Konzerte in München Wie ich verzweifelt versucht habe, meiner Mama Adele-Tickets zu organisieren
Um ihre Mutter mit Konzerttickets zu überraschen, stürzt sich unsere Autorin in Rennen um Tickets für die Münchner Adele-Konzerte. Und ist nicht nur von der Warteschlange schockiert.
Meine Mutter ist kein großer Musikfan. Sie hört Radio, manchmal zusammen mit meinem Vater CDs und ganz selten sogar Playlists mit mir. Auf Konzerte geht sie fast nie und wenn doch, dann sind es kleine Veranstaltungen von irischen Folkbands oder Gospelchören aus Partnergemeinden.
Aber Adele, die wunderbare Adele, die “Someone like you” gesungen, zig Grammys gewonnen hat und das erste Mal seit 2016 wieder auf dem europäischen Festland auftritt, diese Adele würde sie sich schon mal angucken. Das hat sie über die letzten Jahre immer mal wieder fallen lassen. Und als jetzt die vier, acht, nein zehn Konzerte der britischen Künstlerin in München angekündigt wurden, erwähnte sie das noch ein paar Mal mehr.
Die Konzerte in München werden im August stattfinden und im August hat meine Mutter Geburtstag. Warum sie also nicht mit Karten überraschen? Kurze Absprache mit meinem Vater, er findet den Plan gut. Und erklärt sich direkt bereit, die Kosten für unser gemeinsames Geschenk zu übernehmen. Ich bin für die Umsetzung verantwortlich. Ob mein Vater da schon ahnt, dass die Karten zwischen 74,90 Euro und 419,90 Euro kosten sollen? Ganz schön viel Geld für einen Abend.
Der lange Weg zur Ticketschlange
Doch auch mein Part des Deals ist nicht ganz so leicht zu erfüllen, wie ich dachte. Denn was dann kommt, hätte ich so nicht erwartet. Aber von vorne: Zwei Tage bevor der Vorverkauf überhaupt startet, muss ich mich erstmal für den sogenannten Pre-Sale registrieren. Damit bekomme ich einen speziellen Link, mit dem ich Zugang zum exklusiven Vorverkauf bekomme. Außerdem brauche ich ein Konto bei Ticketmaster, bisher nicht unbedingt der Konzertkartenhändler meines Vertrauens. Meine privaten Daten an einen Monopolisten geben, um Mama glücklich zu machen? Was macht man nicht alles für die Familie. Doch schon hier komme ich ins Straucheln. Ich soll über meine Handynummer das Konto bestätigen. Aber der dafür notwendige Code kommt einfach nicht bei mir an. Ich muss kurz an meine Eltern denken und frage mich, ob sie sich im Dschungel zwischen Pre-Sale-Registrierung und Zwei-Faktor Authentifizierung zurechtgefunden hätten. Früher war es der einfache Gang zum Ticketschalter, jetzt stehen zwei Mauern und ein Stacheldrahtzaun vor dem digitalen Ticketschalter. Wenn ich schon strauchele, wie ist es für Menschen ihrer Generation, wenn der Zugang zu solchen Events immer mehr digitales Know-How erfordert? Nach einigen Versuchen klappt es dann doch und ich fühle mich bereit für das große Rennen um die Konzertkarten.
Warten, warten, warten
Nach einer halben Stunde in der digitalen Warteschlange, sind immer noch mehr als 10 000 Menschen vor mir.
Heute geht der Vorverkauf los, ich bin gut gerüstet. Der Laptop steht aufgeklappt neben mir, das WLAN ist stabil und den Link zum Vorverkauf habe ich auch parat. Um 10 Uhr soll er beginnen, bereits um halb zehn öffnet der Warteraum. Ein Countdown zählt die Zeit bis zum Vorverkaufsstart. 24 Sekunden bis Adele, ich werde nervös. Sobald der Uhrzeiger auf Null springt, aktualisiert sich das Fenster und verkündet zwei Nachrichten. Die Gute: Ich habe einen Platz in der Warteschlange. Die Schlechte: Vor mir sind noch 21.417 andere Personen. Mein Kopf beginnt zu arbeiten: 80.000 Leute sollen pro Konzert Platz finden, das heißt meine Tickets müssten mir doch sicher sein, oder?
Die Zeit in der Warteschleife vergeht langsam, nach einer halben Stunde sind immer noch mehr als 10 000 Menschen vor mir. Um mich abzulenken, arbeite ich und schiele alle paar Minuten auf meinen Laptop neben mir. Um 11:04 Uhr sinkt die Zahl der Wartenden unter 1000. Ich werde immer aufgeregter. Mein Arbeitslaptop klingelt und kündigt unser Redaktionsmeeting an. Nicht jetzt, ausgerechnet in den entscheidenden Minuten. Ich nehme das Gespräch an, schalte aber die Kamera aus und konzentriere mich wieder auf die Warteschlange. Die Zahl fällt in großen Sprüngen, um 11:06 Uhr sind nur noch 426 Menschen vor mir, dann 317 und dann öffnet sich um 11:07 Uhr der Saalplan vor mir.
Tickets auswählen im Blindflug
Die verschiedenen Preiskategorien sind in der Arena farblich markiert. Innerhalb jeder Kategorie gibt es nochmal verschiedene Preiseabstufungen. Spezielle Plätze kann man nicht auswählen, nur die Preisstufe lässt sich bestimmen. Ich versuche drei Tickets in der günstigsten Kategorie mit Preisen bis zu 120 Euro zu ergattern. Ausverkauft. Na gut, die zweite Kategorie scheint mir auch noch verkraftbar, schließlich geht es um meine Mama. Auf Anhieb lassen sich die Tickets nicht auswählen, aber nach einigem hektischen Rumgeklicke habe ich tatsächlich drei zusammenhängende Plätze reserviert. Ein kurzes Glücksgefühl durchströmt mich. Ich habe es geschafft. Adele, wir kommen. Ein Blick in den Warenkorb lässt mich dann aber dochzusammenzucken. Kosten: 230 Euro. Pro Karte. Macht insgesamt fast 700 Euro für einen Abend.
Krisencall mit Papa
Über meinem Warenkorb zählt ein aufdringlicher Timer herunter und erzeugt größeren Stress als jede Abschlussprüfung. Natürlich, das ist Teil der Taktik. Innerhalb von weniger als zehn Minuten muss ich mich entscheiden, ob ich, beziehungsweise mein Vater, bereit sind, so viel Geld für die Überraschung auszugeben. Nur so lange sind die Karten reserviert. Ich beschließe Papa anzurufen, diese kostspielige Entscheidung kann ich nicht alleine treffen. Er ist unentschieden, ich auch.
Wir überlegen, ziehen Vergleiche, was man mit so viel Geld anstellen könnte. Einen Monat Miete zahlen, auf zehn andere Konzerte gehen, einen Kurzurlaub finanzieren - oder eben für einen Abend Adele lauschen. Die Minuten verrinnen, der Timer blinkt. Kaufen oder nicht kaufen?
Unser stummer Protest
Schlussendlich entscheiden wir uns dagegen. 700 Euro für ein Konzert, bei dem wir nur von weitem auf die Bühne schauen könnten, ist uns einfach zu viel. Außerdem symbolisiere der Kauf doch auch, dass man mit den horrenden Preisen einverstanden sei, meint mein Vater. Und das sind wir doch eigentlich so ganz und gar nicht. Doch sind wir ehrlich: unser stummer Protest wird wohl nichts bewirken. Solange genügend andere Menschen bereit sind, so viel Geld für Tickets auszugeben, funktioniert das System. Warum sollte sich also etwas ändern?