Bayern 2 - Zündfunk

Queerer Techno “Letzten Endes hat auch die Technokultur das Patriarchat noch nicht abgeschafft”

Die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Laura Aha über die Ursprünge queerer Partys – und warum Techno zum wichtigen Saferspace für Minderheiten wurde.

Von: Dominik Kalus

Stand: 16.07.2024

Eine DJ legt im Club Re:mise auf. | Bild: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Laura Aha schreibt eine Kolumne für den Techno-Club Berghain und legt selbst unter dem Künstlernamen “Harry Nipples” auf.

Zündfunk: Wie sieht für dich die perfekte queere Technoparty aus?

Laura Aha: Ich glaube, das wäre für mich vor allen Dingen eine Sache des Vibes, also dass sich alle Leute dort frei fühlen und sich ausleben, und so sein können, wie sie sind. Queere Partys sind ja oft auch sexpositive Partys, weil es eben gesonderte Räume immer wieder in der Geschichte gegeben hat und auch heute noch geben muss, in denen queere Menschen sich begegnen können und eine Art Saferspace für sich haben. Also ich könnte gar nicht sagen, was jetzt die ideale Musik wäre, die da laufen würde; es geht mehr um so ein Gefühl, dass sich die Leute da einfach safe fühlen.

Warum ist die queere Szene gerade mit Techno so stark verbunden?

Wenn man heute von außen auf die Techno-Szene schaut, sieht man erstmal ne ganze Reihe weißer Cis-Männer hinter dem DJ-Pult und in der Crowd. Aber der Ursprung dieser Kultur liegt in den queeren, schwarzen Szenen in New York, in Chicago, in Detroit oder San Francisco. Die Vorläufer begannen schon in der Diskokultur der 1970er-Jahre, die Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den USA – eine wahnsinnig aufgewühlte Zeit, in der auch die Gay-Pride-Bewegung angefangen hat. Es gibt viele verschiedene Szenen, in denen sich Dance Music Culture entwickelt hat, aber maßgeblich verantwortlich dafür waren Leute aus marginalisierten Gruppen; queere Menschen, People of Colour. Es ist interessant, dass man das heute nicht mehr so richtig auf dem Schirm hat.

Jetzt heften sich ja immer mehr Partyreihen das Label “queer” an und auf Social Media gibt es immer mehr Videos, in denen Leute ihre Fetisch-Outfits besprechen. Siehst du die Gefahr, dass das Ganze zu kommerzialisiert wird und zu Fashion verkommt?

Ja, ich glaube diese “Gefahr” in Anführungszeichen besteht ja immer, wenn irgendetwas populär wird. Das ist eigentlich so ein ganz normaler Lauf der Dinge, dass eine Subkultur irgendetwas für sich erfindet und sobald der Mainstream darauf aufmerksam wird, wird es größer und dann auch von Leuten angeeignet, die nicht selbst aus dieser Szene kommen. Die Ballroom Culture und das Voguing zum Beispiel sind ja auch einfach in marginalisierten Gruppen in New York entstanden und wurden dann unter anderem durch Madonna zu einem Riesending. 

Das ist so ein bisschen ein zweischneidiges Schwert. Einerseits finde ich es schön, dass jetzt gerade in Bezug auf dieses Fashion-Element, eine gewisse Demokratisierung oder Normalisierung stattfindet. Dass man halt nicht sagt “Ok, Leute, die Fetisch-Klamotten tragen, sind Freaks”, sondern es ist jetzt irgendwie cool und wird akzeptiert, dass man das ausleben darf. Aber klar, natürlich sollte man sich immer bewusst machen, dass das auch Codes sind und wo das herkommt und da eben auch mit einem gewissen Respekt umgehen.

Inwieweit bestehen Machtverhältnisse außerhalb der Techno-Szene auch in der queeren Technowelt fort? Oder anders gefragt: Spürt man das Patriarchat auch im Techno?

Natürlich besteht das Patriarchat auch in der Techno-Szene. Wir können ja leider nicht außerhalb dieser Welt existieren, auch wenn man sich das noch so sehr wünschen würde. Es ist immer noch so, dass die meisten DJs heutzutage Männer sind. Mittlerweile wird zwar an einer Fifty-Fifty-Quote auf den Line-ups gearbeitet und da ist auch viel passiert in den letzten Jahren. Aber, wenn man nach den Machtpositionen fragt – also wem gehören die Clubs, wem gehören die Booking-Agenturen oder die Studios – da ist halt einfach doch der allergrößte Teil immer noch in der Hand von Männern. Letzten Endes hat auch die Technokultur das Patriarchat noch nicht abgeschafft.

Wenn ich jetzt daran denke, wie viele Großkonzerne zum Beispiel den CSD unterstützen oder sich im Pride Month eine Regenbogenflagge aufs Konzernlogo klatschen – würdest du sagen, dass queere Kultur noch Subkultur ist?

Den Begriff Subkultur finde ich hier ein bisschen irreführend, weil ich dabei an Musikkulturen und ihre Codes denke.  Aber Queersein ist ja eine Realität, die man sich nicht aussuchen kann. Und es ist gesellschaftlich gesehen immer noch eine Minderheit, die einfach nicht so viel Mitspracherecht hat in ihren Anliegen. Dass es jetzt in den letzten Jahren dafür mehr Sichtbarkeit gibt, ist super – aber da sollte man sich jetzt auch nicht zu sehr in Sicherheit wiegen, denn das kann sich mit jeder politischen Veränderung auch wieder umkehren. Das hat man ja in den USA gesehen, dass dann auf einmal irgendwie die Pride-Flaggen doch wieder abgehängt werden und ein Unternehmen wie Budweiser seine Meinung auch schnell wieder ändern kann. Also ich glaube, man darf sich da nicht täuschen lassen. Nur, weil jetzt irgendwie eine Pride-Flag auf einem Banner ist, heißt das nicht, dass wir deswegen schon in der Gleichberechtigung angekommen wären.