Der große Schritt nach vorne
Geschichte | RS, Gy |
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Im Windschatten Napoleons steigt Bayern 1806 zum Königreich auf. Während die Modernisierung der jungen Monarchie auf Hochtouren läuft, sinkt der Stern des Empereurs. Bayern wechselt die Fronten und bleibt auf der Siegerstraße.
Das Imperium des Napoleon Bonaparte
Die Französische Revolution 1789 ist ein Meilenstein auf dem Weg zur modernen Welt, aber davon bekommen die Bayern zunächst nur wenig mit. In München regiert Kurfürst Karl Theodor, dessen Sympathiewerte im Keller sind, seit er versuchte, Bayern gegen die Niederlande einzutauschen. Er verschärft das Polizeiregime und schließt sich der antifranzösischen Allianz an.
Die Revolutionskriege seit 1792 bringen die deutschen und europäischen Mächte in Bedrängnis, Gebiete links des Rheins gehen verloren. In Frankreich baut Napoleon Bonaparte seine Herrschaft aus. Der General des Direktoriums putscht sich auf den Posten des Ersten Konsuls, erklärt 1799 die Revolution für beendet und krönt sich 1804 zum Kaiser. Napoleon, ein brillanter Feldherr und hemmungsloser Machtpolitiker, schreckt nicht davor zurück, Europa mit Krieg zu überziehen. Nach dem Muster des römischen Weltreichs will er ein Imperium errichten. Er ist bereit, die alte Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu kippen.
Kurfürst Maximilian IV. Joseph - in München weht ein neuer Wind
Im Februar 1799 stirbt Bayerns Herrscher Karl Theodor. Mangels Erben kommt die wittelsbachische Nebenlinie Zweibrücken-Birkenfeld zum Zug. Neuer Kurfürst wird Maximilian IV. Joseph, der einige Jahre Regimentskommandeur Straßburg war, französische Lebensart schätzt und von der Aufklärung geprägt ist. Er ernennt seinen politischen Berater, Maximilian von Montgelas, zum leitenden Minister. Zunächst bleibt dessen Außenpolitik in alten Bahnen, doch das Misstrauen gegenüber dem verbündeten Habsburgerreich, das sich bayerische Gebiete einverleiben möchte, ist groß.
Im Jahr 1800 kommen französische Truppen ins Land, im Dezember und schlagen sie bei Hohenlinden nahe München ein österreichisch-bayerisches Heer. Um Österreichs Einfluss in Süddeutschland zu schwächen, signalisiert Napoleon der bayerischen Führung Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen. Max IV. Joseph distanziert sich vorsichtig von seinem Bündnispartner, im August 1801 kommt ein Freundschaftsvertrag mit Frankreich zustande. In nächsten Jahren betreibt Bayern "Schaukelpolitik" und taktiert zwischen den Großmächten.
Die große Flurbereinigung in Deutschland
1803 greift Napoleon massiv in die deutschen Verhältnisse ein. Unter seinem Protektorat wird eine "Entschädigung" der Fürsten für linksrheinische Verluste vereinbart (Reichsdeputationshauptschluss). Geistliche Territorien werden "säkularisiert", kleine weltliche Herrschaftsgebiete "mediatisiert", das heißt, sie werden als politische Einheiten beseitigt und einzelnen Landesfürsten übergeben. Dadurch wird die deutsche Landkarte erheblich vereinfacht. Im Süden und Südwesten entstehen Mittelstaaten wie Bayern und Württemberg, die angesichts ihrer "Sandwichlage" zwischen den Großmächten Österreich und Preußen machtpolitisch auf Frankreich angewiesen sind.
Für Bayern ist die territoriale Neuordnung ein Gewinn. Es erhält unter anderem die Hochstifte Freising, Augsburg und Bamberg, wichtige Reichsabteien wie Kempten sowie zahlreiche Klöster. Diese Gebietsgewinne übersteigen die Verluste am Rhein bei Weitem. Kurfürst Max und sein federführender Minister Montgelas greifen zu, als sich die Expansionsmöglichkeit bietet. Das alte Reich taumelt seiner Selbstauflösung entgegen.
Wer mit dem Wolf tanzt … - Bayerns Bündnis mit Napoleon
Im Jahr 1805 beginnt der dritte Koalitionskrieg der europäischen Mächte gegen Frankreich. Kurfürst Max schwebt die Neutralität vor, doch seinem Minister Montgelas ist klar, dass sich Österreich auf dieses Spiel kaum einlassen wird. In einer Denkschrift arbeitet er heraus, dass ein starkes, souveränes Bayern nur an der Seite Frankreichs möglich ist. Geheimverhandlungen beginnen, im August wird ein Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich unterzeichnet. Und Bayern hat Glück. Wenngleich Napoleon bei Trafalgar seine Flotte verliert, eilt er an Land von Sieg zu Sieg. Er schlägt eine österreichische Armee bei Ulm, marschiert nach Österreich und beendet mit der blutigen Schlacht von Austerlitz Anfang Dezember den Feldzug.
Der Friede von Pressburg (26. Dezember) ist eine Demütigung für das Habsburgerreich. Bayern geht neben Württemberg und Italien gestärkt aus den "Tauschgeschäften" hervor, erhält weitere Gebiete und dehnt sich nach Tirol und Vorarlberg aus. Vor allem aber muss Österreich der Erhebung Bayerns und Württembergs zu souveränen Königreichen zustimmen. Zur Verleihung der Königwürde am 1. Januar 1806 reist Napoleon nach München, Kurfürst Max nimmt den Titel durch Proklamation an. Als Maximilian I. Joseph begründet er die Königsdynastie im Hause Wittelsbach.
Im Juli 1806 formiert sich unter dem Protektorat Napoleons der Rheinbund, dem alle deutschen Staaten außer Österreich, Preußen, Braunschweig und Kurhessen betreten. Die zu souveränen Staaten erklärten Rheinbundmitglieder verpflichten sich, dem Kaiser der Franzosen Heeresfolge zu leisten; Bayern stellt 30.000 Mann. Auch die Beseitigung der Kleinstaaten durch Mediatisierung schreitet fort. Bayern erweitert sein Gebiet in Franken und Schwaben und übernimmt die Reichstadt Nürnberg. Damit ist das seit 962 bestehende deutsche Reich am Ende. Kaiser Franz II. (als Franz I. ist er seit 1804 auch Kaiser von Österreich) legt die deutsche Kaiserkrone nieder.
Die Königswürde hat ihren Preis
König Max und seine Regierung wissen, dass Bayern seinen Aufstieg einzig Frankreichs Wohlwollen verdankt. Eingriffe in Bayerns Souveränität müssen hingenommen werden. So wird 1806 in Braunau am Inn der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm wegen der Schrift "Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung" auf Befehl Napoleons erschossen. Bayerns Armee kämpft 1806/1807 gegen Preußen und 1809 gegen Österreich. In Tirol erleidet sie bei Kämpfen gegen die Gebirgsguerilla des Andreas Hofer hohe Verluste. 1812 ziehen mehr als 30.000 Bayern mit Napoleons Grande Armée nach Russland, nur wenige kehren im folgenden Jahr in ihre Heimat zurück. Weil vor allem die einfache Bevölkerung Soldaten stellt und bei Auf- und Durchmärschen Einquartierungen und Plünderungen dulden muss, ist deren Leid besonders groß.
Auch ein dynastisches Opfer muss Bayerns König bringen. Seine Tochter Auguste Amalie heiratet auf Verlangen Napoleons dessen Stiefsohn, Eugène Beauharnais, den Vizekönig von Italien. Die Trauung findet noch im Januar 1806 in der Hofkapelle der Münchner Residenz statt. Napoleon und Kaiserin Joséfine sind anwesend. Wider Erwarten wird die Ehe glücklich. Die Familie des "Emporkömmlings" Napoleon ist damit erstmals mit einer alten Dynastie verbunden und der eitle Kaiser sieht sich auf einem guten Weg, von den europäischen Herrscherhäusern als einer der ihren akzeptiert zu werden.
Die Entstehung des modernen Bayern
Das neue Königreich ist gebietsmäßig stark angewachsen. Montgelas steht vor der Aufgabe, Regionen zu integrieren, die sich konfessionell, kulturell und ökonomisch stark voneinander unterscheiden. Bayerns Chefminister will einen einheitlichen, existenzfähigen Staat schaffen. Auf Stammesverwandtschaften und Traditionen nimmt er keine Rücksicht. Mit Rückendeckung des Königs, der durch seine Fähigkeit zu moderieren manche Härte abfedert, wirkt Montgelas als große Walze, die überkommene Strukturen und alte Privilegien von Adel, Kirche und Kommunen einebnet.
Montgelas ist ein Verfechter des Staatsabsolutismus. Das bedeutet: Der König, sein leitender Minister und eine kleine Gruppe von Vertrauten planen Reformen, bilden eine Machtzentrale in München und entwickeln ein administratives Zaungeflecht, das mehr und mehr das Staatsgebiet umspannt. Für Volkssouveränität oder gar deutsch-patriotische Gefühlsaufwallungen ist kein Platz im Monopolstaat des - seit 1809 - Grafen Montgelas.
Binnen weniger Jahre werden in Bayern Religionsfreiheit, Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung sowie das Recht auf freie politische Meinungsäußerung gesetzlich verankert. Die Erblichkeit und Käuflichkeit von Ämtern wird beseitigt, ein neues Strafgesetzbuch tritt in Kraft, das Schulwesen wird umgebaut, die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Eine Landvermessung soll die Basis für ein einheitliches Steuersystem schaffen. Die im Jahr 1818 vom König gewährte Verfassung enthält rechtsstaatliche Grundlagen und markiert den Höhepunkt der "Revolution von oben".
Bündnispolitik auf Bayrisch - der Frontenwechsel
Nach dem gescheiterten Russlandfeldzug und seiner Flucht nach Paris gerät Napoleon in die Defensive. Der Zar entscheidet sich, den Krieg fortzusetzen, in Preußen formiert sich 1813 eine Volksbewegung zum Kampf gegen Frankreich. Im August 1813 tritt Österreich in den Krieg ein, auch England und Schweden gehören der Koalition an. In Bayern gibt es längst patriotische Tendenzen. Wie Kronprinz Ludwig empfinden viele Untertanen die Abhängigkeit ihres Königs von Frankreich als schmachvoll. Auch dem Staatsminister Montgelas sind die Risiken einer weiteren Anlehnung an den Kaiser der Franzosen bewusst. Bayern wechselt - gerade noch rechtzeitig - auf die Seite Österreichs. Am 8. Oktober 1813 wird der Vertrag von Ried unterzeichnet, vom 16. bis 19. Oktober tobt die Völkerschlacht bei Leipzig. Die napoleonische Herrschaft in Deutschland bricht zusammen, der Rheinbund löst sich auf.
Bayern steht erneut auf Seiten der Sieger, es bleibt ein souveräner Staat. Tirol, Vorarlberg und Salzburg muss es zwar an Österreich zurückgeben, doch die Erwerbungen aus der napoleonischen Zeit bleiben weitgehend erhalten. Im Jahr 1818 ist Bayern mit 3,71 Millionen Einwohnern unter den Mitgliedern des Deutschen Bundes der drittgrößte Staat nach Österreich und Preußen. Bayerns Gebiet umfasst 71.500 Quadratkilometer, das entspricht etwa der heutigen territorialen Ausdehnung.