Vom Beton in die Bilderbuch-Berge Skitouren rund um den Brenner
Den Brenner verbinden viele nur mit der Durchreise und hoffen, nicht im Stau zu stehen, aber in allen Richtungen verbergen sich stille und besondere Täler. Und wer direkt vom Brenner zur Tour aufbricht, der erlebt eine Bergtour voller Kontraste.
![Vom Beton in die Bilderbuch-Berge | Bild: BR; Georg Bayerle Vom Beton in die Bilderbuch-Berge | Bild: BR; Georg Bayerle](/berge/skitour/skitour-skitouren-brenner-flatschspitze-zierog-lift-118~_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f1135.jpg?version=c4363)
Aufbruch zu einer Skitour, die nicht einfach das Märchen vom glitzernden Schnee erzählt, sondern mitten durch die alpine Realität führt: Ich bin mit drei jungen, leidenschaftlichen Skifahrern aus Innsbruck unterwegs. Sie gehören zur Klimaschutzinitiative POW – Protect Our Winters – und wollen Skisport und Klimaschutz zusammendenken. Deshalb sind wir von der Haustür mit der Bahn auf den Brenner gefahren. Thomas, Martin und Anna schnallen die Ski und Stiefel an den Rucksack. Wir haben vier Kilometer Fußmarsch vor uns und deshalb Turnschuhe dabei.
Goethe und die Wagenburg
Eine Tafel erinnert daran, dass Deutschlands Literaturklassiker Goethe hier vor mehr als 200 Jahren Station gemacht hat. Den Brenner hat er damals als Felskluft beschrieben, in der er sich auf der Grenzscheide des Südens und Nordens eingeklemmt fühlte. Heute wirkt der ehemalige Grenzort mit seinen Läden, Pizzerien und leerstehenden Gebäuden wie eine wilde Wagenburg am Rande des Verkehrsgetümmels von 17 Millionen PKW und mehr als 2,5 Millionen Lastwagen. Anna empfindet es als „dark tourism“, als Erfahrung auf der dunklen Seite des Tourismus, mit Schmutz an der Straße und ausgestorben wirkenden Häusern und Gasthöfen. Trotz immer mehr Verkehr wirkt die einstige Infrastruktur heruntergekommen. So wandern wir auf dem Radweg bis zur verfallenen Liftstation des einstigen Zierog-Skigebiets.
Der alte Zierog-Lift
Gleich dahinter der Liftruine ragt eine neue Geschiebesperre auf wie eine Festung: sichtbares Zeichen des Klimawandels, denn mit der brachialen Beton- und Stahlarchitektur soll die unten verlaufende Bahnstrecke und Autobahn geschützt werden. Der Bach ist jetzt nur ein Rinnsal, aber in extremem Wetter kann er offensichtlich große Wucht entfalten. Jetzt haben wir die Ski angeschnallt. Ein paar Mal winden wir uns durch junge Fichten, weil die ehemalige Skipiste allmählich zuwächst. Dreihundert Meter höher legt sich das Gelände zurück; die Holzhütten einer Alm ducken sich in eine Geländemulde, im Hintergrund der Alpenhauptkamm, über den der Föhn Schneefahnen peitscht. Jetzt stehen wir in einem Winterbilderbuch, erklärt Anna ihre Empfindungen: „Unten ist die Brennerautobahn, die Leute brettern da, die meisten wahrscheinlich, ohne links-rechts zu schauen. Und wir gehen da ein paar Meter weg von der Autobahn eine schöne Skitour. In Gedanken bin ich doch schon weit weg davon, weil wir jetzt ganz andere Dinge sehen.“ So wie die Dünen in der weißen Wüstenlandschaft, die wir heute ganz für uns haben.
Eine Erhebung im Gipfelmeer
1200 Höhenmeter führen auf die Flatschspitze und mit jedem Meter wird es ungemütlicher, weil stürmischer. Aber in aufschäumenden Wellen tauchen immer mehr Gipfel über den Bergkämmen auf. Straßenverkehr und alles andere ist untergegangen im sturmumtosten Gipfelmeer. Auf dem schmalen Gipfelgrat kehren wir um und dann sind Martin, Anna und Thomas auf ihren Skiern ganz in ihrem Element. Es ist das Sahnehäubchen dieser Brenner-Skitour der krassen Kontraste, die Thomas so zusammenfasst: „Wir müssen uns schon eingestehen, dass wir eine gewisse Infrastruktur brauchen. Uns geht’s extrem gut, aber der Luxus hat Kosten. Irgendwann muss auch mal gut sein, irgendwann gibt’s Grenzen. Also ich bin sehr froh, wenn da, wo wir heute waren, wir weiter Skitour gehen können zum Beispiel.“ Und es ist nur eine Skitour von vielen, die wir hier auf beiden Seiten des Brenner gehen könnten. Von hier oben schauen die Berge über Brenner und Wipptal vollkommen aus; fast unberührbar.