Chronische Schmerzen Die Multimodale Schmerztherapie
Stechend, pochend, brennend – Schmerzen können so unterschiedlich sein, wie wir selbst. Genauso individuell sind die Behandlungsmöglichkeiten. Für Patienten mit schweren chronischen Schmerzen ist die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMST) am wirksamsten.
Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen
Schmerz, lass nach! Daran arbeitet in der Schmerztagesklinik der München Klinik in Harlaching ein Team aus Physio- und Sporttherapeuten, Psychologinnen, Anästhesisten, Neurologinnen und Pain Nurses - mit Chefärztin Dr. Kinga Petery. Zusammen suchen sie die ideale Therapie für ihre Patientinnen und Patienten. Menschen mit ganz unterschiedlichen Schmerzen kommen in die Klinik - darunter finden sich Krankheitsbilder wie Fibromyalgie, Migräne, Arthrose, Chronic Widespread Pain (dauerhafte Muskelschmerzen im ganzen Körper), oder auch Narbenschmerzen nach Operationen. Die Behandlung findet ambulant statt, meist kommen die Patientinnen und Patienten mehrmals die Woche über mehrere Wochen. Der Vorteil: Die Menschen können währenddessen ihr Leben außerhalb der Klinik weiterführen.
Um 9 Uhr beginnt der Behandlungstag in der München Klinik in Harlaching. Jeder Patient bekommt einen individuellen Stundenplan mit verschiedenen Therapien und Untersuchungen. Patienten füllen in der Klinik zuerst einen standardisierten Fragebogen über ihre Schmerzen aus. Dieser beinhaltet auch psychosoziale Risikofaktoren für chronische Schmerzen.
Psychosoziale Risikofaktoren
- Konflikte am Arbeitsplatz
- Rentenbegehren
- Konflikte in der Familie / Partnerschaft
- Ängstliche Aufmerksamkeit auf körperliche Prozesse
- Inadäquates Krankheitsverhalten (Vermeidung / Schonung)
- Verhaltensbesonderheiten (zum Biepsiel "fröhliche" Durchhalter, immer 250 Prozent geben)
- Hinweise für das Vorliegen psychischer Störungen
Ein Tag in der Schmerztagesklinik
Wichtig: Zeit für Patienten
"Wir hören den Patienten natürlich auch sehr gut zu. Das ist ein anderes Setting bei uns, weil wir nicht innerhalb von fünf Minuten die Patienten rein und rausmanövrieren müssen. Sondern wir können sie sehr gut begleiten. Medikamente sind für die Behandlung von Schmerzen wichtig. Aber ein chronischer Schmerz dauert ja sehr lange, meist länger als drei Monate. Da wirken Medikamente oft nicht mehr so gut. Und dann setzen wir auf den multimodalen Ansatz."
Dr. med. Kinga Petery, Chefärztin, München Klinik Harlaching
Die Bausteine der Therapie
- Physiotherapie
- Sporttherapie
- Bewegungstherapie
- Ergotherapie
- Handtherapie
- medizinische Bäder
- Psychosoziale Risikofaktoren erfassen
- Psychologische Behandlung
- Entspannungstechniken wie Progressive Muskelrelaxation
- Hilfe zur Selbsthilfe
- Triggerpunkte behandeln
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (Tens)
PMR: Progressive Muskelrelaxation
Dr. Petery arbeitet mit vielen verschiedenen Therapieformen: Physiotherapie, Psychologische Beratung, Sport oder Entspannungstraining wie die Progressive Muskelrelaxation (PMR). Die Technik hat der amerikanische Arzt Edmund Jacobson in den 1920er Jahren entwickelt. Sie soll beim Entspannen helfen und Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen Linderung verschaffen. Sporttherapeut Gregor von Schmidt leitet sie in der München Klinik an und erklärt: Stress und die Wahrnehmung gegenüber Stress sind bei Schmerzpatienten häufig außer Kontrolle geraten. Bei der Progressiven Muskelrelaxation erfahren sie deshalb, wie der Muskel die Anspannung verliert. Sie kommen weg vom Schmerz hin zur wirklichen Entspannung, die sie im Alltag durch den chronischen Schmerz oft nicht mehr kennen.
Migräne: Triggerpunkte behandeln
Dr. Patika-Zoller macht bei einer Migräne-Patientin eine genaue manuelle Untersuchung. Das Ziel: Punkte in der Muskulatur ertasten, die den Kopfschmerz befördern. Diese Triggerpunkte kann sie dann manuell behandeln und verbessern. Mit Hilfe eines Saugnapfes soll die Patientin außerdem lernen, sich selbst zu behandeln. Der Saugnapf bewirkt eine Unterdruckmassage, zum Beispiel an der Kiefermuskulatur. Oberärztin Dr. Johanna Patika-Zoller weiß: Viele Patientinnen und Patienten werden ihre Schmerzen nicht komplett los. Das Ziel ist es deshalb, die Lebensqualität zu verbessern, so dass sie ihren Alltag wieder eigenständig gestalten können.
TENS und Training
Sandra Mayr arbeitet als Krankenschwester in der Schmerztagesklinik. Ihr nächster Patient leidet an Chronic Widespread Pain, also Schmerzen im ganzen Körper. Sie sind immer da und fühlen sich an wie Muskelkater, der nie verschwindet und sich bei Belastung verschlimmert. Entlastung soll dem Patienten ein TENS-Gerät bringen. TENS steht für Transkutane elektrische Nervenstimulation. Es generiert elektrische Impulse und leitet sie zur schmerzenden Stelle. Spüren soll man ein angenehmes Kribbeln. Über mehrere Wochen braucht es täglich 30 Minuten Behandlung. Zusätzlich hilft angeleitetes Training. Denn auch bei Schmerzen sollen die Patienten sich bewegen. Viele haben nicht nur körperlich, sondern auch psychisch mit ihren Schmerzen zu kämpfen. Beide Bereiche sollten deswegen behandelt werdne.
Handtherapie bei Arthrose
Bei schwerer Arthrose in den Händen bekommen Patientinnen und Patienten beim medizinischen Bademeister ein Zweizellenbad: Durch Armbäder fließt dabei Strom. Das Therapiegerät ist abgesichert und funktioniert mit galvanischem Strom, also einem gleichmäßigen Strom, den man nur sensibel spürt, aber keine Schläge davon bekommt. Er wirkt analgesierend, also schmerzlindernd. Zusätzlich hilft eine Behandlung der Handtherapeuten. Diese regt die Gelenkflüssigkeit an - und erleichtert die Schmerzen damit für eine gewisse Zeit.
Nordic Walking für alle
Zum Ende des Therapietages ist in der München Klinik nochmal Bewegung angesagt: Nordic Walking machen hier alle mit – wenn die Schmerzen stark sind, walken sie eben langsamer und warten aufeinander. Der Hintergrund: Bei leichter Belastung setzt der Körper schmerzstillende Stoffe frei, außerdem kurbelt Bewegung die Fettverbrennung an. Die Patientinnen und Patienten werden fitter und lernen, besser mit ihren Schmerzen umgehen. Auf den Körper zu hören ist für Schmerzpatienten wichtig.
Eine Sache ist Reporterin Veronika Keller beim Besuch in der Klinik besonders aufgefallen, die Schmerzpatienten haben eines gemeinsam: Die Tendenz, sich im Alltag viel abzuverlangen, vielleicht zu viel. Wem das bekannt vorkommt, dem empfiehlt sie: präventiv einfach mal einen Punkt aus der To-Do-Liste streichen, auch ohne Schmerzen.