Gelassenheit und stilles Glück Das Thema
300 vor Christus
Die Stoa ist eine weitverbreitete und einflussreiche Strömung der griechischen Philosophie. Sie wurde in Athen um 300 vor Christus von Zenon aus Kition begründet und bestand mehr als 500 Jahre. Ihren Namen hat sie von einem Ort: Stoa poikile, so hieß die buntbemalte Säulenhalle auf dem Athener Marktplatz, in der Zenon seine Schüler versammelte. Die Philosophenschule wird in drei zeitliche Abschnitte eingeteilt: die ältere Stoa (ihre Vertreter bzw. Schulhäupter waren Zenon, Kleanthes und Chrysipp), die mittlere Stoa (mit den Schulhäuptern Panaitios und Poseidonius) und die jüngere Stoa (ihr gehörten u.a. Seneca, Epiktet und der römische Kaiser Marc Aurel an).
Kosmos und Weltvernunft
Eine besondere Eigenart der Stoa liegt darin, dass sie einerseits ein festes und stabiles Lehrgebäude darstellt, sich andererseits als sehr wandlungs- und anpassungsfähig erwiesen hat. Ausgangspunkt und Grundlage der Stoa war die Annahme, dass es einen Kosmos gibt, die Welt als geordnete Einheit gesehen wird (im Gegensatz zum Chaos), und dass hinter allen Erscheinungen ein göttliches Prinzip waltet. Für jedes Individuum gab es einen Platz in dieser Ordnung, Aufgabe war es also, diesen Platz zu finden, zu füllen und das eigene Los jeweils anzunehmen. Gedanken der Stoa haben auch das Christentum beeinflusst. So wird z.B. der Ausspruch des Kleanthes: "In ihm (Gott / Kosmos) leben, weben und sind wir" von Paulus zitiert (vgl. Apostelgeschichte 17, 28). Die menschliche Vernunft sollte ein Teil der Weltvernunft sein, und so bedeutete das naturgemäße Leben zugleich ein vernünftiges Leben.
Werte in krisenhafter Zeit
Die Gründung der Stoa (und parallel mit ihr entstand auch der Epikurëismus) fällt in eine Zeit gesellschaftlicher und politischer Instabilität in Athen: Alexander der Große war tot, es herrschte große Unordnung, die Selbstsicherheit des Bürgertums war Fremdherrschaft und Diadochenreichen gewichen. Auch in späteren Jahrhunderten kam der Stoa oft eine kompensatorische Aufgabe zu, wenn Herrschaftsformen ins Wanken gerieten, Normen verloren gingen, Systeme in Frage gestellt waren, wenn eine Gesellschaft sich selbst neu definieren und behaupten musste. Die Vorstellung, dass es etwas Planvolles und Zweckvolles gibt, das eine höhere Vernunft repräsentiert, sie diente auch dazu, ein Selbst zu formen, sich auf Werte berufen zu können und den ersehnten "Platz in der Welt zu finden". Innere Ruhe und Gelassenheit wurde gerade dann benötigt, wenn große äußere Unruhe herrschte.
Die große Zweiteilung
Stoischer Gleichmut, Mäßigung, Einsicht: Immer war da ein Individuum, das sich in eine als vernünftig anerkannte Ordnung einfügte und in ihr handelte. "Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es mit sich", heißt es bei Seneca. Erstrebt wurde aber nicht die willenlose Anpassung, sondern das aktive Erreichen dessen, was jeweils dem Einzelnen gemäß, ihm zugehörig war.
Das Glück, das sich durch eine stoische Einstellung erlangen ließ, war nicht das überschäumende Gefühl von "himmelhochjauchzend" (und es folgte ihm keine Bruchlandung im "zum-Tode-betrübt"), es war vielmehr ein stilles und konstantes Glück, ein Zustand, der die Menschen souverän machte, sie heiter und gelassen auf die Stürme des Daseins blicken ließ. Lebenslanges Lernen und Selbsterziehung war unabdingbare Voraussetzung, um jene Seelenruhe und Weisheit zu erreichen. Und es gehörte hierzu auch die Steuerung von Affekten (z.B. Angst, Wut, Trauer) durch Vernunft.
Für Epiktet war nicht die Frage nach der Wesensnatur von Affekten an sich entscheidend, sondern die Überlegung: Was löst die Affekte aus. Seine Antwort: das "falsche" Werturteil über die Dinge der Außenwelt. Und es gab für ihn zwei Kategorien: Dinge, die im Einfluss des jeweiligen Menschen stehen und Dinge, die nicht in dessen Einfluss stehen. Der Stoiker musste also unterscheiden lernen. Er wusste äußerliche Güter wie Reichtum, Schönheit, Ansehen, Erfolg sehr wohl zu schätzen, aber er war von ihnen nicht innerlich abhängig. Er hatte keinen Einfluss auf sie. Und wenn diese Güter ihm abhanden kamen, fühlte er sich nicht beraubt oder ins Unglück gestürzt, sondern er sagte, er habe die Güter nur "zurückgegeben".
Zeitlos relevant
Das jüngste Zeugnis stoischer Philosophie stammt von dem römischen Kaiser Marc Aurel. Seine hauptsächlich in den Feldlagern der Markomannen-Kriege in griechischer Sprache verfassten "Selbstbetrachtungen" gelten als Zeugnis der spät-stoischen Lehre und greifen den überlieferten Erfahrungsreichtum noch einmal auf. Auch der Herrscher erfüllt hier nur die Aufgabe eines Glieds in der Kette und sieht sich positiv zum Dienst an der Gemeinschaft verpflichtet: "Tu deine Arbeit, aber nicht wie eine seelenlose Maschine oder wie einer, der bemitleidet oder bewundert werden will, sondern wolle nur das Eine: dich betätigen und halten, wie es die Rücksicht auf die menschliche Gemeinschaft verlangt." (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, IX, 12) Und so hat auch die Idee des Kosmopolitismus (Weltbürgertums) ihre Wurzeln in der Stoa, denn sie verweist auf die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Gemeinschaft, die (über nationale Grenzen hinausgehend) offen ist, weltbürgerliche Gesinnung und Verantwortung trägt. Epiktet war ein freigelassener Sklave, Marc Aurel war Kaiser, auch das zeigt die gesellschaftliche Spannweite und Dynamik der Stoa. Ihre Bücher bergen in vielerlei Hinsicht Überraschungen und haben uns noch heute viel zu sagen.
Nichts ist beständig, alle Phänomene unterliegen einem dynamischen Wandel. Marc Aurel hat es so formuliert: "Es fürchtet jemand die Umwandlung? Was kann denn ohne Umwandlung geschehen? Was denn ist der Natur des Alls lieber und vertrauter? Kannst denn du selber dich warm waschen, wenn nicht das Holz sich wandelt? Kannst du dich nähren, wenn nicht die Speisen sich wandeln? Kann sonst etwas Nützliches vollbracht werden ohne Umwandlung? Siehst du also nicht, dass auch deine eigene Umwandlung gleichartig ist und gleich notwendig für die Natur des Alls?" (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, VII, 18)