Bayern 2 - Zündfunk


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"Breathe Deep" Der Soulbrother der Londoner NuJazz-Szene Oscar Jerome beschwört die Aliens

So klingt Funk'n'Soul'n'NuJazz heute, am Puls der Zeit. Londonstyle. Der 28-jährige Oscar Jerome ist eines der ganz großen Talente der Londoner Jazzszene. Sein Debütalbum beweist das, meint Judith Schnaubelt. "Breathe Deep" ist unser Album der Woche im Zündfunk.

Von: Judith Schnaubelt

Stand: 19.08.2020 12:40 Uhr

Oscar Jerome | Bild: Caroline / Denisha Anderson

Das Klügste, was ein junger Popmusiker mit hoher Affinität zu Hip-Hop, Jazz und Afrobeat im sich abschottenden England tun kann ist: Verbündete zu machen... die Band steht schon bereit, hi and hallo!... und gleichzeitig die Außerirdischen zu beschwören. Er schlägt ein paar Töne auf seiner Gitarre an, verstärkt sie und lässt den Sound w e i t  atmen – „breathe deep“ – damit Raum entsteht für die Aliens. Und dann – stell ich mir vor – nimmt er selbst die Gestalt eines großen weißen Vogels an und harrt der Dinge.

Anrufung also der guten Aliens, jene der Sonic Fiction, der Mothership Connection, des kosmischen Exils. Space is the Place. Ich seh' sie vor mir: Sun Ra, George Russell, Bernie Worrell, Guru, James "Drexciya" Stinson, Toni Allen... Mit "Searching For Aliens" beginnt Oscar Jeromes Album "Breathe Deep". Und es dauert genau 47 Sekunden. 47? Die immer wiederkehrende Zahl aus "Star Trek"? Ist es so?

Am Puls der Zeit. Londonstyle

Hat Oscar die Absicht eine neue "Föderation Vereinigter Planeten" zu gründen? Es wäre nur konsequent. Im Irdischen ist er ja schon verdammt weit gekommen; ist immer der "Black Atlantic"-Route gefolgt, dieser weiße Vogel, Westafrika - England - USA - Karibik. Das ist in jeder Minute seines Wunderalbums zu hören und auch, dass der weiße Vogel auf seinem langen Weg des Lernens und Nachspürens ziemlich schwarz geworden ist. So klingt Funk'n'Soul'n'NuJazz heute, am Puls der Zeit. Londonstyle. Aber Oscar hat auch den Blues. Kein Wunder.

„Die Sonne scheint immer auf dieser Welt für irgendeinen.
Aber sie glänzt nicht für alle; und sie ist nicht da, wenn man sie gerade bräuchte.
Das ist traurig, aber wahr. Ihr leugnet das, dabei ist alles so klar.
Die Erde wird seufzen, wenn sie uns sterben sieht, uns und unsere Kriegslust.
Das ist doch paradox, schreit einer, aber es ist keine Lösung in Sicht.
Rußschwaden vernebeln mein Gehirn.
Der Himmel ist schwarz, mitten am Tag, mein Haar wurde grau und ich verliere den Überblick.“

Wie alles prächtig groovt in "Sun For Someone" und der Bass rollt, doch sie findet gerade jetzt statt, die Klimakatastrophe. Der weiße Vogel Oscar flattert, warnt, plädiert, versucht's mit Coolness, mit Soul und einer tollen Blues-Impro, der Chor mit Westcoast-Harmonien. Aber alle anderen sind auf dem Weg, Richtung Weltuntergang, taub geworden von vielen Lügen.

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Oscar Jerome - Sun For Someone | Bild: OscarJeromeVEVO (via YouTube)

Oscar Jerome - Sun For Someone

Die Rettung der Welt

Die Dringlichkeit des ersten Songs "Sun For Someone" setzt den Ton des Albums, hat alle Energie eines Jeromschen Livekonzertes und macht Oscars Anliegen klar: Erstens: Die Rettung unser Welt. Zweitens: Widerstand gegen alles, was zum Untergang beiträgt wie neoliberale, inhumane Wirtschaftskonzepte, die das Leben von so vielen beeinflussen: "Die uns treffen. Die uns bestehlen", scattet Oscar Jerome. "Gebt zurück, was ihr mir gestohlen habt. Wir stehen auf und sagen: Nein." Das schreit er nahezu.

Der wie immer fantastische Drummer Ayo Salawu hält hier die Spur. Ein jazzendes Saxophon setzt ein, wie zum Support des schwarzen Vogels. Ja, die alten Aliens sind an seiner Seite, aber auch viele Freunde aus der Londoner NuJazz-Szene – von Kokoroko, Ezra Collective, Maisha oder den Sons of Kemet. Später wird Lianne La Havas singen. Und Rapper Brother Portrait dichtet für den Song „Your Saint“ ergreifend.

Das Ganze ist ein Abgesang auf die Gier nach Geld. Die Chöre, die schon von Anfang an leise präsent waren, werden jetzt zum Chor aller Erdlinge. Auch die Bläser. Und die Stimme von Brother Portrait reflektiert die Essenz des Blues. Alles kumuliert zu einem wunderbaren, aber anstrengenden Ausflug in den Freejazz. Aber hey, wer hat gesagt, dass die Rettung der Welt einfach wird?

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Oscar Jerome  - Your Saint ft. Brother Portrait | Bild: Oscar Jerome (via YouTube)

Oscar Jerome - Your Saint ft. Brother Portrait

Space is the place. Joy is you

Das Ende vom Song „Your Saint" wirkt wie eine Katharsis. Danach besinnt sich der schwarze Vogel auf den weißen Vogel und gemeinsam heben sie ab, schwingen sich hoch über die Ozeane und fliegen, fliegen, fliegen. Der Liebe entgegen. Space is the place. Joy is you.


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