Unwort des Jahres: "Remigration" "Das ist nichts anderes als die Ankündigung von ethnischen Säuberungen"
Michael Kraske beschäftigt sich seit Jahren sehr intensiv mit der AfD im Osten und ihrer Wählerschaft. Wir haben mit dem Journalisten über die Correctiv-Recherche gesprochen, warum die aufgedeckten Pläne nicht neu sind und was im Umgang mit der AfD jetzt wirklich wichtig ist.
„Remigration“ ist das Unwort des Jahres 2023 und damit wird leider ganz brandaktuell noch einmal sehr deutlich klargestellt, dass es sich dabei um einen Kampfbegriff aus dem rechtsextremen Spektrum handelt und nichts anderes als Massendeportationen meinte und beschönigt.
Das hat zuletzt die Berichterstattung des Recherchenetzwerks Correctiv letzte Woche belegt: Demnach haben sich hohe Politiker von der AfD, Unternehmer, Mitglieder der Werteunion und ein Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung in der Nähe von Potsdam in einem Landhaus getroffen und geplant, wie man Menschen mit Migrationshintergrund, deutsche Bürger oder sonst auch politisch unbequeme Menschen aus dem Land schaffen könne.
Der Journalist Michael Kraske lebt in Leipzig und beschäftigt sich seit Jahren sehr intensiv mit der AfD im Osten und ihrer Wählerschaft.
Zündfunk: Glauben Sie, dass ein Bericht wie die Correctiv-Recherche noch irgendeine abschreckende Wirkung auf potenzielle AfD-Wähler hat?
Michael Kraske: Das ist ja alles nicht neu. Das ist eine wichtige Recherche. Aber Höcke hat dieses vermeintliche "Remigrationsprojekt mit wohltemperierter Grausamkeit" ja schon vor Jahren angekündigt, und es hat keinen Aufschrei gegeben. Das ist alles bekannt und soll in die Tat umgesetzt werden, das zeigt diese Recherche noch einmal ganz klar. Bei diesem Projekt handelt es sich nicht um Abschiebung, sondern um ethnische Säuberungen. Es geht darum, deutsche Staatsbürger ihrer Rechte zu berauben, Menschen rechtlos zu machen und dann zu deportieren. Ich fürchte aber, dass es tatsächlich inzwischen so weit ist, dass auch dieser klare Befund keine abschreckende Wirkung auf die Wählerschaft in Gänze haben wird.
Der Verfassungsschutz stuft die AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als gesichert rechtsextrem ein. Ist den potenziellen AfD-Wählern diese Einstufung als egal oder wählen sie die AfD genau aus diesem Grund?
Man muss schon sagen, dass viele die AfD inzwischen wegen und nicht trotz ihrer Radikalität wählen. Vielen ist tatsächlich dieses Label Rechtsextremismus egal. Rechtsextreme Positionen sind in der Gesellschaft so weitverbreitet, dass sie vielen normal erscheinen. Das sind nicht alles gestandene Rechtsextremisten, sondern die bloße Politik, die vermeintlich für alle Deutschen gemacht werden soll, für deutsche Kinder, für deutsche Frauen und gegen Ausländer. Das ist das Einfallstor, das die AfD dann nutzen kann. Aber dass das Ganze eben eine völkische Gesellschaft sein soll, die auf Ausgrenzung und Diskriminierung und letztlich auch der Entrechtung von Menschen beruht, das wird ausgeklammert. Und man muss natürlich auch die Wählerschaft mit den Folgen konfrontieren, die ihr Wahlverhalten hat.
Die demokratischen Parteien sind bisher mit ihren Versuchen, die AfD einzudämmen, gescheitert. Sehen Sie einen Weg, wie das gelingen könnte?
Es fehlt im Moment gute Sachpolitik, also Lösungen für konkrete Fragen und für konkrete Probleme. Das ist auch den vielen Krisen seit Corona geschuldet: die Preisentwicklung, die Energiesicherheit. Es fehlt aber auch eine große demokratische Gegenerzählung. Es fehlen Akteure aus der Zivilgesellschaft, die aktiv werden, und die viel beschworene schweigende Mehrheit, die ganz klar macht: Nein, wir wollen kein Zurück zu einem völkischen Deutschland. Und ein ganz großes Problem ist, dass man versucht, die Narrative der AfD aufzugreifen, zum Beispiel zum Thema Migration oder den Kulturkampf von rechts mitzuführen gegen vermeintliche Gendersprache etc. Das sind alles Irrwege.
Wie bewerten Sie den Umgang der Medien mit der AfD? Es heißt oft, es ist zwar keine demokratische Partei, aber sie ist demokratisch gewählt und deshalb dürfe sie auch in Talkshows sitzen oder sie müsse gehört werden. Gleichzeitig gibt es so eine gewisse Faszination mit der Radikalität.
Ich beobachte da eine große Verunsicherung. Denn genau dieses Missverständnis, das herrscht vor: Das ist es eine demokratisch gewählte Partei, also ist sie demokratisch. Nein, das ist sie nicht. Sie ist eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei, und als solche muss man sie auch kennzeichnen. Wenn jetzt beispielsweise ganz unkritisch in der Berichterstattung von "Remigration" die Rede ist, ohne zu erklären, dass das ein ideologisches, rassistisches Gewaltprojekt ist, befördert man am Ende auch die Begriffe. Leute wie Höcke, die haben das längst klargestellt, dass sie den Kampf um die Begriffe, den Kampf um die Köpfe führen. Und bei diesem Kampf sind sie leider schon weit fortgeschritten. Die Medien sind dringend angehalten, eine Strategie zu entwickeln, wie sie sachlich-objektiv über die AfD berichten, ohne aber ihre Radikalisierung und den Rechtsextremismus der Partei auszublenden. Unkritische Sommerinterviews oder Talkshoweinladungen, weil man meint, die AfD ob ihrer Größe berücksichtigen zu müssen, sind sicherlich der falsche Weg.
Laut aktuellen Umfragen ist die AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Moment mit teils deutlichem Abstand stärkste Partei. In Sachsen und Thüringen etwa zwischen 34 und 37 Prozent, in Brandenburg 32 Prozent, im Herbst finden da ja die Landtagswahlen statt. Wie geht es Ihnen mit diesem Blick in die Zukunft?
Mein Eindruck ist, dass das in weiten Teilen noch nicht verstanden wird, weder in der Politik noch in der Gesellschaft, was für ein großes politisches Beben zu erwarten ist. Wir könnten erleben, dass die AfD nicht nur stärkste Kraft wird, sondern dass die Regierungsbildungen schwer werden, dass die gesamte politische Tektonik in den Bundesländern im Osten, in denen gewählt wird, ins Rutschen gerät – mit Dominoeffekten, die dann natürlich auch in den Westen strahlen. Das Ganze ist nicht nur ein Ostphänomen, sondern auch im Westen gerät etwas ins Rutschen. Dieses Tabu, dass man keine Nazis und dass man keine Rechtsextremisten wählt, das war lange Zeit im Westen noch sehr viel wirksamer. Und die letzten Wahlen haben leider gezeigt, dass auch hier ja dieses Tabu nicht mehr so zieht, dass auch hier Menschen eine autoritäre bis rechtsextreme Politik, diese Scheinlösungen in Erwägung ziehen und der AfD ihre Stimme geben.