Mehrfach ausgezeichnet Cytotec-Recherche gewinnt Journalistenpreise
Die Recherche zum umstrittenen Medikament Cytotec erhält neben dem Georg-Schreiber-Preis auch den DRK Medienpreis 2021. BR Recherche, report München, die Süddeutsche Zeitung und später Buzzfeed News Deutschland hatten seit Februar 2020 über die riskante Anwendung von Cytotec in der Geburtshilfe berichtet.
Die Autorinnen Eva Achinger (BR Recherche), Ann-Kathrin Wetter (BR Recherche) und Katrin Langhans (vorher SZ Investigativ, jetzt BuzzFeed News/Ippen Investigativ) haben in einer monatelangen Recherche aufgedeckt, dass im Zusammenhang mit dem Medikament schwere Komplikationen aufgetreten waren: Kinder kamen unter extrem starken Wehen mit Sauerstoffmangel zur Welt; es war zu Gebärmutterrissen und vereinzelt zu Todesfällen von Mutter oder Kind gekommen.
Weitere Infos
Hier finden Sie die komplette
Cytotec-Recherche bei BR24.
Ärztinnen und Ärzte hatten Gebärenden mitunter doppelt bis viermal so viel des Medikaments verabreicht, wie die Weltgesundheitsorganisation und das unabhängige Cochrane-Institut empfehlen. In Zusammenarbeit mit report München, dem Notizbuch auf Bayern 2 und dem Funkstreifzug/Politik und Hintergrund sind zahlreiche Beiträge entstanden.
Wirkung der Recherche
Nach der Berichterstattung der Reporterinnen über Probleme im Umgang mit Cytotec gingen mehr als 400 Meldungen über vermutete Nebenwirkungen des Medikaments beim Bundesinstitut für Arzneimittel- und Risikobewertung (BfArM) ein. Unter den Meldungen sind sowohl traumatische Geburtsverläufe als auch schwere Nebenwirkungen bis hin zu Todesfällen. Es handelt sich dabei um Verdachtsmeldungen, ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht bewiesen.
Die Überwachungsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verfasste in der Folge einen sogenannten Rote-Hand-Brief an Ärztinnen und Ärzte, in dem sie vor dem Teilen der Tablette warnt und auf zugelassene Alternativen zur Anwendung in der Geburtshilfe verweist.
Im Frühjahr dieses Jahres hat die Behörde in enger Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium darauf eingewirkt, dass die bisher aktiven Import-Firmen Cytotec nicht mehr regulär in Deutschland vertreiben. Hintergrund dafür sei das mit Cytotec verbundene Risiko, "schwerwiegender gesundheitlicher Schädigungen für schwangere Frauen und ungeborene Kinder durch unsachgemäße Anwendung” in der Geburtshilfe, so das BfArM.
Betroffene Familien gründen Netzwerk
Mehr als 100 Betroffene haben sich in den vergangenen Monaten unter der Selbsthilfegruppe "Cytotec-Stories“ zusammengeschlossen. Dutzende Mütter und Väter ziehen vor Gericht, unter anderem weil sie nicht über die möglichen schweren Komplikationen des Medikamentes aufgeklärt worden seien.
Cytotec-Recherche gewinnt Dr. Georg Schreiber-Medienpreis
Die gemeinsame Recherche wird nun mit dem Dr. Georg Schreiber-Medienpreis 2020 in der Kategorie "Hörfunk“ ausgezeichnet.
Die AOK Bayern verleiht den Preis, um journalistische Arbeiten auszuzeichnen, die "auf vorbildliche Weise dazu beitragen, sowohl die Berichterstattung im Bereich Gesundheit und Soziales zu optimieren, als auch die Rezipienten zu animieren, sich mit sozialen und gesundheitspolitischen Themen auseinanderzusetzen“.
Auszeichnung mit DRK Medienpreis 2021
In der Sonderkategorie "Digitale Medien“ gewinnt die Langzeit-Recherche auch den Medienpreis des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), der im September in Bremen verliehen wird. Die journalistischen Arbeiten, die hier ausgezeichnet werden, sollen sich unter anderem auf Grundsätze wie Menschlichkeit, Unparteilichkeit oder Neutralität beziehen.
Nannen-Nominierung in der Kategorie "Investigation“
Eine besondere Honorierung erhielt die Recherche auch mit der Nominierung für den Nannen Preis. "Aberwitzig sind die Versäumnisse, die sie offengelegt hat“, schreibt die Jury in ihrer Begründung: "Mit welch' haarsträubender Gleichgültigkeit gebärende Frauen und ihre Kinder in tödliche Gefahr gebracht wurden!“
Der Henri Nannen Preis gilt als einer der wichtigsten Journalistenpreise in Deutschland. In der Kategorie "Investigation“ gab es in diesem Jahr 200 Einreichungen. Ausgezeichnet werden hervorragende journalistische Leistungen, "die unbekannten oder unterdrückten Fakten zum Durchbruch verhelfen. Zum Beispiel, indem sie einen Missstand oder einen Rechtsbruch aufdecken.“