Stell dir vor, wir Frauen begreifen alt werden als Privileg. Und nicht als Vorhof zur Hölle, wie es uns die Medien immer glaubhaft machen wollten. Unser Leben lang. In den Medien hatten wir Vorbilder, wie wir sexy 30 werden. Sexy 40 werden. Neuerdings werden wir auch sexy 50. Und dann? Ab 60 weicht die mediale Sexyness einer beigen Funktionskleidung und einem "pfiffigen" Kurzhaarschnitt. Ist der Gesellschaftsauftrag erfüllt, scheint die Weiblichkeit ausgedient zu haben.

Das große Versprechen hinter Attributen wie Schönheit, Sexyness, Kinder haben, Partner haben, ist: Glück. Aber wie das jenseits der 70 ausschauen kann, wird medial kaum repräsentiert. Mir fehlen die Bilder und damit Vorbilder, wie es sein könnte. Jenseits gekünstelter Jugendhaftigkeit – aber auch jenseits beiger Tarnkleidung glücklich alt zu werden.

Wie Künstliche Intelligenz für Repräsentation sorgt

Auf Instagram sehe ich nun aber immer öfter alte Frauen, in flamboyanter Kleidung, mit grauen Haaren, Falten und jeder Menge Attitude. Sie sehen glücklich aus. Lebendig. Neugierig. Endlich kommen meine Role Models jenseits der 70, denke ich mir. Aber halt – das sind alles KI Bilder. Was medial kaum abgebildet wird, muss erst mit KI erschaffen werden? Um abzubilden, was nicht gesehen wird?

Accounts wie Funky Nanas, Digital Wild Art oder Jonas Peterson AI gehen gerade komplett durch die Decke. Hinter den Accounts verstecken sich KI-KünstlerInnen, die Universen erschaffen, in denen alte Frauen die höchste Stufe der Souveränität erreicht haben: Sie haben alles überlebt. Sie sind immer noch da. Und sie geben keinen Fuck mehr!

Wer steckt hinter den "Funky Nanas"?

Die Schöpferin der Funky Nanas ist Samira Marke. Sie ist 36 Jahre alt und kommt aus Mönchengladbach. Was für Marke als KI-Spielerei begann, entpuppt sich als Zeitgeist-Bombe. Die Social-Media Managerin hatte Spaß daran, mit KI Bilderwelten zu erschaffen, in denen auch die alten exzentrischen Damen aus Mönchengladbach vorkommen, ihre Schwiegermutter und eine Version ihrer Oma – wie Marke sie gerne gehabt hätte: Lebensfroh und bunt. Als ihr plötzlich Frauen aus aller Welt schreiben, wie gesehen sie sich fühlen, und dass sie noch mehr alte Frauen sehen wollen, widmet Samira Marke ihren Account um und konzentriert sich ganz auf "Funky Nanas". Ihre Bilder werden nun teilweise bis zu 6 Millionen mal angeschaut. Weltweit.

Die alten Frauen im Funky Nana Universum tragen, was sie wollen. Sie machen einen Trip nach Marrakesch oder tänzeln im Wald vor sich hin. Sie sind dick, sie sind dünn und sie kommen aus der ganzen Welt. Diese bunte Diversität mit KI herzustellen, ist gar nicht so einfach. Denn KI reproduziert erstmal das, was es medial schon gibt: "KI hat ja auch viel mit Bias zu tun. In der Regel, wenn du einen simplen Prompt eingibst, kommt einfach ne weiße junge Frau heraus. Das, was ich mache, ist tatsächlich super komplex. Manchmal, wenn ich nicht viel Zeit habe, sind die alle dünn. Weil das halt der default ist, der ausgespuckt wird. Dicke Menschen herzustellen, ist wirklich schwierig. Und da kriege ich aber auch sofort einen drüber von der Community, ne ne ne, wir sind nicht alle spindeldürr. Und ich so, ok ok ok", erzählt Samira Marke verschmitzt.  

Wie können schöne alte Frauen ausschauen?

Wie definieren wir Schönheit jenseits von Sexyness? Jenseits von Fitness? Jenseits der Jugend? Ein weiterer Account, der das abbilden möchte, ist Digital Wild Art. Dr. Sam Martin ist Ende 40, arbeitet als Datenwissenschaftlerin und lebt in London. In ihrer Freizeit erschafft sie ein Schwarzes KI Universum, in dem Frauen souverän alt werden. Ähnlich wie für Samira Marke ist auch für Sam Martin das Arbeiten mit KI eine Herausforderung. Während in den Medien Falten wegretuschiert werden, müssen KI-KünstlerInnen diese Falten erst herstellen, um sich der Realität lebensecht anzunähern. Wenn dann noch Attribute wie bunte Kleidung, stolzer Blick und individuelle Attitüde hinzukommen sollen, wird es komplex.

Sam Martins alte Frauen begannen als künstlerische Studie. Und als Hommage an ihre Mutter, die gerade auf die 90 zugeht. Ich frage Sam Martin, wie sie "Schönheit im Alter" definiert, und ihre Antwort klingt für mich zunächst wie ein abgedroschenes Gedicht. Aber dann lege ich meinen Zynismus ab und lese ihre Antwort nochmal und nochmal:

"Beauty is growth through experience, growth from feelings of helplessness to understanding, from learning, to knowledge to wisdom. It is the traces of the sun on your face, the curves and muscles on your body, the wrinkles on your skin, the evidence of a life lived, the echoes of smiles and tears and laughter, the thickening and greying of hair – the essence of being in this world. A woman’s beauty is in all these things, and this, I try to show in the works I create."

Was bedeutet Glück im Alter?

Kein Grund also, sich in beiger Funktionskleidung zu verstecken und die Haare verschämt auf jung tönen. Das Leben ist zu kurz für beige. Und müssen wir überhaupt "in Würde" altern oder dürfen wir auch albern bleiben? Und ist es okay, wenn wir nur für uns selbst stehen? Funky Nanas Schöpferin Samira Marke zeigt in ihrem KI Universum ganz bewusst keine Ehemänner, Kinder oder Enkelkinder. Wenn eine Nana mal mit einer anderen Person auftritt, dann mit einer Freundin. "Das ist so das letztendliche Ziel, das ich habe, dass ich nicht hier sitze und darauf warte, dass meine Enkel mich irgendwann mal besuchen kommen. Ich kenn halt genug Beispiele, meine Oma war selber so. Dann sitzt die da und dann raucht sie ihre Zigaretten und dann hört die laut Fernsehen den ganzen Tag, und dann geht sie schlafen", erzählt die Funky Nanas Schöpferin.

Werde ich noch tänzeln, wenn ich 80 bin? Werde ich noch neugierig sein? Und werde ich noch eine Freundin haben, mit der ich meine Pillen teile? Wenn ich mir die KI Universen der alten Frauen auf Instagram anschaue, habe ich zum ersten Mal ein Bild vor Augen, wie es sein könnte. Glück zu haben.