BR Schlager


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Die Geschichte des Soldaten Alois Gmeindl "Und dann ins KZ als Dank vom Vaterland"

"Schau's dir mal an!" Mit diesen Worten drückte mir Hans Gmeindl, unser 93-jähriger Nachbar, im Herbst 2014 einen Umschlag in die Hand. "Das hat mein Bruder zu Papier gebracht, als er 1945 aus dem KZ gekommen ist. Danach hat er nie mehr darüber geredet." Zwölf Blätter, beidseitig eng beschrieben, drei kleine Zeichnungen. Hans hatte sie wenige Tage zuvor wieder zu Gesicht bekommen, nach 69 Jahren. Seine Nichte, Alois' Tochter, hatte sie aus England geschickt.

Von: Cornelia Krings

Stand: 05.03.2015 | Archiv

Foto von Alois Gmeindl, Zeichnung aus seiner Niederschrift | Bild: Hans Gmeindl; Montage: BR

Alois Gmeindl, Sohn eines Ziegeleibesitzers aus dem oberbayerischen Schnaitsee, war Anfang 1943, kurz nach seinem 18. Geburtstag, zu den Gebirgsjägern eingezogen worden. Seine zwei älteren Brüder, Hans und Josef, standen bereits im Feld. Alois kämpfte zunächst in Russland, dann in Polen. Im Herbst 1944 passierte das Unheil: Bei Radom kamen er und ein österreichischer Kamerad von der Truppe ab. Sie schlugen sich zur Frontleitstelle in Litzmannstadt durch.

Eine "unerlaubte Entfernung" und ihre Folgen

"Von hier aus bekamen wir den Marschbefehl nach Augsburg. Dort machte ich 14 Tage Dienst und sollte auf Abstellungsurlaub fahren. Da kam von meiner Truppe vom Felde ein Oberfeldwebel, der sollte uns zu unserer Einheit zurückholen. Sie vermuteten nämlich, wir zwei seien abgehauen, obwohl wir auf ehrlichem Weg versprengt wurden. Mit meinem Urlaub also war`s aus. Der Feldwebel sagte uns, wir kämen zu einer Strafkompanie. Mein Freund M.G., Schütze zwei, ein Zillertaler, brachte mich dann so weit, daß ich mit ihm nach seiner Heimat, auf einem Berge, flüchtete."

Aus dem Bericht von Alois Gmeindl

Scheinbares Idyll: Schnaitsee im Krieg (Aufnahme von 1941)

Die beiden gelangten zu Fuß an ihr Ziel, doch die Polizei blieb ihnen auf den Fersen. Bei Eiseskälte versteckten sie sich im Gebirge. Alois beschloss, heimzukehren nach Schnaitsee. "Um zwei Uhr nachts kam ich nach Hause. Weinend öffnete mir mein Vater die Tür. Für meine lieben Eltern war es sehr schlimm. Auch ich merkte jetzt, was ich angefangen hatte. Aber durch meinen Freund war ich so verblendet."

Zwei Tage später stellte sich Alois den Behörden. "Mein guter Vater fuhr nun mit mir nach Rosenheim. Es war die Fahrt ins Leben oder in den Tod, war ich doch schon drei Wochen von der Truppe weg." Sieben Wochen lang musste er auf das Ergebnis der Untersuchung warten.

"Wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe zwei Jahre und sechs Monate Zuchthaus. Aber es würde mir geschenkt, wenn ich mich freiwillig zur SS melde. Da sagte ich, zur SS bringe mich keiner auf der Welt, jedoch gehe ich sofort wieder an die Front zur Wehrmacht. Es ist gut, war die Antwort. Es dauerte noch 14 Tage, da kam die Geheime Staatspolizei und man brachte mich nach Dachau. Also zuviel gesagt oder nichts Rechtes gesagt. Das war der Grund, daß ich ins Konzentrationslager kam. Zuerst eineinhalb Jahre beim Militär, davon sieben Monate an der Front in Rußland. Und dann ins KZ als Dank vom Vaterland."

Aus dem Bericht von Alois Gmeindl

Von Dachau nach Buchenwald

Tagsüber stundenlange Appelle im dünnen, blau-weiß gestreiften "Zebra-Anzug", in der Nacht eingepfercht mit 1.500 Mann in einer zugigen Baracke, kaum etwas zu essen, immer wieder Schläge mit dicken, ins Wasser getauchten Gummischläuchen. Dachau ist ein schwerer Schock für ihn. Nach 14 Tagen wird er ins KZ Buchenwald verlegt.

"60 Mann in einem Waggon, kein Ofen, kein Stroh und leicht angezogen, Anfang Dezember. War bestimmt kein Vergnügen. Die Fahrt dauerte drei Tage. Wir mußten immer sitzen, die Füße angezogen, sonst hätten wir nicht Platz gehabt. So ging`s dahin. Wenn du aufgestanden wärst, hätten sie dich nieder-geschossen."

Aus dem Bericht von Alois Gmeindl

Wenige Tage später wird Alois Gmeindl für einen Transport ins württembergische KZ Dautmergen ausgeschrieben. Das Lager im heutigen Zollernalbkreis war im August 1944 im Rahmen des Unternehmens "Wüste" errichtet worden. Dort und in sieben weiteren Außenstellen mussten die Häftlinge Ölschiefer abbauen, aus dem Treibstoff gewonnen werden sollte.

Karte: die tragische Odyssee des Alois Gmeindl

Bis April 1945 starben allein im KZ Dautmergen mehr als 2.000 Menschen an den Folgen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Misshandlungen. Es hätte wohl noch mehr Todesopfer gegeben, wäre nicht im Herbst 1944 der nach  einer schweren Verwundung frontdienstunfähige Luftwaffen-Feldwebel Erwin Dold nach Dautmergen versetzt worden. Der 25-Jährige sorgte gegen den Widerstand der SS für eine bessere Versorgung der Häftlinge. Nach dem Krieg wurde Dold als einziger KZ-Kommandant von einem französischen Militärgericht wegen erwiesener Unschuld freigesprochen.

Die Knochenmühle von Dautmergen

Dennoch galt Dautmergen bei den Gefangenen als "Hölle"  und "Knochenmühle". Der Transport mit Alois Gmeindl kam am Heiligen Abend 1944 an, morgens um sechs Uhr. Gleich begegneten sie den Häftlingen, die zur Arbeit getrieben wurden. "Sie glichen fast alle den Toten. Vollständig abgemagert und verfroren, glotzten sie uns an. Wir ahnten, was uns bevorstand."

Gmeindls handschriftlicher Bericht aus dem Jahr 1945

Es war grausam: Schiefer klopfen bis zur Erschöpfung, Tritte "mit den Schuhen in den Magen und in die Geschlechtsteile mit besonderer Vorliebe", eisige Temperaturen und  ständiger Hunger. "Oft passierte es mir, wenn ich früh wach wurde, daß neben mir ein Toter oder ein Sterbender lag. Die zog man vom Bett raus, auf den Boden, dort wurden sie nackt ausgezogen.

Nach ein paar Stunden kam das Totenkommando, die nahmen die Knochenskelette auf den Rücken, warfen sie in einen Zweiradkarren und fuhren sie auf die Wiese, wo immer zehn Mann in einem Loch begraben wurden, verschissen und verdreckt und verlaust, wie sie waren."

Zwangsarbeiter - hier: im KZ Dachau

Die meisten der Häftlinge waren osteuropäische Juden, Sinti und Roma. Als einer der wenigen Deutschen hatte Alois Gmeindl das Glück, nach einigen Wochen Steineklopfen dem Küchendienst zugeteilt zu werden. Und im März nahm ihn  ein Unteroffizier als Burschen in Dienst. Nun konnte er auch seinen Leidensgenossen helfen. "Wenn`s Kartoffel, Soße und Fleisch gab, so fraßen die Herren nämlich nur das Fleisch, das Übrige war meins."

Der Todesmarsch - in die Freiheit

Als Mitte April 1945 die Alliierten näherrückten, beschloss die SS, das KZ Dautmergen zu räumen. "Vorm Abmarsch wurden noch sämtliche Papiere verbrannt. Tausende von Häftlings-Bekleidungsstücken ebenso, aber vorher hatten wir nichts zum Anziehen bekommen." Hunderte Häftlinge machten sich, streng bewacht, von abgerichteten Hunden umkreist, auf den Weg Richtung Bodensee. Doch bald konnte die SS die geschwächten Männer nicht mehr vorantreiben.

"Zwei Tage sind wir schon ohne Fressen marschiert. Im Stadel sollten wir warten, bis Verpflegung herbeikäme. Wir schliefen schon im Stadel, auf einmal gab`s Alarm. Da waren unsere SS-Posten schon weg. Es waren so 20 Schuß gefallen, dann waren die Franzosen hier. Die 1. französische Pionierarmee hatte uns im raschen Vorstoß aus unserer Gefangenschaft befreit. Die Freude war unbeschreiblich."

Aus dem Bericht von Alois Gmeindl

Alois Gmeindl erreichte neun Tage vor Kriegsende sein Zuhause. Bis zur Kapitulation der Wehrmacht versteckte er sich  in einem Bienenhaus. Sein Bruder Hans, heute unser  Nachbar, floh im April von Italien über die Alpen nach Schnaitsee, wo er am 11. Mai 1945, drei Tage nach dem Ende des Alptraums, ankam. Josef, der Mittlere der Drei, blieb in Russland verschollen. Bayerische Burschen, blutjung.

Kurz nach dem Krieg heiratete Alois Gmeindl, wurde Vater von vier Töchtern. Bei einem Verkehrsunfall in der Nähe von Landshut verunglückte er tödlich. Er wurde 38 Jahre alt.


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