Einige Tage nach seinem 52. Geburtstag ist Jason Beck, besser bekannt als Chilly Gonzales, in München. Oder wie er, der kanadische Klavierkünstler, Popstar und Entertainer in freundlicher Übertreibung selbst sagt: „the musical genius“ beehrt uns. In gemütlichen Klamotten und gut gelaunt besucht Gonzales das Funkhaus des Bayerischen Rundfunks am Hauptbahnhof. Und gibt im Chorprobesaal einige Stücke zum Besten.

Chilly Gonzales tourt mit seinem Album "French Kiss"

Gerade ist Chilly Gonzales wieder auf Tour, und begeistert mit seiner ureigenen Mischung aus anarchistischem Humor und Musik. Viele der neuen Sachen, die er jetzt auf seinen Konzerten spielt, sind im Gegensatz zu den reinen Klavierstücken wieder von Lyrics geprägt, ähnlich wie bei seinem Album "Ivory Tower", das der Berliner Techno-DJ Boys Noize 2010 produziert hat. Oder wie auf seinem Orchester-Rap-Album "The Unspeakable Chilly Gonzales" von 2012.

Die Psychoanalyse ebnete den Weg zu neuer Musik

2012 war keine einfache Zeit, erzählt Gonzales: „Ich hatte eine kleine persönliche Krise und habe eine Psychoanalyse angefangen. Von diesem Moment an, wo ich wöchentlich zu meinem Therapeuten gegangen bin, hatte ich nicht mehr die Fähigkeit Lyrics zu schreiben." Als "Ersatztherapie" bezeichnet Gonazles Lyrics dichten.

Das neue Album "Gonzo" erscheint im September 2024

Musikalisches Genie im Bademantel hat seine Worte wiedergefunden.

Mit dem Ende der Therapie kamen die Lyrics und neue Gedanken wieder. Der Damm war gebrochen, wie Chilly Gonzales selbst sagt. So viele Worte sind aus ihm rausgeflossen, dass er gleich auf zwei Sprachen schreiben musste. Das Ergebnis sind zwei Alben. Das Album auf Englisch wird dieses Jahr im September erscheinen, unter dem Titel "Gonzo", wie ihn seine Freunde nennen.

"Frankreich ist wie ein abwesender, entfremdeter Vater für mich"

Doch auch die französische Sprache hat es Gonzales angetan. Etwa mit dem Album "French Kiss", das französische, teilweise chanson-artige Songs enthält. Mit Frankreich verbindet Gonzo einiges. Er hat jahrelang dort gelebt und gearbeitet, etwa für und mit Daft Punk oder als Produzent für Jane Birkin und Charles Aznavour. Es hat ihm gut getan, dort, in Paris, endlich große Erfolge zu feiern, nachdem er jahrelang in Berlin aus der Nische kaum rauskam. Trotzdem empfindet Chilly Gonzales eine Hass-Liebe gegenüber Frankreich: es ist für ihn wie ein abwesender, entfernter Vater:

Obwohl das Verhältnis zu den Menschen in Frankreich manchmal schwierig ist: die Sprache, sagt Gonzales, hat viele Vorteile. "Schreiben in einer Fremdsprache ist Freiheit. Es ist ein Wiederspruch, aber wenn man in einer Fremdsprache reimt, habe ich weniger Auswahl, dann finde ich ein bisschen Freiheit in der Wenigkeit."

Was Gonzales an den Deutschen schätzt?

Auch, wenn er noch viel in Paris arbeitet, der Entertainer und Wahl-Kölner Chilly Gonzales fühlt sich eher von den Deutschen verstanden. Grund dafür ist, es mag verwundern: der Humor.

In Deutschland hat Jason Beck 1998, gemeinsam mit zwei anderen kanadischen Künstlerinnen Leslie Feist und Peaches, eine neue kreative Heimat gefunden hat. Nach künstlerischen Höhen und Tiefen in Berlin und einer Unterbrechung landete er vor zwölf Jahren endgültig in Köln, heute sein Zuhause.

Nur eines stört Gonzales: "Ich liebe alles an Köln, mit einer Ausnahme. Mein Problem mit Köln ist, dass es eine Richard-Wagner-Straße gibt".

Kann man Kunst vom Künstler trennen?

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Jason Beck sowohl mit dem Werk als auch mit der Person von Richard Wagner. Als kleiner Junge besucht er mit seinem Vater in Bayreuth „Den Ring“ von Wagner. Jason Beck ist Jude. Bereits als Kind, so sagt er heute, spürte er die Abneigung Wagners Juden gegenüber. Wagner warf ihnen nicht nur vor, keine Kunst schaffen zu können, sondern hat sie sogar beschuldigt, Kunst zu korrumpieren. Diese Vorurteile, dieser Antisemitismus spiegelt sich auch in einigen seiner Opern wider. Trotz Wagners unbestreitbarer Bedeutung als Komponist, wird sein antisemitisches Erbe immer als dunkler Fleck auf seinem musikalischen Vermächtnis bleiben. Dennoch ist Chilly Gonzales der Ansicht, dass wir die Kunst vom Künstler trennen sollten. Die Tatsache, dass Wagner ein antisemitisches Monster war, sollte uns nicht davon abhalten, seine Musik zu spielen:

Die Richard-Wagner-Straße umbenennen? Gonzales hat schon eine Idee ...

Er schlägt vor, die Richard-Wagner-Straße in Köln umzubennen. Und er hat schon eine Idee, wie: Tina-Turner-Straße. Wie er selbst, war die schwarze Künstlern Wahl-Kölnerin. Neun Jahre lebte Turner in der Stradt am Rhein. Dafür hat Chilly Gonzales auch auf Change.org eine Petition gestartet: "Goodbye Wagner" hat er sie genannt, nicht ganz so radikal wie seinen Song "Fuck Wagner", den es aber auf keinem Streaming Anbieter in voller Länge gibt.

Von "Solo Piano" zu Deutschrap

Das gilt nicht für das Album, das Gonzales einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben beschert hat: Sein legendäres Album "Solo Piano 1" wird dieses Jahr 20.

Bevor das Album veröffentlicht wurde, hatte Chilly Gonzales das Image eines provokativen Künstlers, eines Trolls, wie er sagt, der immer laut war und nach Aufmerksamkeit geschrien hat. Seine musikalische Seele sei ein wenig hinter dieser Fassade verborgen gewesen, sagt er. Doch dann entschied er sich dazu, zu flüstern. Er wollte sehen, wie seine Fans darauf reagieren. Und als das Album "Solo Piano" herauskam, war sein Publikum überrascht.

Heute möchte sich Chilly Gonzales wieder neuen Aufgaben widmen. Und hat sich dafür vorgenomen, der deutschen Rap-Szene näher zu kommen. Einfach ist das aber nicht. Gonzales schätzt an den Rappern, dass sie uns gezeigt haben, dass man heute zwischen Kunst und Kommerz nicht mehr wählen muss und beides haben kann.

Eine Künstlerin hat nicht lange überlegt, ob sie mit ihm zusammenarbeitet: die Hamburger Rapperin Haiyti. Vor zwei Jahren hat Gonzo sie auf Instagram angeschrieben, und kurz darauf kam es zu diesem Song:

"Lobby" – Haiyti featuring Chilly Gonzales

Der ewige Pianist: Gonzo will mehr sein

Aber das Image, dass Chilly Gonzales vor allem ein guter Pianist ist, hält sich trotzdem weiter hartnäckig. Dass der Entertainer Gonzales oft nicht gesehen wird, liegt sicher auch daran, dass die Solo-Alben I, II und III bis heute die erfolgreichsten Alben von Chilly Gonzales sind. Sie wurden weltweit millionenfach gekauft und gestreamt.

Chilly Gonzales, der unverkennbare Tausendsassa der Musikszene! Egal, ob er sich hinter einer provokativen Fassade verbirgt oder seine musikalische Seele offenbart: Gonzo bleibt immer einzigartig.

Und wer in Deutschland das (zurecht) selbsternannte musikalische Genie in Bademantel und Pantoffeln auf der Bühne sehen möchte, hat noch bis August die Gelegenheit, unter anderem in Berlin, Frankfurt, Köln und Stuttgart: Es ist ein Erlebnis! Und solange kann man auf das neue Album "Gonzo" hin fiebern, das im September erscheinen wird.