Kultur


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Clemens J. Setz Wenn der Bot für den Autor spricht

Ein Computerprogramm, das Antworten für ein Interview aus den Tagebüchern des Autors generiert: Clemens J. Setz hat ein Experiment zur Mensch-Maschine-Kommunikation unternommen - und die besitzt für ihn eine ganz spezielle Anmut.

Von: Cornelia Zetzsche

Stand: 01.03.2018 | Archiv

Buchcover: Clemens J. Setz, "Bot - Gespräch ohne Autor" | Bild: Buchcover: Suhrkamp; Montage: BR

Seit seinem hochgelobten Debütroman "Söhne und Planeten" vor gut zehn Jahren steht Clemens Setz aus Graz unter Genie-Verdacht. Längst preisgekrönt, wird er als Wunderkind der deutschsprachigen Literatur gehandelt. Der 35-Jährige hat Erzählbände, Gedichte und vier Romane vorgelegt. Zuletzt "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre", ein Roman, der uns über tausend Seiten konsequent durch eine digital geprägte Welt führt. Die Welt, in der wir leben, die in der Literatur aber wenig vorkommt. Jetzt ging er zusammen mit der Lektorin Angelika Klammer noch einen Schritt weiter: "Bot - Gespräch ohne Autor" ist ein Gesprächsband - mit echten Fragen von Angelika Klammer und automatisierten Antworten. Cornelia Zetzsche hat mit Clemens Setz gesprochen.

Cornelia Zetzsche: Ein Bot, ein Computerprogramm, benannt in Anlehnung an den Roboter, also eine Suchmaschine, ging auf Stichwort-Suche in Ihren Tagebüchern und bietet nicht real, sondern digital mögliche Antworten. Ist das unsere Kommunikation der Zukunft oder schon Gegenwart?

Clemens J. Setz: Ich glaube, es ist sicher eine Bereicherung für Kommunikation allgemein. Ich hoffe, dass es immer mehr so funktionieren wird, dass zum Beispiel Menschen, die oft dieselbe Sache sagen, wie Ärzte oder Anwälte, zusammenschmelzen werden zu einem Hybrid mit einem Bot, mit einer Antwort-Maschine. "Answering-Machine" – auch ein schöner Begriff. Die Welt wird mehr zu einer Answering-Machine werden, denke ich.

Und Sie begrüßen das? Sie wollen lieber eine Antwort-Maschine als einen Menschen, gerade beim Arzt?

Ich möchte eine Maschine und den Menschen. Ich möchte beides – nicht ersetzen oder verdrängen, sondern bereichert und dazu addiert, das wäre angenehm. So wie auch Autoren klassische traditionelle Bücher schreiben sollen, dagegen sagt niemand was. Aber dann auch vielleicht Bücher, die nicht ganz aus ihrer Feder sind, sondern entweder von einem Kollektiv, einem sozialen Kollektiv, das in ihrem Namen sprechen darf, und hinter dem noch Menschen sind, oder einer künstlichen Intelligenz. Das fände ich angenehm, wenn wir alle diese Dinge zur Verfügung hätten, nicht nur die immer gleichen einfachen Dinge.

Hinter den Fragen, hinter den Antworten, die aus Ihren Tagebüchern sind, stehen natürlich reale Menschen, die Maschine agiert dann nach Zufallsprinzip. Es gibt berühmte Vorbilder für diese Idee: Theoretiker wie Alan Turing oder Philip K. Dick, den Sie in Ihrem Vorwort zitieren. Was reizt Sie an dieser Idee, an diesem Experiment, es anders zu machen als gewöhnlich?

Es ist gar nicht so neu, diese Art von Experiment. Auch William Burroughs hat ja fast nichts anderes gemacht in der mittleren Phase seiner Karriere, als er nach dieser Cut-up-Technik gearbeitet hat: Er hat irgendwelche Texte genommen, sie zufällig zusammengeschnitten und die sich ergebenden Kombinationen dann als Anlass genommen, eine Geschichte zu schreiben, die genau diesen Dingen folgen muss. Ich glaube, eine Neubewertung des Zufälligen, eine Neubewertung der von außen kommenden Entscheidung ist das wichtigste Merkmal dieser Art von Technik. Und die sind nicht neu – neu ist in meinem Fall, dass es eben digital geschieht.

Bei Ihnen war der Ausgangspunkt der Versuch von Angelika Klammer, mit Ihnen einen echten Gesprächsband zu verfassen. Mit dem Ergebnis waren Sie unzufrieden: Sie sagten, es war ein Chaos, es schien Ihnen zu banal. Wie finden Sie denn das konkrete Bot-Resultat nun, also diese automatisierte Kommunikation und ihr Ergebnis?

Ich finde sie sehr befriedigend in einer Hinsicht, nämlich dass etwas anderes als Informationsfluss geschieht. Es gibt ja ganz tolle Beispiele für Autoren-Gespräche, etwa Nabokovs gesammelte Interviews oder meinen Lieblings-Gesprächsband mit Joseph Brodsky, "Conversations": Das ist sehr spannend, aber das hat damit zu tun, dass diese Autoren einfach mündlich gut erzählen können. Das heißt, sie geben nicht nur Informationen auf die gewünschte Themenstellung oder die Frage hin, sondern können auch darüber hinaus Geschichten, Zustände und Dinge irgendwie packend schildern. Das kann ich mündlich nicht. Und wenn das der Fall ist, dann kann man eigentlich nichts in Buchlänge vorlegen, keinen Gesprächsband machen. Das wird dann einfach leblos, seelenlos.

Damit wir nicht theoretisieren, geben wir doch einmal ein Beispiel: Angelika Klammer fragt: "Sammeln sie Untergangsszenarien?"

Die Antwort lautet: Robotic Technology Incorporated, eine Firma in Maryland, deren Auftraggeber das Pentagon ist, hat einen Roboter gebaut, der seine Energie aus organischer Materie in seiner Umwelt beziehen kann. Er heißt "EATR", "Energetically Autonomous Tactical Robot". Der Roboter soll vor allem in Kriegsgebieten eingesetzt werden, wo er sich von den dort haufenweise herumliegenden Leichen ernährt. Ich denke, nach der Auslöschung der Menschheit könnten "EATRs" die Gärtner der neuen Erde sein.

Das war aber nun überhaupt keine Antwort auf die Frage: "Lieben Sie Untergangsszenarien?". Das heißt: Die Kommunikation ist komplett ausgehebelt. Aber Sie sind ja sowieso kein Freund von linearem Erzählen.

Das stimmt, und ich finde die Antwort hier ist keine Antwort zum Thema, aber sie ist eine Antwort: Sie berührt eigentlich genau das, worum es geht. Es ist ein Untergangsszenario, es geht um den Untergang der Menschheit, in einem Satz, der durch Synonymen-Suche aufgespürt wurde. Wenn ich normal geantwortet hätte auf diese Frage, wäre ich nie auf dieses Ergebnis gekommen. So eine Art von Kommunikation, in der es nicht darum geht, dem Story-Modus zu folgen, das hat eine gewisse Anmut und eine gewisse, nirgends wohnende Poesie, um es ein bisschen gestelzt auszudrücken.

"Bot – Gespräch ohne Autor" ist im Ergebnis höchst amüsant, es betört wirklich mit diesem Charme des Zufalls, von dem Sie gesprochen haben. Ich habe aber, offen gestanden, nach einer  Weile nur die Antworten gelesen – da erfährt man ja eine Menge über Clemens J. Setz. Warum also nicht gleich das Journal?

Ich wäre dafür gewesen, auch die Tagebücher oder Journale zu veröffentlichen, ich habe das auch, glaube ich, mal vorgeschlagen, aber ich verstehe, dass das eine schwierige Form ist. Man muss sich ja nur anschauen, wie viele Autoren so etwas veröffentlichen. Das gibt es ganz selten bei lebenden Autoren, vielleicht bei lebenden Klassikern wie Handke oder Walser.

Gerade feierte Frankenstein 200. Jubiläum, in der Science-Fiction werden immer wieder Mensch-Maschinen, Androiden, künstliche Intelligenzen inszeniert, die Rolle von Mensch und Roboter ist ein ganz zentrales Thema auch in der Politik. Sie sind Mathematiker, technikaffin, zugleich ein im doppelten Wortsinn fantastischer Autor, bei dem Kirchen schon mal zu Raumstationen werden können. Wie sehen Sie diese Beziehung Mensch – Roboter?

Ich sehe sie immer natürlicher und logischer. Ich war einmal bei der Robotermesse in Japan, vor zwei Jahren, und habe dann auch ein Jahr danach wieder in Tokio mit dem berühmten Roboter-Bauer Hiroshi Ishiguro sprechen dürfen.

Vorher habe ich von diesen Menschen gedacht, dass sie eher Sonderlinge sind, aber sie sind große Humanisten. Vor allem Professor Ishiguro ist ein leidenschaftlich an menschlichen, an alten humanistischen Themen interessierter Mensch. Ich glaube, das hat mir die letzte Verstehenshilfe gegeben, wie man das Phänomen von künstlichen Menschen betrachten kann. Es kann ja auch sein, dass Menschen in Zukunft – ich meine wirklich Menschen im ganz klassischen Sinn – nicht mehr durch Zeugung entstehen, sondern irgendwie anders gebaut werden, anders in die Welt gesetzt werden. Die Scheu demgegenüber wird mit jedem Jahr, das vergeht, irrealer und altertümlicher und anachronistischer. Das heißt aber nicht, dass die Anachronisten oder die "altertümlichen" Menschen unwichtig oder überwunden sind. Sie sind weiterhin wichtig, glaube ich. Aber die Welt wird so aussehen, dass es auch künstliche Menschen geben wird, künstliche "Bewusstseine", wenn man diesen Plural bilden kann, die uns begleiten. Ich glaube gar nicht, dass dem riesige technische Schwierigkeiten im Weg stehen, eher kulturelle, persönliche und psychologische vielleicht.

Ich als Anachronistin mit aller Scheu und Skepsis vor einer Entmenschlichung habe den Trost: Ohne Ihre Tagebücher, ohne die Fragen von Angelika Klammer, nur mit dem Bot wäre das "Gespräch ohne Autor" undenkbar.

Ich verstehe nie, warum man denkt, dass Dinge abgeschafft werden. Es ist ja auch nicht durch das Auto das Gehen abgeschafft worden.

"Bot - Gespräch ohne Autor" von Clemens J. Setz ist im Suhrkamp Verlag erschienen.


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