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Judentum Das sechste Jahrtausend im 21. Jahrhundert

Tischri, Cheschwan, Kislev, Schwat und Nissan. Was nach Science Fiction klingt, ist aramäisch und für einen Juden alltäglich. Genauso gebräuchlich ist es, den Kalender von der Schöpfung aus zu berechnen.

Von: Pia Dyckmans

Stand: 02.01.2021 | Archiv

Orthodoxe Juden in Jerusalem | Bild: picture-alliance/dpa

Glaubt man den Forschern, die die Schöpfung anhand der Tora berechnet haben, hat Gott die Schöpfungworte vor 5772 Jahre gesprochen, im Jahr 3760 v. Chr. nach gängiger Zeitrechnung. Dementsprechend befinden wir uns nach jüdischer Zeitrechnung im sechsten Jahrtausend. Wohingegen der gregorianische Kalender, der dem Sonnenjahr folgt, von Jesu Geburt aus die Zeit bemisst und etwas hinterherhinkt.

Das lunisolare Jahr

Im Gegensatz zum gregorianischen Kalender, der sich mit 365,24 Tagen nach dem Sonnenjahr orientiert, folgt der jüdische den Phasen des Mondes. Doch fehlen dem Mondjahr elf Tage im Vergleich zum Sonnejahr. Da jüdische Feiertage eng mit den Jahreszeiten zusammenhängen, wird in 19 Jahren sieben mal ein Schaltjahr eingeführt, um die fehlenden Tage auszugleichen. In diesen Jahren gibt es anstatt zwölf nun 13 Monate, damit alle Gedenktage zur richtigen Zeit und im richtigen Monat gefeiert werden können.

Die aramäischen Monate

Die jüdischen Monatsnamen haben ihren Ursprung im babylonischen Exil und sind in aramäischer Sprache. Jeder dieser Monate, die mit dem Neumond beginnen, hat 29 oder 30 Tage. In der biblischen Zeit hat das Jahr im Monat Nissan begonnen, da in dieser Zeit der Auszug aus Ägypten und somit die Befreiung aus der Sklaverei datiert wurde. Im gregorianischen Kalender liegt der Nissan im März und April. Doch heute beginnt das jüdische Jahr nicht mit dem Nissan im März, sondern mit dem Tischri im September/Oktober, weil in diesem Monat die Schöpfung stattgefunden hat. Ungefähr am ersten Neumond in dieser Zeit begehen die Juden mit ihrem Neujahrsfest, dem Rosch ha-Schana, ihr neues Jahr.

Jüdischer Jahreskreis

Der Tagesbeginn bei Sonnenuntergang

Nicht nur das Jahr beginnt anders, auch der Tag. Wenn die Sonne untergeht, beginnt im jüdischen Kalender ein neuer Tag. Ausgehend vom Sabbat am Samstag werden die Wochentage ohne spezifischen Namen durchnummeriert. Der Sabbat ist der siebte Tag der Schöpfung, an dem Gott selber ruhte – so auch die Juden heute.

Der Sabbat

Der Samstag ist der Sonntag der Juden. In der Thora ist festgelegt, dass an diesem Tag keine Arbeit verrichtet werden darf. Ab Freitagabend 18.00 Uhr dürfen Juden nicht mehr arbeiten, selbst der Lichtschalter darf nicht betätigt werden – dies regelt meist eine Zeitschaltuhr. Am Freitagabend wird der heilige Tag durch eine Reihe von Psalmen und Lieder begrüßt, in denen der Sabbat als Braut und Israel – damit ist das gesamte Volk der Juden gemeint – als Bräutigam bezeichnet wird.

Ein gedeckter Sabbat-Tisch. Ein Becher Wein, Sabbatlichter und zwei geflochtene Brote, die zugedeckt wurden.

Die häusliche Feier leitet die Frau, als Priesterin des Hauses. Es werden vor Sonnenuntergang ein Becher mit Wein bereitgestellt und zwei Sabbatlichter angezündet. Dazu gibt es zwei geflochtene Brote, die mit einem Tuch zugedeckt werden. Während die vorgeschriebenen Gebete unter der Woche zu Hause verrichtet werden, geht man am Sabbat zum Gottesdienst feiern und beten in die Synagoge. Zum Abschluss des Sabbats wird sowohl in der Synagoge als auch zu Hause die Zeremonie der Hawdala (Unterscheidung) gefeiert, um die Trennung des Feiertages zum Alltäglichen zu kennzeichnen. Während dieser Zeremonie wird eine geflochtene Kerze angezündet und es werden Segenssprüche gesprochen.

Jüdische Feiertage

Viele jüdische Feiertage werden an zwei Tagen gefeiert. Der zweite Tag wird auch der "zweite Feiertag der Diaspora" genannt. Als es noch keinen festen Kalender gab, musste der Neumond, der den neuen Monat markiert, durch zwei Zeugen in Jerusalem bestätigt werden. Daraufhin wurden die jüdischen Gemeinden außerhalb von Jerusalem durch Boten oder Feuerzeichen informiert, je nach Lage dauerte dies länger. Um die großen Festtage wirklich am richtigen Tag zu feiern, verlängerten die Gemeinden die wichtigsten Feiertage.

Rosch ha-Schana

Statt Korken und Raketen erklingt beim jüdischen Neujahrsfest am 1. Tischri (Sep-Okt) das Widderhorn (Schofar). Die Juden erinnern sich in besonderer Weise an den Bund mit Gott. Dieser wird speziell durch die Schofar, die im Gottesdienst gespielt wird, symbolisiert. Die häusliche Feier wird wie der Sabbat beim Essen begangen. Neben dem Kiddusch, der Segensspruch über einen Becher Wein, und dem Segen über das Brot, werden an Rosch ha-Schana noch Segenssprüche über Baumfrüchte gesprochen. Ein mit Honig bestrichener Apfel wird mit der Hoffnung gegessen, dass das neue Jahr gut und süß wird. Es folgen bis Jom Kippur zehn Tage der Buße und Einkehr.

Jom Kippur

Der wichtigste Feiertag der Juden – das Versöhnungsfest – am 10. Tischri (Sep-Okt) ist durch Fasten geprägt. Nach zehn Bußtagen im Anschluss an Rosch ha-Schana wird am Versöhnungstag auf Essen, Trinken, Waschen, Lederschuhe und Sex verzichtet. Der Mensch steht an diesem Tag vor Gott und muss im Gebet Rechenschaft ablegen – in Ruhe und voller Reue. Gläubige Juden verbringen den Tag betend in der Synagoge und tragen weiße Kleidung, die an den Tag des Todes erinnern soll. Anders als beim Christentum "beichten" die Juden während dem ganztägigen Gottesdienst im Kollektiv in der Synagoge. Vollendet wird der besondere Feiertag mit dem Erklingen des Widderhorns.

Sukkot

Laubhüttenfest in München | Bild: BR

Nach Jom Kippur fängt die Zeit des größten Freudenfestes am 15. Tischri (Sep-Okt) an, das neuntägige Laubhüttenfest. In diesen Tagen erinnert man sich an die 40-jährige Wüstenwanderschaft des Volkes Israel. Jüdische Gemeinden bauen sogenannte Sukkas (hebr. Laubhütten). Sie symbolisieren die Wüstenunterkünfte ihrer Ahnen während der Wanderschaft durch die Wüste. Da an Sukkot das Gemeindeleben überwiegend in der Sukka stattfindet, wird sie noch festlich geschmückt mit Girlanden, Früchten oder auch Palmzweige. In den neun Tagen wird in der selbstgebauten Sukka ausgiebig gegessen, getrunken, gespielt und gefeiert.

Chanukka

Das Weihefest ist kein biblisches Fest, sondern ein Gedenktag, der vornehmlich zu Hause gefeiert wird. Acht Tage lang, vom 25. Kislev (Nov-Dez) bis zum 3. Tewet (Dez-Jan), erinnert man sich an die Neuweihe des geschändeten Tempels in Jerusalem im Jahr 165 v. Chr. An jedem Tag wird eine weitere Kerze des neunarmigen Chanukkaleuchters angezündet, um an das Wunder des Ölkruges zu erinnern. Bei der Wiedereinweihung des Tempels nach dem Makkabäeraufstand gegen die Syrer fand man lediglich einen Ölkrug, um das ewige Licht anzuzünden. Dieser hielt entgegen der Erwartung acht Tage lang und dieses Wunder feiert man zu Hause bei Gesang und Spielen mit dem Treidel (Kreiselspiel).

Purim

Am 14. Adar (Feb-März) wird es in den Synagogen so bunt und laut wie an Fasching auf den Straßen. Es wird an die Errettung der Juden in Persien gedacht, die im Buch Esther beschrieben wird. Wie auch in der Bibel die Befreiung der Juden durch ein Festmahl und ein Trinkgelage gefeiert wird, so auch heute noch mit Alkohol und traditionellem Gebäck. Die Kinder kostümieren sich wie an Fasching und führen die Purimsgeschichte als Theaterstück auf. Und wenn der Rabbi die biblische Erzählung vorträgt, kann es zum Teil laut hergehen. Jedesmal wenn der Name des Widersachers der Juden erklingt, dürfen Groß und Klein die Erzählung lauthals mit Rätschen und ähnlichem unterbrechen.

Pessach

Juden feiern in der Frühlingszeit den Auszug aus Ägypten – das Pessach-Fest. Doch bevor gefeiert wird, heißt es putzen, Haare schneiden und das Haus vom sogenannten Chamez (Sauerteig) befreien. Mit einer Wachskerze und einer Feder wird das ganze Haus kontrolliert, ob alles Chamez entfernt wurde. Einige Familien haben für Pessach besonderes Geschirr, dass nie mit Chamez in Berührung kam. Das Familienfest dauert acht Tage, die mit vielen Ritualen begangen werden. Der Auftakt bildet der Sederabend mit einem festen Ablauf und symbolträchtigen Speisen. Es gibt ungesäuertes Brot (Mazzen) und Bitterkräuter, nach deren Bedeutung die Jüngsten der Familie am Anfang des Abends fragen.

Schawuot

Sieben Wochen nach Pessach begehen Juden beinahe parallel zu Pfingsten das Wochenfest – Schawuot. Sie feiern die Offenbarung Gottes am Berg Sinai. Nach biblischer Überlieferung hat Gott Moses auf dem Berg die zehn Gebote verkündet, die er auf Steinplatten gemeißelt hat. Aus diesem Grund versammeln sich Juden in der ersten Nacht des Festes, um gemeinsam bis zum Morgengebet die jüdische Lehre zu studieren. Zur Stärkung in der Nacht und auch am Tag wird, wie es Brauch ist, meist Quark- oder Käsekuchen gegessen. Neben der religiösen Bedeutung wird an diesem Tag auch an die ersten geernteten Früchte zur biblischen Zeit gedacht, die in den Tempel gebracht wurden.


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