Frisches nicht verkommen lassen Die Lebensmittelretter aus Kempten
Es ist ein Trend, der sich in Schwaben ausbreitet. Lebensmittelretter gibt es zum Beispiel schon in Buchloe und in Kempten. Hier hat eine Gruppe der Nahrungstausch-Plattform foodsharing.de den sogenannten "Fairteiler" eingerichtet. Interessierte können dort kostenlos vor dem Müll gerettetes Essen abholen oder selbst übriggebliebene Nahrungsmittel abgeben.
Abbau auf dem Kemptenerer Wochenmarkt. Überall verladen Händler die nicht verkaufte Ware.
Was kein weiteres mal mehr in die Auslage kann – wie dieser leicht beschädigte Salatkopf – das gibt Gemüsehändler Edgar Troll den Lebensmittelrettern. Eine ganze Gemüsekiste voll solcher Salatköpfe, ein paar Paprika, Kräuter, Tomaten und Pilze bekommen die Lebensmittelretter von ihm heute. Damit sie das und die weiteren Lebensmittel gut transportieren können, hat sich Rentner und Lebensmittelretter Bernhard Knappe für den Markt was überlegt:
"Dadurch dass wir dort sieben Händler haben, ziehst du ja von Stand zu Stand, und da kannst du ja nicht mit dem Auto durchfahren. Deswegen haben wir uns diesen Handwagen gebaut dann. Den können zwei oder drei Leute ziehen, wenn er voll ist dann, oder zumindest die Kisten festhalten, damit nichts runterfällt dann."
Bernhard Knappe
Der Nahrungstauschplatz ist immer offen
Tatsächlich ist der Wagen am Schluss des Rundgangs so voll, dass die Lebensmittelretter die Kisten mit Gemüse und Obst gut befestigen müssen.
Dann ziehen sie den Handwagen zum etwa 500 Meter entfernten Nahrungstauschplatz am Haus International.
Er sieht aus wie ein kleines Gartenhaus und ist nie zugesperrt, sagt Lebensmittelretter Rudi Betz:
"Leute, die einfach hier herkommen oder vorbeilaufen, die schauen: Ist was da? Wenn nicht da ist, dann vielleicht nächstes Mal."
Rudi Betz
Nicht nur für Arme
Wer öfter kommt, der bekommt mit der Zeit natürlich mit, wann es das Obst und das Gemüse vom Markt gibt, wann Brot und wann Milchprodukte und so weiter da sind. Zum Teil stehen Bedürftige auch schon Schlange, solang die Helfer die Regale einräumen. Das Angebot richtet sich aber ganz explizit nicht ausschließlich an die, die wenig Geld haben.
"Das oberste Prinzipt bei uns ist ja - im Gegensatz zur Tafel - nicht die Speisung von Armen, sondern: Lebensmittel retten! Das heißt, wir sagen einfach, der, der zuerst da war, der kommt als erster dran. Und es gilt: Haushaltsbliche Mengen, damit jeder ein bisschen was kriegt."
Rudi Betz
Keine Konkurrenz zur Tafel
Eine Konkurrenz zur Tafel wollen die Lebensmittelretter bewusst nicht sein. Sie nehmen zum Beispiel belegte Brote, die die Tafel nicht annehmen darf und das, was einen für die Tafel ungünstigen Abgabezeitpunkt hat, sagt Sabine Herz:
"Wochenmarkt, Samstagmittag um 15 Uhr kann ich das keiner Tafel mehr geben. Wir sind also die ideale Ergänzung. es ist auch von der Tafel her kein Konkurrenzgedanke da."
Sabine Herz
Restlose Fairrteilung
Die Zusammenarbeit geht so weit, dass die Lebensmittelretter auch bei der Tafel übriggebliebene Ware abholen dürfen, bevor sie verdirbt. Und beim Essenstauschplatz selbst muss sich laut Rudi Betz keiner mehr um Übriggebliebenes kümmern:
"Es bleibt gar nichts übrig, egal welche Mengen. Wir hatten mal diesen Sommer eine Pallette von 500-Gramm-Packungen griechischer Weintrauben, 70, 80, 90 Kilo: Drei Tage später war sie weg!"
Rudi Betz
Sinnvoll, ehrenamtlich, sozial
Eine gute Handvoll Lebensmittelretter sind im Moment aktiv mit dabei. Die Studenten, die die Aktion 2013 in Kempten angestoßen haben, sind mittlerweile alle weggezogen, und es ist eine Gruppe von Berufstätigen und Rentnern daraus geworden. Alle sind mit Herzblut dabei.
"Man macht was Sinnvolles, ehrenamtlich, und kommt auch in Kontakt mit anderen. - Ich bin von Beruf Fachlehrerin für Ernährung und Hauswirtschaft und bin gelebter Schwabe: Ich kann es nicht sehen, wenn Lebensmittel weggeschmissen werden. So lebe ich das auch daheim: Meine Kinder könnten Ihnen Geschichten erzählen, was ich noch aus Resten zaubere. Und das ist mir ein ganz großes Anliegen."
Stimmen von Lebensmittelrettern in Kempten
Wer sich die Nahrung am Essenstauschplatz als halb verdorbene Reste vorstellt, der täuscht sich – die meisten Nahrungsmittel haben nur kleine Schönheitsfehler, oder sind ein Tick reifer oder näher am Verfallsdatum als im Laden. Immer wieder sind auch richtige Schmankerln dabei.
Der Kreislauf schließt sich
Neben Lebensmittel-Abholen ist auch Lebensmittelabgeben jedem erlaubt und so hat Lebensmittelretterin Sabine Herz auch dann kein Problem, wenn eins ihrer Experimente mal nicht so gut ankommt.
Insgesamt haben die Lebensmittelretter an ihrem Nahrungstauschplatz schon etwa 60 Tonnen Lebensmittel vor dem Wegwerfen gerettet. Ausruhen wollen sie sich auf dem Erfolg nicht. Sie hoffen, dass sie noch weitere Helfer motivieren können und dass langfristig noch mehr Nahrung in den Mägen statt im Müll landet.