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Techno & Tiktok Wie der Hard-Techno-Trend auf Social Media die Rave-Kultur verändert

Hard Techno kommt bei einer neuen Raver-Generation extrem gut an. Durch Plattformen wie Tiktok erreichen dabei Acts wie das Münchner Duo Schrotthagen sehr schnell ein Millionenpublikum – und verändern so die Regeln der Szene.

Von: Sandra Lohse, Dominik Kalus

Stand: 06.06.2024 | Archiv

Raves seien sehr "bildergetrieben" geworden | Bild: cloudy.mp3_/Gotec Club/Instagram

Giovanni Berg stellt sein Smartphone auf Selfie-Kamera um und lehnt es an eine der Boxen, die links und rechts von drei großen Bildschirmen stehen. Sein Kompagnon Dieter Schleip zupft die graue Kuscheldecke, die er sich umgeworfen hat, zurecht, dann kann es losgehen: Ein Selfievideo für Tiktok und Instagram. Es ertönt ein sphärisches Intro, dann droppt der Bass – und Giovanni wirbelt ekstatisch auf seinem Stuhl hin- und her, während der mehr als doppelt so alte Dieter entspannt in seine Kuscheldecke nickt.

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Instagram-Beitrag von schrotthagen | Bild: schrotthagen (via Instagram)

Mit Videos wie diesen ist das ungleiche Techno-Duo "Schrotthagen" zu Social-Media-Stars geworden. Denn der ziemlich schnelle und dreckige Hard-Techno wird auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram millionenfach aufgerufen, vor allem von den jüngeren Leuten. Doch der Trend ist dort nicht geblieben, sondern schwappt vom Internet aus auf die Bühnen der Clubs und Festivals.

Corona und Tiktok haben Hard Techno massentauglich gemacht

"Wir merken, wenn wir Newcomer aus der Hard-Techno-Szene buchen, dass da die junge Generation sehr krass am Start ist und das auch in Richtung Kommerzialisierung und Mainstream geht und damit auch aus unserem Wirkungsfeld heraustritt", erzählt Alioune Diop, Headbooker des Münchner Clubs Rote Sonne. Techno sei nun "sehr gesellschaftstauglich" geworden, fügt sein Kollege Timo L’homme hinzu. Früher seien auf Techno-Partys vor allem Menschen aus der Techno-Szene am Start gewesen, heute beobachte man ein viel breiteres Klientel.

Angefangen hat der Trend in der Corona-Pandemie. Clubs hatten zu – also holte sich der Techno-Nachwuchs seine musikalische Bildung, wie Diop es nennt, auf Social Media. Und dort waren eben Kurzvideos mit hartem Techno besonders erfolgreich. Der Tiktok-Algorithmus kann dabei Hobby-Soundbastler:innen quasi über Nacht zu gefragten Live-Acts machen. Dies spürt man auch beim Booking in der Roten Sonne: "Die Künstler und Künstlerinnen, die wir heute buchen, die machen seit zwei Jahren erst Musik – und zwar im Schnitt", sagt Timo L’homme. Also kein mühsames Hochspielen mehr, keine jahrelangen Scheißgigs in schwitzigen Kellerräumen, kein Step-by-Step-Steigern mit Rückschlägen und Regrets – sondern aus dem Homestudio direkt in den ausverkauften Club.

Schrotthagen: Film-Komponisten mit einem Faible für Hard Techno

Auch wenn Schrotthagen ihren Sound gerne mit Flohmarktfunden produzieren: Hobby-Soundbastler sind sie definitiv nicht – ganz im Gegenteil. Die beiden komponieren eigentlich Musik für Filme. Der 62-jährige Dieter Schleip ist in der Filmbranche seit Jahrzehnten gefragt; vor zehn Jahren schloss sich ihm der damals 18-jährige Giovanni Berg an. Für eine Clubszene in einem Krimi schrieben die beiden im vergangenen Jahr ein Techno-Stück. Die Musik gefiel ihnen so gut, dass sie sie auf Social Media posteten, und viral gingen. Millionen Aufrufe, über 200.000 Instagram-Follower innerhalb eines Jahres – das Techno-Duo Schrotthagen war geboren. "Ich denke Authentizität und Emotion setzen sich immer noch durch", sagt Schleip. "Das funktioniert da auch."

Wie Tiktok die Tanzfläche verändert

Blitz-Karrieren wie die von Schrotthagen verändern bisherige Spielregeln und Abläufe in den Clubs, erzählt Alioune Diop. Raves seien sehr "bildergetrieben" geworden. Denn die Leute hätten die Social-Media-Videos im Kopf, auf denen die Menge vor dem Pult auf dem Peak ausrastet – und würden mit dieser Erwartungshaltung auf die Tanzfläche kommen. Dass ein Höhepunkt erst einen Vorlauf braucht, dass es dauert, bis das Publikum warm ist und die Stimmung authentisch, das wüssten viele Besucher:innen nicht – und auch DJs seien teilweise schon mit dem harten Peak-Set einfach eingestiegen.

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Instagram-Beitrag von cloudy.mp3_ | Bild: cloudy.mp3_ (via Instagram)

Für Clubs ist aber vor allem ein anderer Aspekt problematisch: Denn viele durch Social Media groß gewordenen Acts würden für ihren Fame entsprechend Gagen verlangen – die sich kleine Clubs kaum leisten können. Timo L'homme erzählt von Preis-Sprüngen um die Tausend Euro, teilweise pro Monat. Alioune Diop ist sich allerdings auch sicher, dass der Techno-Trend wieder abflauen wird. Die neuen Spielregeln auf der Tanzfläche stören ihn nicht. "Wir leben in einer sich verändernden Welt. Es kommen neue Dinge und es gehen alte Dinge, das ist einfach jetzt der Zeit-Frame, in dem wir uns befinden."

Die Kuscheldecke kommt mit auf Tour

Schrotthagen veröffentlichen gerade ihr zweites Album und gehen damit auf Tour

Und diesen Zeit-Frame wollen Schrotthagen ausnutzen. Gerade ist ihr zweites Album "Sturm und Drang" erschienen und für Dieter Schleip ist Techno eh längst mehr als Spielerei. "Früher dachte ich, dass das sehr stumpfe Musik ist. Jetzt würde ich sagen: Du hast da sehr viel Freiheit", sagt der 62-Jährige. Dieses Jahr will das Duo dann auf Tour mit 26 Konzerten gehen. Und das Markenzeichen von Schrotthagen, die Kuscheldecke, komme natürlich mit auf Tour.