Dr. Katja Wildermuth im Interview "Eine wunderbare Stärke, auf die wir aufbauen können"
Sie ist Historikerin, Journalistin und Medienmanagerin. Sie hat zahlreiche preisgekrönte Produktionen zu verantworten und gilt als überaus erfolgreiche Programmmacherin. Und sie ist die erste Frau an der Spitze des Bayerischen Rundfunks. Ein Gespräch mit Dr. Katja Wildermuth.
Ein Teil Ihrer Bewerbung vor dem BR-Rundfunkrat hat sich mit Visionen für den Sender beschäftigt. Verraten Sie ein paar dieser Visionen?
Zunächst möchte ich betonen, dass der Bayerische Rundfunk in meiner Beobachtung sehr gut dasteht. Es gibt ein breites Spektrum an exzellenten Programmen und Inhalten, von der einzigartigen regionalen Berichterstattung bis zu Kultur auf allen Ausspielwegen, starke Wissensangebote, innovative digitale Erzählformate in allen Bereichen, eine große dokumentarische Tradition ebenso wie eine ausgewiesene Film- und Serienkompetenz. Dazu Unterhaltung, Sport und die hervorragenden Klangkörper. Die Hörfunk-Flotte ist gut aufeinander abgestimmt und erfolgreich, auch das Fernsehen bekommt großen Zuspruch, die Onlinezugriffe haben sich enorm gesteigert. Und: "BR hoch drei" war eine richtungsweisende Strukturentscheidung.
Sehr wichtig ist mir auch zu betonen, wie die Kolleginnen und Kollegen dieses schwierige Jahr 2020 gemeistert haben, von der Verwaltung über die Produktion und die Juristen bis hin zu den Redaktionen, und zwar Feste wie Freie. Das war wirklich eindrucksvoll.
Es gibt viele neue technische Möglichkeiten, die genutzt wurden und werden. Viele crossmediale Sonderformate, die zusätzlich zu dem entstanden sind, wofür uns die Menschen in Bayern schätzen: tagtäglich verlässliche Programme von Information über Bildung bis zur Unterhaltung. Da hat der Sender seine ganze publizistische Stärke ausgespielt.
Und man hat gemerkt, was möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen, wenn Eigenverantwortung übernommen wird und man sich gegenseitig vertraut. Und ich finde, weil Sie nach der Vision fragen, auf diese hohe professionelle Leistungsfähigkeit des Hauses und auf das kollegiale Miteinander können wir aufbauen, um weiterhin für alle Menschen in Bayern ein bestmögliches mediales Angebot in der digitalen Welt zu unterbreiten. Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Vielfalt stehen für mich dabei ganz oben.
Die Freude auf Sie und Erwartungen an Sie im BR sind groß. Was sehen Sie als größte Herausforderung im Moment?
Wir haben 2020 gesehen, welchen Zuspruch und welche Wertschätzung in diesem Jahr starke Inhalte - auf allen Ausspielwegen - erreicht haben. Die Menschen in Bayern haben sich gut und glaubwürdig informiert, gebildet und auch orientiert gefühlt. Das zeigen viele Umfragen. Und es muss auch weiterhin unser oberstes Ziel sein, dass die Menschen in Bayern quer durch die gesamte Gesellschaft – also quer durch Altersgruppen, soziale und regionale Herkunft, Lebensentwürfe und Haltungen – sagen: Es ist gut, dass es den Bayerischen Rundfunk gibt!
Wir waren ja lange der Meinung, dass Akzeptanz sich vor allem in quantitativem Zuspruch äußert, also in Quoten, in Marktanteilen, in Klicks. Und natürlich will jede Redaktion immer, dass ihre Inhalte möglichst viele Leute erreichen, und wir brauchen auch Reichweiten, um Relevanz zu sichern. Aber gesellschaftliche Akzeptanz ist eben mehr als das. Es ist die Anerkennung unseres Mehr-Werts für die Gesellschaft, also "Public Value", und die Bereitschaft, dafür auch einen Beitrag zu leisten. Wir müssen alles daransetzen, an diese Wertschätzung anzuknüpfen.
Dabei werden wir auch darauf achten müssen, dass wir weiterhin die ganze Gesellschaft in ihrer heutigen Breite und Vielfalt spiegeln. Und damit zu einem verlässlichen Kommunikationsraum für verschiedene Positionen werden, zu einem wichtigen Bindeglied für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
A propos Zusammenhalt: Wir beobachten ja – und dazu gibt es auch zahlreiche aktuelle Erhebungen - dass wir als öffentlich-rechtliche Qualitätsanbieter zwar immer noch die erste Adresse in Deutschland sind, wenn die Menschen glaubwürdige Inhalte suchen, aber die Rolle der Sozialen Medien nimmt auch im Informationsbereich immer mehr zu. Hier kann jeder zum "Publizist" werden, Texte schreiben, Thesen veröffentlichen. Und manchmal zählt "gefällt mir" mehr als "stimmt". Meine Frage: Wie schaffen wir es, dass die User unterscheiden können zwischen gründlich recherchierten Nachrichten und bloßen Behauptungen, zwischen differenzierten Analysen und emotionalisierenden Echokammern? Für mich ist das ein elementar wichtiges Feld für das Funktionieren unserer Demokratie – und auch für uns als Bayerischer Rundfunk.
Transparenz über unsere journalistischen Arbeitsweisen, Kooperationen mit Bildungseinrichtungen, direkter Dialog mit Publikum und Usern – hier gibt es schon viele gute Ansätze in Richtung "Medien-Mündigkeit", aber meines Erachtens wird deren Bedeutung künftig noch zunehmen.
Natürlich gibt es auch interne Herausforderungen, eine davon die Finanzen. Die Beitragsanpassung ist bekanntermaßen zum 1. Januar erstmal nicht gekommen, auch wenn ich hier auf eine schnelle Klärung durch das Bundesverfassungsgericht hoffe. Aber auch im Falle einer Beitragserhöhung müssen wir weiter sparen, da diese die Teuerung kaum ausgleicht und die Rücklagen werden, wie von der KEF vorgeschrieben und in der Beitragsempfehlung einkalkuliert, in 2021 aufgebraucht.
Außerdem haben wir – weil es in den letzten Jahren eine Explosion an neuen Aufgaben und Ausspielwegen gab – auch das Thema Arbeitsverdichtung. Weitergedacht heißt das, wir werden am Ende nicht umhin kommen, eine Diskussion über strategische Priorisierungen zu starten. Mit welcher großen Linie, mit welchen wertvollen Inhalten, mit welchem Profil wollen wir in die Zukunft gehen? Dafür gibt es kein Patentrezept, jede Landesrundfunkanstalt wird dafür ihre eigene Antwort finden müssen.
Dabei ist mir wichtig, diese Diskussion konstruktiv und positiv zu führen. Also nicht gelähmt vor Angst vor weiteren Kürzungen oder im reflexartigen Verteidigen des eigenen Terrains. Sondern "nach vorne" gedacht, gemeinschaftlich und in großer gegenseitiger Wertschätzung, und im Bewusstsein der Stärke des Bayerischen Rundfunks, die das ganze Haus nicht zuletzt im besonderen Jahr 2020 so gut ausspielen konnte. Das wird eine der großen Herausforderungen für die nächsten Jahre.
Die Akzeptanz der beitragsfinanzierten Sendeanstalten in Deutschland schwindet. Worin sehen Sie den besonderen Wert der Öffentlich-Rechtlichen für unsere Gesellschaft?
Zunächst: Ich erlebe eine gewissen Diskrepanz zwischen der teilweise lauten medienpolitischen Kritik aus bestimmten Richtungen und der tatsächlichen breiten Zustimmung zu den Öffentlich-Rechtlichen und dem BR bei den Menschen, wie sie alle aktuellen Umfragen (von Infratest Dimap bis zur Akzeptanzstudie) eindeutig belegen. Unsere Glaubwürdigkeitswerte, das uns zugeschriebene Ansehen, und nicht zuletzt unsere Reichweiten sind so hoch wie nie. Hier müssen wir also differenzieren.
Davon unabhängig: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört, so meine tiefe Überzeugung, zur DNA unserer Demokratie. Und im digitalen Zeitalter gewinnt er umso mehr an Bedeutung, als er eben frei zugängliche, verlässliche Qualitätsangebote hat, die gut und verantwortungsvoll recherchiert sind, die politisch und wirtschaftlich unabhängig erarbeitet werden, die niemanden diskriminieren, die auch programmlich die ganze Vielfalt widerspiegeln, keine Filterblasen bedienen, die Meinungsaustausch befördern und die, wenn man so will, eine Art vertrauenswürdigen Kommunikationsraum bilden. Das ist der Wert für unsere Gesellschaft, und man kann ihn nicht oft genug herausstellen.
Sie sind eine ausgewiesene Fernsehfrau, haben aber im MDR in den letzten Jahren crossmedial gearbeitet. Wie ist Ihre Beziehung zum Hörfunk?
Ich wache morgens auf und bekomme im Hörfunk ganz schnell einen hervorragenden journalistisch hochwertigen Überblick. Auch über den Tag höre ich immer wieder Radio. Eine weitere Qualität, die Hörfunk ausmacht: Ich höre vertraute Stimmen, ich fühle mich wie zuhause, ich werde gut unterhalten. Und dann gibt es diese Momente, wenn man abends über die Autobahn fährt und zufällig in ein Hörfunkfeature über Schwarze Löcher reinzappt. Also etwas, was ich mir wahrscheinlich nicht selber aussuchen würde und was mir auch ein personalisierter Algorithmus nicht ausspielen würde, was mich aber fesselt, was mich überrascht und was mich in jedem Fall sehr bereichert.
Für mich sind das die großen Stärken des Hörfunks: die exzellenten Inhalte für viele verschiedene Zielgruppen, die Unmittelbarkeit, die Komplexität, dieses Phantasieanregen beim Hören und dann eben die Bandbreite von aktuellem, hintergründigem Journalismus über gute Musik und Unterhaltung bis hin zu tiefen Einblicken in einzelne Themen. Auch das kluge Kuratieren und In-Beziehung-Setzen von Inhalten, die direkte Ansprache und das Überraschungsmoment, das den eigenen Horizont erweitert.
Der aktuelle Podcast-Boom spiegelt ja auch eine neue Hochschätzung von Audio.
Sie sind promovierte Althistorikerin, haben als Autorin, Redakteurin, Kulturchefin des NDR und zuletzt als Programmdirektorin des MDR zahlreiche, auch preisgekrönte Dokumentarfilme verantwortet. Viele davon waren historische Formate.
Woher kommt Ihr Faible für Geschichte?
Ich bin einfach interessiert, die Welt und die Menschen in ihrer ganzen Vielfalt kennenzulernen, auch um natürlich die eigene Gegenwart und Position besser einordnen zu können. Wovon träumten und träumen Menschen? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Welche Lösungen finden sie? Wie sehr ist das Denken auch in den gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen der jeweiligen Zeit verfangen? Und wie kann man trotzdem immer wieder auch Visionen entwickeln, die über diese Strukturen hinausgehen. Um diese Vielfältigkeit kennenzulernen, kann man sich in zwei Richtungen bewegen, geografisch und historisch. Und jede dieser Bewegungen war für mich immer eine große Bereicherung.
Auf was könnten Sie im Leben nie verzichten?
Auf meine Familie und Freunde.
Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie nach Bayern zurückkehren?
Auf die Leute, auf den Tonfall, die ganze Lebensart.