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Das Gift der Menschlichkeit Das Thema

Stand: 12.02.2015 | Archiv

Hände mit Münzen | Bild: colourbox.com

Privatsache oder Kollektivschande?

Der Geiz ist eine zwiespältige Angelegenheit: einerseits eine Eigenschaft, die niemand im Ernst zugeben würde, weil dazu eine Freigiebigkeit im Bekennen gehört, die der Geizige naturgemäß nicht aufbringt. Andererseits zählt der Geiz, in nettere Umschreibungen gehüllt, zu den Antriebskräften einer bürgerlichen Gesellschaft, die zum Wohlstand strebt. Bis heute, denn der Slogan vom "geilen Geiz" scheint dem halben Land aus der Seele gesprochen zu haben – wie anders ist es zu erklären, dass Deutschland zu den Staaten Europas gehört, in denen am wenigsten Geld für Lebensmittel ausgegeben wird? Dass hierzulande die Discounter aus den Gewerbegebieten schießen, in denen es alles um ein paar Cent billiger gibt? Dass sich die Frage meist um den Preis dreht, seltener um den Wert?

Es muss sich also beim Geiz um ein zwar privat kultiviertes, aber ganz allgemein verbreitetes Phänomen handeln, das in den Zeiten, als Prassen und Verschwendung schick waren, irgendwo in einem finsteren Winkel unseres Egos überwintert hat. Denn Egoismus gehört zum Geiz dazu: ist es doch die eigene Person, für die man spart und anhäuft. Zumindest in einem Frühstadium des Geizes, bevor er ein Eigenleben entwickelt und den Geizigen selbst auszehrt – als Sucht.

Bewertung im Zwiespalt

Aristoteles

Der Geiz ist also beides: Privatangelegenheit und allgemeines Symptom – und es ist anzunehmen, dass das schon immer so war. Wie aber sieht die Bewertung des Geizes historisch aus? Für zwei Vordenker der Antike, Aristoteles und Theophrast, waren Geiz und Habgier Gift für die Gesellschaft und den einzelnen. Der römische Philosoph Horaz machte gar die "Erfindung" des Privateigentums für die Genese des Geizes verantwortlich. So weit die Theorie – praktisch lagen die Dinge vielleicht oft weniger klar. Als Paradebeispiel des inneren Zweispalts kann der Philosoph Seneca dienen, der zwar den Geiz als "verheerendste aller Menschheitsseuchen" bezeichnete, andererseits aber selbst als wohlhabend und nicht gerade freigiebig galt. Sein Zeitgenosse, der römische Kaiser Vespasian, stand dagegen zum eigenen Geiz: "Pecunia non olet", "Geld stinkt nicht", bekannte der für seinen Witz und seine Bauernschläue beliebte Herrscher ganz freimütig.

Das christliche Mittelalter brachte eine weitere Komponente in die Debatte: Der Geiz sei in erster Linie eine Sünde gegen Gott, weil er – in Allianz mit der Trägheit – einen Gewinn erzielen will, ohne dafür "im Schweiße seines Angesichts" (Genesis 3,19) zu schuften. Schon die frühen Kirchenlehrer verteufelten ihn als "Wurzel allen Übels" (Paulus) und "Wahnsinn der Seele" (Augustinus). Verschärfung gewinnt die Debatte durch die Beteiligung von Geld. Wer das Geld für sich arbeiten lässt, indem er Wucher nimmt, vergeht sich an Gott und an den Menschen. Eine nicht zu vergebende, "himmelschreiende" Todsünde ist geboren.

Die Faszination des Hässlichen

Allerdings gehört der Geiz theologisch korrekt nicht zu den Todsünden, als da sind Mord, Ehebruch und der Abfall vom Glauben, sondern zu den Charaktereigenschaften, die zu den schlimmsten Vergehen prädestinieren. Dennoch hat sich die Vorstellung vom Geiz als zweite der Sieben Todsünden zwischen dem Hochmut und der Wollust, dem Zorn, der Völlerei, dem Neid und der Trägheit durchgesetzt – vor allem dank der Ikonographie. Die Sünden haben die bildende Kunst seit jeher zur Darstellung gereizt.

Pieter Brueghel der Ältere

So haben die fantastischen Ausschmückungen des Bösen bei Hieronymus Bosch und der Kupferstichzyklus der "Sieben Todsünden" von Pieter Brueghel dem Älteren die holländischen Meister populärer gemacht als ihre Darstellungen der ewigen Glückseligkeit. Brueghel zeichnet seine Dämonen als laufende Geldbörsen und hässliche Beutelschneider, dazu die Kröte als Wappentier des Geizes. In der Mitte des Bildvordergrundes sitzt die Personifikation der Avaritia, eine Geld zählende Frau unbestimmbaren Alters. Meist jedoch sind die Geizdarsteller alt – wie auch die Eigenschaft bevorzugt eine Alterserscheinung ist. Das Geldraffen im Alter rücke an die Stelle der abgestorbenen Lüste, diagnostiziert Arthur Schopenhauer, und Georg Simmel schreibt 1900, dass der Geldbesitz im Alter "ein Hort sublimierten Machtgefühls" sei. Perfekte literarische Gestalt gewinnt der Geiz in Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens "Christmas carol" – einer der wenigen Geizkranken, der wundersam geheilt wird.

Besessen vom Besitzen

Doch gibt es nicht nur den materiellen Geiz, der den Bedürftigen die Unterstützung vorenthält. Es gibt auch den Geiz, der in der "Vernachlässigung der Liebespflichten gegen Andere" besteht, so formuliert es Immanuel Kant. Soweit die negativen Konnotationen zur Zeit der Aufklärung. Doch das bürgerliche Zeitalter kann dem Geiz in seiner sozialen Funktion auch positive Seiten abgewinnen – wenn er als Sparsamkeit, kluges Wirtschaften und Selbstdisziplin auftritt. Die Aufnahme des Geizes in den bürgerlichen Tugend-Kanon während der Frühen Neuzeit wird eine wichtige Bedingung für die Entstehung des ersten Kapitalismus. Sparsamkeit erhält einen Sinn in der Kapitalbildung, Konsumverzicht wird zum Ideal. "Gäbe es keinen Geiz", schreibt Bernard Mandeville 1723 in seiner "Bienenfabel", "wären die Verschwender bald mittellos, und wenn niemand schneller anhäuft und erwirbt, als er ausgibt, könnten nur sehr wenige schneller ausgeben als erwerben." Dieses System scheint zu funktionieren, so lange es nicht auf dem Rücken der Mitmenschen ausgetragen wird. Die Geschichte der Industrialisierung zeigt, dass das nicht gut ging. An ihrem Ende steht die Masse, die einem fernen Kapital dienen muss, ohne eigenen Gewinn daraus zu ziehen, und die wenigen, die Besitz auf abstrakten Bankkonten und Geldanlagen anhäufen. Damit wird, so der Finanzwissenschaftler Ulrich Busch, "der Geiz als soziales Phänomen uninteressant."

Ein offenes Fazit

Wobei dem Geiz die Anlage zur Abstraktion und Verselbständigung von jeher immanent war. "Zu niemandem ist der Geizige gut, zu sich selbst am schlechtesten", schrieb der römische Dichter Publilius Syrus im ersten Jahrhundert vor Christus in seinen "Sententiae" – ein Punkt, den auch Immanuel Kant in seinen Untersuchungen zum Geiz als das "eigentliche Laster" bewertete. Wandelt sich die Knauserei gegen sich selbst von der Notwendigkeit in eine Leidenschaft, ist die letzte Stufe auf der Geiz-Leiter erklommen. Das Anhäufen und Knickern wird zum Selbstzweck und Ersatzgott, der Geizige verliert als "vernünftiger Narr", so Honoré de Balzac, die Zurechnungsfähigkeit.

Unter sozialen Gesichtspunkten wird "Avaritia" je nach Epoche und Gesellschaftsmodell jedoch verschieden beurteilt. Und wird ihrerseits zum Opfer: als Gegenstand des Sozialneids. "Wir sollten jetzt nicht in den Chor der politischen Gegenwartskleriker einstimmen, die das ganz natürliche Haben-Wollen der Menschen wieder als Todsünde verdammen", sagt der Soziologe Gerhard Schulze in einem Interview mit der "Wirtschaftswoche". "Begehrlichkeit aktiviert Wirtschaftsprozesse und führt zu den Überschüssen, die Verteilung erst möglich machen." Wann aber das natürliche Haben-Wollen aufhört und eine Mentalität nach dem Motto "Knausern Sie sich reich" anfängt – das muss heute, mehr denn je, vermutlich jeder selbst entscheiden.


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