Unterwegs mit Kletterlegende Bernd Arnold Klettern im Elbsandsteingebirge
Auch einige Jahrzehnte nach der Wende verschlägt es nur wenige westdeutsche Kletterer ins Elbsandsteingebirge, obwohl diese Region ein Kletterparadies ist. Und so wie das Sportklettern in Bayern unweigerlich mit den Namen Wolfgang Güllich und Kurt Albert verbunden ist, steht auch für das Klettern in Sachsen jemand Pate: Bernd Arnold.
Arnold hat dem Klettern im heimatlichen Elbsandsteingebirge Gesicht und Stimme gegeben. Noch zu DDR-Zeiten kletterte er mit den Spitzenleuten aus dem Westen. Bis heute ist er am Fels unterwegs und hat viele Geschichten zu erzählen.
Bernd Arnold blickt eine steile Wand hinauf, auf dem Kopf eine Schiebermütze, umweht von Qualmwölkchen aus seiner Pfeife. Für einen Moment schwelgt er in Erinnerungen: über 50 Jahre ist das Erlebte jetzt her, in einem schneereichen Winter ist er diese Wand hakentechnisch geklettert und hat drei Tage dafür gebraucht. Die Haken sind heute alle wieder entfernt worden. Während Arnold der Wandflucht am heimischen Lilienstein 1969 eine technische Begehung abrang, waren die Klettereien seiner Vorbilder wie Walter Bonatti unerreichbar. Die Alpen lagen im Westen – hinter der Mauer. Ostdeutsche Bergsteiger mussten sich meist auf nahe Ziele beschränken.
Die Pfeife ist sein Markenzeichen. Hunderte Erstbegehungen im Elbsandsteingebirge gehen auf das Konto Bernd Arnolds.
Im jungen Bernd Arnold, geboren 1947, wuchs früh der Wunsch, die heimischen Sandsteintürme zu besteigen. Das war ihm lieber als Fußballspielen. Bald konnte er nicht nur recht gut klettern, sondern besser als die meisten. Besonders in den Siebziger und Achtzigerjahren verschiebt Arnold die Grenzen der sächsischen Schwierigkeitsskala. Er klettert oft barfuß im oberen neunten Grad – damals weltweites Top-Niveau. Hunderte Erstbegehungen werden Bernd Arnold zugeschrieben. Dabei ist die Absicherung in Sachsen weitaus kühner als andernorts – „traditionell“ nennen sie die lokalen Kletterer. Als Sicherung dürfen etwa nur Knotenschlingen, Sanduhren oder Ringe dienen. Der Ring-Mindestabstand von drei Metern, wie ihn die sächsischen Kletterregeln vorschreiben, ist meist mehr Wunsch als Wirklichkeit und das Ganze eher eine alpine Unternehmung als Sportkletterei.
Die Herkulessäulen im Bielatal. Felsen so kühn, als würden sie die Gesetze der Physik provozieren wollen.
Bernd Arnold stammt aus einer Buchdruckerfamilie. Auch er übt den Beruf aus, führt einen eigenen Betrieb und hat Familie. In der DDR fühlt er sich eingesperrt. Die innere Emigration beschreibt er später als Ausweg Er lässt das Reglementierte nicht an sich heran und verschafft sich so Freiheit in dem kleinen Raum namens Elbsandsteingebirge, der ihm bleibt. Teil seines „Lebens in den kleinen Felsen“, wie Arnold eine seiner Erstbegehungen taufte, waren Gäste aus aller Welt. Weit vor der Wende war er bestens vernetzt. Auch selbst erhielt er Einladungen, um im Ausland zu klettern. Doch nur in ganz wenigen Fällen durfte er ausreisen. 1988 schließlich gelang ihm ein Coup: Eine fingierte Silberhochzeit in München ermöglichte ihm, eine Expedition ins Karakorum. Doch Arnold verletzte sich lebensgefährlich und kehrte schließlich verspätet nach einem Krankenhausaufenthalt heim. Nie hatte er die Absicht, Heimat und Familie zu verlassen.
Wer heute das Glück hat, mit Bernd Arnold durch die Felsen des Elbsandsteingebirges zu streifen, trifft auf einen dort tief verwurzelten Menschen – auf einen, der mit Herzlichkeit, Bewunderung, Leidenschaft und Respekt von seiner Heimat und deren Geschichte erzählt. Man trifft aber auch auf einen unbequemen Geist, der trotz hunderter Erstbegehungen im traditionell sächsischen Stil hofft, dass die sächsischen Kletterregeln nicht für die Ewigkeit in Stein gemeißelt sind, dass auch andere Kletterdisziplinen eine Chance bekommen: das Bouldern und das moderne Sportklettern.
Als Sicherung dienen hier nur Knotenschlingen. Bis zum ersten Ring – zugleich ein sinnvoller Stand – ist es weit.
Klettern im Elbsandsteingebirge – das ist noch immer ein Geheimtipp, auch wenn die Geschichten von Knotenschlingen und eigenartigen Ritualen vielleicht ein wenig furchteinflößend sind. Zwei bayerische Kletterer, die erstmals im Elbsandsteingebirge zu Besuch waren, wurden von der sächsischen Kletterlegende Bernd Arnold an der Liliensteinnadel an die Hand genommen. Matthias Pfisterer aus Eichstätt steht mit seinem Kletterpartner Markus Wittmann auf sandigem Boden zwischen Felsblöcken, hinter ihm lichter Wald, auf dem Rücken der Kletterrucksack, über ihm eine Felswand auf. Mit Blicken tastet er sie ab, um mögliche Linien zu finden. Neben den Linien muss man auch die Haken finden, genauer gesagt die Ringe, an denen man sich absichert. Die Erwartungen sind groß, denn das Elbstandsteingebirge hat durchaus einen Nimbus von Abenteuer und Gefährlichkeit. Nun wollen sich die beiden von Bernd Arnold ins sächsische Klettern einführen lassen.
Bernd Arnold hat hier hunderte Wege erstbegangen und hält jetzt eine Reepschnur in der Hand: eine Knotenschlinge. Am Wandfuß bringt Arnold dem Besuch aus Bayern die besonderen Sicherungstechniken seiner Heimat bei: Eine Knotenschlinge bildet die Basis bei der Sicherung in einem Riss. Entsprechend der Rissbreite verwendet man Seilstücke oder Reepschnüre, die etwa zwei Meter lang sind. Gegen das Ende hin werden sie durch einen Sackstich zusammengehalten. Der Knoten wird dann ähnlich eine Klemmkeil in einem Riss verklemmt, und zwar an einer Stelle, an der sich der Riss verengt. Die Knoten sollen den Sandstein schonen, denn bei Belastung passen sie sich besser an als Klemmkeile aus Metall. Doch das Legen fordert viel Erfahrung. Inzwischen beginnt es zu regnen. Nassen Fels im Elbsandsteingebirge zu klettern, ist tabu. Einerseits wird der Sandstein rutschig, andererseits saugen sich feine Felsstrukturen so mit Wasser voll, dass sie bei Belastung ausbrechen. Der erste Ring der geschützten Verschneidung an der Liliensteinnadel aber steckt in gut zehn Metern Höhe und im trockenen Fels. Konzentriert klettert Markus Wittmann hinauf und legt erstmals in seinem Leben auf vielen Klettermetern nur Knotenschlingen als Sicherung.
Das ist trotz des leichteren Geländes sehr anspruchsvoll und erfordert ein behutsames Klettern muss.
Seit mehr als hundert Jahren wird an vergleichbaren „Wegen“, wie die Kletterrouten hier im Elbsandsteingebirge heißen, geklettert. Die Felsformationen erstrecken sich von Tschechien bis ins sächsische Pirna und prägen - mal mächtig, mal grazil -das Landschaftsbild. Im frühen 20. Jahrhundert gaben sich die Kletterer hier Regeln für ihren Sport, die bis heute sie in mehrfach veränderter Form fortbestehen. So streng und ernst wie in Sachsen geht es in keinem anderen deutschen Klettergebiet zu. Erstbegehungen dürfen nur von unten erfolgen, sofern sie eigene Kommissionen zuvor überhaupt genehmigt haben. Ist das nicht der Fall, werden Ringe hinausgeschlagen. Ohnehin müssen die Ringe mindestens drei Meter voneinander entfernt sein. Magnesia ist tabu, Toprope-Klettern verpönt.
Gästen wie Markus Wittmann und Matthias Pfisterer versucht Bernd Arnold das traditionelle sächsische Klettern durch eine langsame und sachte Annäherung näher zu bringen. Für Gebietsfremde wollte Arnold einst eigens einen Klettergarten mit moderner Absicherung einrichten, doch der Plan stieß auf Ablehnung. Im mächtigen sächsischen Bergsteigerbund (SBB) geben bis heute Traditionalisten den Ton an. Doch die bayerischen Gäste – beides erfahrene Alpinisten – hat auch die Absicherung nicht abgeschreckt. Sie wollen wiederkommen.
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Karte: Das Elbsandsteingebirge