Millennials und ihre Helden Wie toxisch war Rory in den Gilmore Girls?
Rory Gilmore und Carrie Bradshaw waren die beliebtesten weiblichen Serienfiguren der Millennials. Wer es wohlig mochte, schaute Gilmore Girls. Wer es schrill mochte, schaute Sex and the City. Nun aber werden sie demontiert – von Fans, die erwachsen geworden sind.
Millennials sehen die Helden und Antihelden ihrer Jugend plötzlich mit anderen Augen. Derzeit häufen sich Inhalte und Kommentare zur Frage, wie schlimm einstige Serienhelden eigentlich waren, und wie missverstanden dafür Andere. Meistens wandern diese Nerd-Diskussionen von einem Sub-Reddit aus nach Tik Tok und Instagram. Am häufigsten wird derzeit die Persona Carrie Bradshaw von "Sex and the City" diskutiert. Als 2010 der zweite Film zur Serie erschien, gab es schon einmal eine Reihe an Artikeln, die mit frischem Blick auf die Serienheldinnen schauten und sich fragten, ob Carrie eigentlich schon immer so furchtbar war. Aber die große Welle war das noch nicht. Seit diesem Jahr gibt es aber nun sämtliche alte Folgen der Serie auf Netflix. Und nun können wirklich alle mitreden. Gen-Zs, die sich nicht identifizieren können. Und Millennials, die sich nicht mehr identifizieren können.
Unser Heldinnen hätten lieber mal in Therapie gehen sollen
Ist es, weil wir jetzt 40 werden und die Welt anders sehen, als wir es mit 20 taten? Haben wir uns damals vielleicht etwas zu sehr identifiziert und schämen uns jetzt fremd? Oder ist es das neue Vokabular? Als die Serien damals liefen, waren Wörter wie „toxisch“ oder „bindungsgestört“ noch nicht salonfähig. Heute aber fragen wir: War Carries große Liebe Mr. Big wirklich das Problem? Damals mit 20 dachte ich das. Heute denke ich, dass Carrie ernsthafte Komplexe hat und keine Partnerschaft eingehen sollte, solange sie das nicht reflektiert hat.
Das hobbypsychologische judgen über imaginäre Personen bringt Spaß. Demontage bringt Spaß. Und offene Rechnungen mit einstigen Weggefährten wollen beglichen werden. Und geht es weniger darum, wie politisch progressiv die Figur war – denn eine Serie ist immer ein Kind seiner Zeit, daher ist das müßig. In den Diskussionen geht es eher um den Charakter der Person, die von den Serienmachern immerhin als Sympathieträger erdacht und als Identifikationsfigur angeboten wurde.
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Carrie Asks Mr. Big Why He Didn't Pick Her | Sex and the City | HBO
Die Demontage von Rory Gilmore
Daher werden auch scheinbar unproblematische Charaktere wie Rory Gilmore von den Gilmore Girls neu bewertet. Und ich begrüße das sehr. Denn ich war ein großer Gilmore Girls-Fan und hatte schon immer das leise Gefühl, dass Rory einen an der Waffel hat. Heute diskutiert das Netz, wie Besitzergreifend Rory ihren Exfreund Dean behandelt hat. Oder wie unschuldig und naiv sie Chaos stiftet, und am Ende weint, wenn jemand böse auf sie ist. Was im Netz noch nicht erwähnt wurde, und was aber aus meiner Sicht noch hinzugefügt werden muss: Rory ist absolut nicht leidensfähig.
Als die Gilmore Girls 2004 ins deutsche Fernsehen kamen, machte ich gerade mein Abi und suchte meinen Weg in der Welt. Auch ich wollte Journalistin werden, wie Rory. Und auch mir wurden Steine in den Weg gelegt. Aber ich hätte mich niemals so verhalten wie meine fiktive Freundin.
Rory wurde von ihrer Mutter, ihren Großeltern und von sämtlichen Dorfbewohnern als Gottesgeschenk betrachtet. Belesen und neugierig und unfassbar schlau. Ihr erstes Praktikum bei einer Tageszeitung verläuft dann aber nicht so gut. Der Chefredakteur zweifelt, ob sie „es“ wirklich in sich hätte, was es braucht. Und diese eine schlechte Bewertung veranlasst sie zu einem Nervenzusammenbruch, zum Klau einer Yacht und zum Schmeißen der Uni. Und Schuld war natürlich der Chefredakteur mit seiner schlechten Bewertung. Resilienz war nicht ihr Ding. Gott sei Dank war die Serie zur Finanzkrise 2008 abgedreht, und Rory musste sich keiner härteren Welt mehr stellen.
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rory & logan (46)
Wären wir heute noch mit Carrie oder Rory befreundet?
Wie gesund das ist, sich mit ausgedachten Personen zu vergleichen, ist ein anderes Thema. Aber dass die Figur Rory demontiert wird, halte ich für sehr erfrischend. Diese dumme Gans. Echt.
Der Perspektivwechsel auf einstige Helden und Antihelden macht aber vor Sex and the City und Gilmore Girls nicht halt. Hatte Stromberg, der alte Mansplainer, am Ende Recht? Und wie gestört war eigentlich Mrs. Doubtfire? Je ernster wir diese Fragen behandeln, desto weniger Spaß machen sie. Aber mal im Ernst: Pierce Brosnan war das Beste, was Sally Field passieren konnte.
Die Neubewertung alter Helden und Antihelden hat nichts mit Cancel Culture zu tun und ist weniger politisch – als vielmehr persönlich. Auch wir waren mal toxisch und dumm, haben uns aber im Idealfall weiterentwickelt. Haben wir doch. Oder? Wie wäre meine Figurenentwicklung, würde man mich schreiben?