Unternehmen - Der BR


23

Hörerlebnis bei den radioTexten "Exil" von Lion Feuchwanger

Axel Milberg hat Lion Feuchtwangers Roman "Exil" für die radioTexte auf Bayern 2 eingelesen. Was am Ende so selbstverständlich aus dem Radio schallt, ist wochenlange Arbeit

Von: Olga-Louise Dommel

Stand: 13.02.2015

Aufgeschlagenes Buch im Sendestudio / Schauspieler Axel Milberg | Bild: BR/Lisa Hinder / Montage: BR

Zurückhaltend, präzise und trotzdem präsent perlt Axel Milbergs Stimme aus den Lautsprechern: "Als er aber vorsichtig Papier und Bleistift aus der Schublade kramte, um sich das Motiv aufzuschreiben, das ihm eingefallen war, fegte er ein Buch von dem gebrechlichen, überladenen Schreibtisch." Es braucht nur wenige Sätze und man steht mitten in Sepp Trautweins schäbigem Pariser Hotelzimmer. Seine Frau Anna liegt noch im Bett. Mit einer ungeschickten Handbewegung hat er sie geweckt, in dem beengten Domizil, in dem sich Schreibtisch und Bett, Arbeit und Schlaf einen Raum teilen. Bayern 2 sendet Lion Feuchtwangers großen Emigranten- Roman "Exil" als siebenteilige Lesung ab dem 19. Februar in den radioTexten am Donnerstag, der klassischen unter den Lesungen auf Bayern 2. Doch bis so ein gewaltiges Werk ins Radio kommt, ist es ein weiter Weg.

Keine leichte Aufgabe

Redakteurin Judith Heitkamp in ihrem Büro zwischen Bücher- und Manuskriptstapeln

Zuerst muss natürlich der Stoff ausgewählt werden. Judith Heitkamp, Redakteurin und Moderatorin der radioTexte am Donnerstag, ist das ganze Jahr über mit der Suche nach interessanten Geschichten, Neu- und Wiederentdeckungen beschäftigt. Für Feuchtwangers "Exil", den dritten und weniger bekannten Teil der Wartesaal-Trilogie, hat sie sich entschieden, "weil das ein zu Unrecht unterschätzter Feuchtwanger-Roman ist und, was das Thema Flüchtlinge angeht, ein sehr aktueller. ‚Exil‘ beschreibt, wie es ist, wenn man alles verliert und wie kräftezehrend diese Perspektivlosigkeit ist." Feuchtwanger, 1884 in München geboren, lebte selbst seit 1933 im französischen Exil. In seinem Roman erzählt er die Geschichte des Komponisten Sepp Trautwein, der sich für die Freilassung des Journalisten Friedrich Benjamin einsetzt, den die Nazis verschleppt haben. Scharfsinnig und facettenreich schildert Feuchtwanger das deutsche Emigrantenmilieu im Paris der 30er-Jahre.

Das Buch umfasst 860 Seiten. Würde man es eins zu eins aufnehmen, hätte man circa 35 Stunden Material. Regisseurin Irene Schuck hat den Roman für die radioTexte auf eine Sieben-Stunden-Fassung gekürzt – eine große Herausforderung und viel Arbeit, "auch Trauerarbeit." Mehrere Wochen war sie damit beschäftigt, hat Nebenstränge gestrichen und überlegt, auf welche Figuren man zur Not verzichten kann. Schließlich müssen die Hörer der Erzählung noch folgen können. Die Schwierigkeit und Hauptaufgabe dabei: "Den Geist und die Sprache des Buches zu erhalten. Das ist ja ein erheblicher Eingriff und man darf den Text nicht so verändern, dass der Schriftsteller in seiner stilistischen Eigenart nicht mehr erkennbar ist."

Irene Schuck (Regie) und Daniela Röder (Tontechnik) im Regieraum.

Um ein so nuancen- und figurenreiches Werk wie Feuchtwangers "Exil" als Lesung aufzunehmen, braucht man einen sehr erfahrenen Schauspieler, "der die Fähigkeiten besitzt, mit feinen psychologischen Mitteln zu arbeiten, um diese vielen Figuren zu gestalten. Der die Menschen in ihrer ganzen Ambivalenz zeigt", sagt Irene Schuck. Axel Milberg ist so einer. "Ein großer Schauspieler und ein großartiger Interpret, mit dem ich sehr gern zusammenarbeite." Axel Milberg fand den Text "erstaunlich modern, eher journalistisch als belletristisch, nichts ist parfümiert, stilisiert. Und das hat auch eine bestimmte Behandlung des Stoffes zur Folge."

Fein und genau wie Feuchtwanger

In Studio 8 herrscht höchste Konzentration. Keine Silbe darf verschluckt, kein Wort überlesen oder falsch betont werden. Erzählhaltung und Stimmfärbung der verschiedenen Protagonisten – möglichst fein und genau, wie Feuchtwangers Erzählstil – müssen herausgearbeitet werden. Dann, nach vier Tagen, sind die Aufnahmen abgeschlossen und es beginnt der Schnitt. Tontechnikerin Daniela Röder kürzt oder verlängert Pausen, schneidet Versprecher raus und setzt die einzelnen Takes aneinander. Was ein sehr gutes Gespür für den Sprachrhythmus des Schauspielers erfordert, damit man am Ende nicht hört, wo er neu angesetzt hat. Nach sechs Tagen im Studio, in denen auch eine fünfteilige Hörbuchfassung für den DAV entstand (VÖ: 1. April 2015), ist die Lesung sendefertig. Ein langer Weg, der sich immer wieder lohnt. Dass eine Stimme eine ganze Welt zum Leben erwecken kann, ist und bleibt faszinierend – für die Hörer genauso wie für die Macher, meint auch Axel Milberg: "Es ist eine Kostbarkeit, dass es auf Bayern 2 solche Sendungen gibt. Das darf nie aufhören."


23