Kultur - Literatur







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Zum Tod von Otfried Preußler Der Fantasieglasbläser aus dem Böhmerwald

Pikku noita! Hamachshepa Haktana! Xiao-Wu Po! Was klingt wie Zaubersprüche, sind drei von 44 Übersetzungen der "kleinen Hexe" - finnisch, hebräisch, chinesisch. Otfried Preußlers Kinderbücher werden weltweit verstanden - vielleicht, weil in ihnen ein Echo aus alten Zeiten nachklingt. Am 18. Februar ist er gestorben.

Von: Michael Kubitza

Stand: 01.04.2019 | Archiv |Bildnachweis

Otfried Preußler und ein Zitat von ihm | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

* 20.Oktober 1923 in Reichenberg (Liberec), Böhmen
+ 18.Februar 2013 in Prien am Chiemsee

Seit bald 1.000 Jahren tönt der Schlag der Axt über die raue Gebirgskette des Böhmerwalds. Und immer noch ist der Urwald an der tschechisch-bayerisch-österreichischen Grenze an einigen Stellen so dicht, dass die Zivilisation nicht durchdringt und die Menschen so unter sich bleiben wie die Hexen, Geister und Wassermänner. Adalbert Stifter und Alfred Kubin sind hier geboren. Webers "Freischütz" begegnete hier dem Teufel - und Otfried Preußler dem Echo uralter Geschichten. Jetzt ist er selbst Echo geworden: Otfried Preußler starb am 18. Februar in Prien am Chiemsee. Er wurde 89 Jahre alt.

Beim Summen der Petroleumlampe

Am 20. Oktober 1923 kam Otfried Preußler am Fuß des Riesengebirges zur Welt - der Sproß einer Reichenberger Familie mit starkem Stammbaum. Seit Jahrhunderten waren die Preußlers Glasbläser oder Kupferstecher; Handwerker jedenfalls. Otfrieds Vater arbeitete als Lehrer und Heimatforscher, was er auch als Handwerk verstand. Unverblichen in Erinnerung standen noch dem alten Preußler die Abende in der Stube, in denen Großmutter Dora und die vielen Freunde der Familie Geschichten erzählten. Der Junge lauschte, der Vater schrieb auf.

"Das leise Summen der Petroleumlampe, der Duft nach getrockneten Kräutern, nach Waldheu, nach Beeren, nach Leinöl und Ziegenmilch. Im Ofen knistert das Kienholz, übers Dach fegt ein Sturm hinweg. Oder ist es der Nachtjäger, der an den Fenstern rüttelt? Mit heißen Ohren lausche ich dem Erzähler."

Preußler, Ich bin ein Geschichtenerzähler (2010)

Zweite Heimat am Rübezahlweg

Otfried war 19, als der Krieg ihn aus dem böhmischen Märchenwald vertrieb. Er kam an die Ostfront, geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Fünf Jahre dauerte es, bis er, krank und auf die Knochen abgemagert, nach Hause durfte. Nach Hause: Das lag jetzt im oberbayerischen Rosenheim, wohin seine Verwandten bei Kriegsende geflohen waren.

Preußler lebte sein Leben da weiter, wo es vor sieben Jahren jäh unterbrochen wurde. Er heiratete seine Braut aus Vorkriegstagen und zog mit ihr an den Rübezahlweg in Haidholzen. Sein Geld verdiente er wie der Vater als Lehrer. Wenn die 52 Kinder im völlig überfüllten Klassenzimmer zu laut werden, erzählte er Geschichten - später auch für seine drei Töchter.

Viele Geschichten schrieb er auf. Viele warf er wieder weg. Dennoch stapelten sich Manuskripte und die Tonbänder seines Diktiergeräts auf dem Schreibtisch, als Preußler 1957 seinen ersten Autorenvertrag erhielt: "Der kleine Wassermann" erschien - wie fast alle Werke - im Thienemann-Verlag, der auch Michael Ende betreute. Am Ende seines Lebens liegen auf allen fünf Kontinenten mehr als 50 Millionen Preußler-Bücher auf dem Nachttisch.

Leuchtende Glasbläsergeschichten

Es sind die Geschichten eines Handwerkers, dem, so erzählte der Autor, stets ein unbestechlicher Meister prüfend über die Schulter schaute: "der kleine Otfried Preußler, der Junge, der ich einmal war". Es könnten die Geschichten eines Glasbläsers sein: vielgestaltig und buntschillernd, weil sich die Fantasie der kleinen und großen Leser in ihnen wiederspiegelt; dabei transparent genug, um auch die Wirklichkeit durchscheinen zu lassen.

Werke (Auswahl)

1957

Der kleine Wassermann

"Als der Wassermann eines Tages nach Hause kam, sagte die Wassermannfrau zu ihm: 'Heute musst du ganz leise sein. Wir haben nämlich einen kleinen Jungen bekommen.' 'Was du nicht sagst! rief der Wassermann voller Freude. 'Einen richtigen kleinen Jungen?'"

Ein gutes Dutzend Hörspiele, Erzählungen und Theaterstücke hat Otfried Preußler schon zu Papier gebracht, als 1957 der kleine Wassermann zur Welt kommt. Seine Mutter ist die Illustratorin Winnie Gebhardt-Gayler, von der auch viele andere Buchkinder Preußlers ihre Gestalt haben. Einen Sommer lang verfolgen wir, was der Junge mit der roten Zipfelmütze und der Fischschuppenhose auf dem Grund des Mühlenweihers erlebt. Dann wird es Winter, und eine Eisschicht deckt den Weiher zu. Preußler und Gebhardt haben ihren ersten Bestseller - viele weitere folgen.

"Ich habe zu Hause mehrere sehr gefräßige Haustiere: Papierkörbe! In die wandert doch verhältnismäßig viel. Gelegentlich zieht dann meine Frau wieder etwas heraus. Das ist immerhin ein Verfahren, dem ich es zu verdanken habe, dass der 'Krabat' dann doch noch geschrieben wurde."

Preußler, Ich bin ein Geschichtenerzähler (2010)

Geheimnisse aus dem Koselbruch

Hörbuchausgabe des "Krabat"

"Man muss immer ein bisschen zaubern", sagte Otfried Preußler. Das meint: Wie ein Glasbläser aus Sand und Pottasche - hier: aus Fakten und Fantasie - in der Schweißhitze des Denkens etwas Neues amalgamieren lassen. Preußler war ein Autor, den es nicht kränkte, wenn seine Geschichten mehr wußten als er. So wie beim "Krabat".

Dem Zauberroman für Jugendliche und Erwachsene ging ein schwerer Kampf zwischen Autor und Stoff voraus, bei dem Preußler beinahe auf einem Auge blind wurde. Zehn Jahre lang studierte er alte sorbische Volkssagen und die Technik von Wassermühlen und besuchte den letzten aktiven Müller Deutschlands. Um den Schauplatz in der Lausitz zu schildern, besorgte er sich "Messtischblätter", also alte Landkarten. Ein Blatt fehlte ihm, weshalb er den Ortsnamen der Zaubermühle frei erfand: Koselbruch. Preußler: "Das setzt sich zusammen aus 'kosel' für zaubern und 'bruch' für eine Landschaftsform. Erst später habe ich zu meiner Überraschung erfahren, dass es dort tatsächlich ein Koselbruch gibt."

"Ich wünsche jedem Kind, dass es ein paar Mal am rechten Ort und zur rechten Stunde die rechte Geschichte erzählt bekommt, dass ihm das rechte Buch in die Hand gerät. Ein Bild nur möge sich darin finden, dass es in diesem einen, bestimmten, unwiederbringlichen Augenblick gerade brauchen kann."

Preußler, Ich bin ein Geschichtenerzähler (2010)







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