Feminismus in Nigeria Warum es einen spezifisch afrikanischen Feminismus braucht
Viel-Ehe, Armut, Homosexualität: Feministische Künstler und Künstlerinnen aus Afrika haben oft andere Themen als ihre westlichen Mitstreiter. Drei nigerianische Künstlerinnen berichten, warum das so ist – und auch so sein muss.
Egal ob #Aufschrei, #MeToo oder #TimesUp: Die Frauenbewegung ist weltweit präsent wie nie. Aber Feminismus ist nicht gleich Feminismus, auch wenn der westliche sich gern in den Vordergrund drängt – hat er doch zum Beispiel den Hashtag #MeToo gekapert, der ursprünglich auf die Afroamerikanerin Tarana Burke zurückgeht, die ihn schon 2006 geprägt hatte, um jungen Afroamerikanerinnen mit geringem Einkommen eine Stimme zu geben, wenn sie Opfer sexueller Gewalt geworden waren. Denn der Feminismus westlicher Spielart ist für viele nicht inklusiv genug, er berücksichtigt zu wenig die Belange von nicht-weißen, nicht-gutbürgerlichen nicht-heterosexuellen Frauen. Auch deshalb entstehen in Afrika spezifisch afrikanische Formen der Frauenbewegung, denn für erfolgreiche, schwarze Frauen in der Kunst ist Feminismus vom Afrozentrismus nicht trennbar. Malcolm Ohanwe hat drei von ihnen in der nigerianischen Metropole Lagos getroffen.
Lola Shoneyin sitzt in der Lobby eines Hotels in Ikeja, einem gut situierten Viertel in der Millionenstadt Lagos; ein Kellner bringt Drinks – ein krasser Kontrast zum Setting in Shoneyins Bestseller-Roman "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi". Dessen Handlungsort ist zwar auch der Südwesten Nigerias, doch statt einer angenehmen Eleganz spürt man als Leser eine angespannte Enge – ausgelöst durch eine vierte Ehefrau, die mit ins Haus zieht. Sie ist jünger, gebildeter, hübscher und verdrängt Stück für Stück die vorherigen Frauen.
Viel-Ehe: Eine Thematik mit der sich mitteleuropäischer Feminismus nicht beschäftigt, in der afrikanischen Gleichberechtigungs-Bewegung aber nicht weg zu denken ist: "Es gibt wahrscheinlich keine Frau auf der Welt, die gerne ihren Ehemann teilen würde," sagt Shoneyin. "Einige werden gezwungen, weil ihnen die Gesellschaft, die Kultur oder die Religion das so vorgibt. Und damit können und sollen sich vor allem afrikanische Leserinnen identifizieren."
Safe Space für afrikanische Frauen
Um vor allem afrikanische Frauen zu erreichen, hat Lola Shoneyin auch das Aké Arts and Book Festival in Abeokuta gegründet. Dort debattieren und diskutieren Frauen aus ganz Afrika miteinander Feminismus-Fragen. Ganz wichtig dabei: Es ist ein ausschließlich afrikanischer Safe Space. Wie nötig so ein sicherer Raum zur Selbstfindung ist, das begriff Shoneyin auf einem Literaturfestival in Mantua, Italien. Auf einer Veranstaltung, sagt sie, "ging es um Polygamie in Afrika und um mein Buch 'Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi', warum Viel-Ehe in Afrika so häufig betrieben wird und wie es den Frauen geht. Ich war vorbereitet, hatte alles recherchiert und war bereit zu antworten – und dann guckte ich in das Publikum: kein einziges schwarzes Gesicht war da. Und klar, ich war in Europa, aber all diese Afrika-zentrischen Literaturfestivals finden außerhalb des afrikanischen Kontinents statt. Aber ich will schwarze Frauen erreichen, und deswegen muss so etwas im Kontinent stattfinden."
Ein expliziter Fokus auf Afrika helfe dabei, alle Facetten der Identität einer schwarzafrikanischen Frau zu analysieren, auch die queerer Frauen: Shoneyin ist begeistert, wie gut dieser Austausch funktioniert: "Wir haben es geschafft, dass jetzt auch Armut, Politik und Homosexualität besprochen wird. Es gab eine Autorin, die sich als lesbisch geoutet hat. Dass eine Schriftstellerin so etwas in unserem Land sagen kann, ist so verdammt wichtig, denn in unserer Gesetzgebung haben wir beschissene Gesetze, die Schwule und Lesben mit mehrjährigen Freiheitsstrafen drohen. Und für solche Gespräche braucht es diesen Safe Space."
Entmachtung der Frauen erst durch Europäer
Einen ähnlichen Ansatz hat die nigerianische Pop-Sängerin Yemi Alade, die bei den MTV Africa Awards in Südafrika Präsident Buhari für seine frauenfeindlichen Äußerungen gerügt hat: Sie wendete sich explizit an "meine afrikanischen Frauen", als sie sagte: "Wir sind nicht wie Buhari sagt: Nur gut für die Küche, das Wohnzimmer und das Schlafzimmer. Wir können alles tun, was wir wollen." Zurück in ihrer Heimat Lagos, in ihrem Tonstudio samt MTV-Trophäen, betont Alade: Feminismus und Panafrikanismus ließen sich nicht trennen. Sie trage zum Beispiel traditionell-afrikanische Klamotten und bewusst krauses Haar, um zu zeigen, dass man gleichzeitig eine glamouröse und eine afrikanische Frau sein könne. Viele von außen dächten, das beiße sich.
Für die ebenfalls in Lagos lebende Bildhauerin Peju Alatise ist es sogar dieses "von außen", also der europäische christlich-koloniale Einfluss, der die Ungleichheit von Frau und Mann in Nigeria erst losgetreten hat: "Bei den Yorúbàs [westafrikanisches Volk, Anm. d. Red.] waren Frauen immer mächtig. Sie waren zuständig für den kompletten Handel, hatten Geld. Deswegen hatten sie auch Macht. Frauen hatten eine sehr gute Stellung in unseren vorkolonialen Zeiten. Meine eigene Großmutter und ihre Vorfahren zum Beispiel hatten sogar mehrere Ehemänner. Dann kamen die Kolonial-Herren mit ihrer Religion und haben alles gefickt. Und auf einmal waren nigerianische Frauen devot, minderwertig und mussten alle ihre Rechte und Privilegien abgeben."
Egal ob als Buchautorin, als Popstar oder wie Alatise als politische Künstlerin: Der pan-afrikanische Feminismus prägt die Arbeit von allen dreien und sie sind weltweit erfolgreich damit: Yemi tourt über den Erdball, Shoneyins Romane werden in zug Sprachen übersetzt, Alatises Kunst gewinnt weltweit Preise. Lola Shoneyin betont: "Natürlich können und sollen sich auch Leute in Europa und auf der Welt damit identifizieren. Und das tun sie auch. Mein Buch wurde auf Hebräisch, Italienisch, Türkisch, Französisch und so weiter übersetzt. Tatsächlich war es in Italien und Deutschland am erfolgreichsten."