November 1918 Die unblutige Revolution
60.000 Menschen versammelten sich am 7. November 1918 auf der Theresienwiese. Aus der Großdemo wurde die bayerische Novemberrevolution. Kurt Eisner rief noch in derselben Nacht den Freistaat Bayern aus und setzte die Wittelsbacher ab - alles ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.
Richtig zu brodeln begann es zunächst im hohen Norden Deutschlands. Obwohl die Kriegsniederlage de facto längst feststand, wollte die Admiralität Ende Oktober 1918 die Hochseeflotte noch in ein Himmelfahrtskommando schicken. Doch die Matrosen meuterten - zunächst in Wilhelmshaven am 30. Oktober.
Der Funke sprang dann über nach Kiel, wo Matrosen am 4. November die Macht in der Stadt übernahmen. Kiel war das Fanal: Aus einer Meuterei wurde die Novemberrevolution, die sich wie ein Lauffeuer bis in den Süden Deutschlands ausbreitete.
Soldaten schließen sich Revolutionären an
Am 7. November erreichte sie auch München. Am Nachmittag jenes Tages versammelten sich die Massen einmal nicht wegen des Oktoberfests auf der Theresienwiese: 60.000 Menschen hörten dort die Kundgebungen von Kurt Eisner, Erhard Auer und zehn weiteren Rednern. Auer forderte in einer Resolution unter anderem die Abdankung des Kaisers, sofortigen Friedensschluss und Einführung des Achtstundentages. König Ludwig III. hatte zwar einige Tage zuvor einer Parlamentarisierung Bayerns zugestimmt, doch das war zu spät.
Aus strategischen Gründen hatte sich Eisner am Nordende der Theresienwiese postiert. Von dort aus waren die Kasernen schneller zu erreichen, zu denen er sich zunächst unbemerkt zusammen mit dem linksgerichteten Bauernführer Ludwig Gandorfer und 2.000 Demonstranten aufmachte. Die Soldaten waren zu kriegserschöpft, um noch Kraft oder Interesse zu haben, die Monarchie zu verteidigen. Viele schlossen sich dem Zug sofort an.
"Majestät, schaug'n S', daß hoamkumma, sunst is's g'fehlt aa!"
Angeblicher Zuruf eines Passanten an Ludwig III., der sich trotz der Unruhen am 7. November zunächst seinen täglichen Spaziergang im Englischen Garten nicht nehmen lassen wollte
Der König flieht aufs Land
Ludwig III., dem letzten Wittelsbacher Bayern-König, blieb nichts anderes übrig, als in einer Nacht- und Nebel-Aktion mit seiner Familie ins Schloss Wildenwart am Chiemsee zu fliehen. In der Eile vergaß er in der Residenz seine "Leibwäsche" (Unterhemden und Unterhosen), die ihm Eisner aber später nachsenden ließ. Am 12. November entband Ludwig III. die Beamten vom Treueid, was einer Abdankung gleichkam.
Machtwechsel im "Mathäser": Die Geburt des Freistaats
Die Revolutionäre hatten inzwischen alle Schlüssel-Einrichtungen wie Hauptbahnhof oder Regierungsgebäude besetzt. Am Abend bildete man im "Mathäserbräu" einen Arbeiter- und Soldatenrat sowie einen Bauernrat.
Es war bereits um Mitternacht, als Eisner im Landtag den "Freien Volksstaat Bayern" proklamierte. Der Revolutionsführer wurde von den Räten zum Ministerpräsidenten der neuen Republik Bayern gewählt und erklärte das Königshaus der Wittelsbacher für abgesetzt.
Knirschende Koalition
Zeit zum Schlafen fand man in jener historischen Stunde kaum. Schon am Vormittag des 8. November führte Eisner Gespräche zu einer Regierungsbildung. Am Nachmittag kam im Landtagsgebäude, damals in der Prannerstraße in der Nähe des Odeonsplatzes, erstmals der "Provisorische Nationalrat" zusammen. Eisner stellte sein Kabinett vor, eine Koalition aus USPD-, SPD- und parteilosen Politikern.
Bilanz einer Revolution: "Kein Schuss war gefallen, kein Tropfen Blut geflossen." (Sebastian Haffner)
Ihr gehörte auch Auer an. Der überrumpelte bayerische SPD-Führer nahm - zähneknirschend - das Amt des Innenministers unter dem USPD-Mann Eisner an. Obwohl Gegner der Räte musste Auer sie doch als Träger der revolutionären Staatsgewalt anerkennen.
Eisner hatte es tatsächlich geschafft: eine friedliche Revolution "innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Kein Schuß war gefallen, kein Tropfen Blut vergossen", bilanziert der Publizist Sebastian Haffner.
Die bayerische Bevölkerung reagierte weder mit Jubel noch mit Ablehnung auf die Revolution. Nach den strapaziösen Kriegsjahren schwankte die Stimmung zwischen Apathie und Hoffnungen auf einen Neubeginn.
7.000 Räte in Bayern
War es nun eine Münchner oder eine bayerische Revolution? Die Geschichtsschreibung verwendet beide Begriffe. Während der knapp sechs Monate vom 7. November 1918 bis zum Ende der Räterepublik war München zweifelsohne Hauptschauplatz der Ereignisse. Dennoch konstituierten sich auch in anderen Städten des neuen Freistaats Räte, etwa in Nürnberg, Fürth, Würzburg, Schweinfurt, Ingolstadt oder Kempten. Insgesamt gab es im Dezember 1918 etwa 7.000 Räte in ganz Bayern.
München zwei Tage vor Berlin
Der Druck der Novemberrevolution wurde so stark, dass ihm auch die Reichshauptstadt nicht mehr standhalten konnte. Am 9. November gab Kanzler Max von Baden in Berlin eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekannt, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im militärischen Hauptquartier in Spa befand, und offiziell erst am 28. November abdankte.
Der SPD-Politiker Philipp Scheidemann rief daraufhin eine parlamentarische "deutsche Republik" aus, Spartakus-Führer Karl Liebknecht wenige Stunden später eine "Freie Sozialistische Republik Deutschland". Zwei Tage später, am 11. November 1918, wurde der Waffenstillstand von Compiègne geschlossen. Der Erste Weltkrieg war damit beendet.