Überschreitung der Seeköpfe im Verwall Heikle Klettertour im Zuge des Klimawandels
Ein kleines, aber sehr spezielles Gebirge liegt zwischen den Lechtaler Alpen und der Silvretta, zwischen St. Anton und Ischgl - das Verwall. "Val bell", also "Schöntal", bieten einige als Erklärung des eigentümlichen Namens an.
Neben den schönen Tälern bestechen vor allem die schroffen und dunklen Bergmassive aus Urgestein. Mittendrin steht auf knapp 2.400 Metern Höhe die Darmstädter Hütte, und gerade hier ist besonders sichtbar, wie sich mit dem Klimawandel die Landschaft und auch der Alpinismus verändern.
Vor über 40 Jahren sah die Welt hier oben noch anders aus. Albert Weiskopf, damals der Wirt auf der Darmstädter Hütte, hat den ganzen Proviant noch mit dem Muli herauf gebracht. Sein "Kühlschrank" lag einen Steinwurf von der Hütte entfernt am Gletscher. Heute sind nur noch drei schwindende Eisfelder übrig vom einstigen großen Kartellferner, der wie in einem Amphitheater das weite Halbrund des Gebirgskessels um die Hütte herum geprägt hat. Wuchtig ragen darüber die düster-dunklen Felsmassive auf. Die prominenteste Felsbastion war einmal die Kuchenspitze. Jetzt rät Andreas, der Sohn von Albert Weiskopf und heutige Hüttenwirt, von einer Besteigung ab, denn wo die Gletscher als Stütze abgeschmolzen sind und das Eis aus den Felsen taut, gerät die Statik dieser gewaltigen Gipfel aus Gneis ins Wanken und der Steinschlag nimmt zu. Auch der einst beliebte und hoch frequentierte Wanderweg über die Doppelseescharte ins Paznauntal ist schier ungangbar geworden. Wo noch vor wenigen Jahren ein Gletscher lag, befindet sich der ganze Hang in gerölliger Auflösung. Über diesem wüsten Gelände aber erhebt sich die markante Doppelspitze der Seeköpfe – ein Berg wie aus dem Bilderbuch.
Überschreitung der Seeköpfe
Die Überschreitung der Seeköpfe folgt erst dem gut angelegten Weg von der Darmstädter Hütte zum Schneidjöchl, der zur Verwallrunde gehört. Dann aber führt die Route in wildes Gelände, die Tour wird ungestüm und fordert dauernde Aufmerksamkeit im heiklen brüchigen Gestein. Am eigentlichen Gipfelaufbau klettern wir einige schöne luftige Seillängen und stehen dann über 3.000 Meter hoch mit freiem Blick von der Bernina bis zur Zugspitze auf den Seeköpfen. Solche Gipfelerlebnisse bleiben in der inneren Bildersammlung haften! Den Abstieg suchen wir durch das steile, lose Geröll unter der Doppelseescharte, wo die Markierungen, die Andreas Weiskopf in zäher Ausdauer jedes Jahr von Neuem anbringt, kunterbunt im Geschiebe herumliegen. Mit dem Wandel der Landschaft haben sich auch die Hütte und das Publikum gewandelt. Die Bergsteiger von einst sind heute wenige Spezialisten. Dafür gibt es schöne Klettergärten und mit dem Scheibler eindrucksvolle Familienberge – nicht zu vergessen die Verwallrunde, die über das Kuchenjoch oberhalb der Hütte führt.
Gewaltige Kulisse
Andreas Weiskopf kennt jeden Gast nach kurzer Zeit beim Namen und zählt außerdem zu den alpenweit besten Hüttenknödelköchen. Und er gehört zu jener Sorte Hüttenwirt, die ihre Umgebung wirklich gut kennen und die von der gewaltigen Kulisse ringsum immer wieder neu fasziniert sind. Auch wenn das dumpfe Rumpeln in der Nacht davon kündet, dass mit der Klimaerwärmung der Zahn der Zeit an diesen dunklen Riesenbergen des Verwall immer stärker nagt.
Das Verwall lässt sich übrigens binnen einer Woche durchqueren. Diese Verwall-Runde führt von Hütte zu Hütte und dabei von Tirol nach Vorarlberg und ist in einem Taschenbuch gut und mit persönlicher Note beschrieben: „Verwall-Runde live“ heißt das empfehlenswerte Büchlein des Münchner Autors Matthias Bargel.
Matthias Bargel
Verwall-Runde live! Von Tirol nach Vorarlberg - Schritt für Schritt.
Eine Hüttentour durch die Alpen.
Books on Demand, 2020
Taschenbuch, 88 Seiten
ISBN: 9783751901741
Preis: € 5,90
Interaktive Karte - es werden keine Daten von Google Maps geladen.
Karte: Die Seeköpfe