sagen, daß jeder Gedanke, jede Erscheinung unsers Gemüts das individuellste Glied eines durchaus eigentümlichen Ganzen ist."
Novalis, Fragmente und Studien 1799-1800
Die Welt romantisieren heißt also, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar.
"Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizism gemein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das Notwendigzufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare etc."
Novalis, Fragmente und Studien 1799-1800, 146
Vor allem in seinen Fragmenten kreist Novalis wiederholt um den Gedanken der romantisierenden Vereinigung nur scheinbar disparater Lebens- und Wahrnehmungsbereiche.
"Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. - Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche - dies wird durch diese Verknüpfung logarythmisiert - es bekommt einen geläufigen Ausdruck. Romantische Philosophie. Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedrigung."
Novalis, Fragmente und Studien 1797-1798