Schielen, Augen Schielen: Mehr als ein kosmetisches Problem
Im Fachjargon wird von Strabismus gesprochen: Schielen ist weit verbreitet, – mindestens zwei Millionen Menschen hierzulande sind davon betroffen. Oft tritt es familiär gehäuft auf. Schielen bedeutet, dass die Augen nicht parallel in dieselbe Richtung blicken, sondern ein Auge von der Sehachse abweicht. Die Fehlstellung der Augen ist nicht nur ein Schönheitsfehler, sondern mit Sehstörungen verbunden. Gesundheit! begleitet drei Patienten und stellt verschiedene Therapien vor.
Dass Atai Probleme mit den Augen hat, sieht man nicht auf den ersten Blick. Der 11-Jährige schielt manchmal, vor allem, wenn er müde ist.
"Wenn ich länger lese und mir irgendwas anschauen möchte, dann ist es meistens ein bisschen verschwommen. Und das finde ich sehr nervig, weil man dann nicht so richtig sieht und das dauert eine Zeit, bis man das alles wieder fokussiert hat. Und wenn man dann irgendwas in der weiten Ferne sehen will, dann sieht man es gar nicht. Das ist halt blöd."
Atai, Patient
Schielen: Formen und Ursachen
Atai leidet unter intermittierendem - das heißt - zeitweise auftretendem Außenschielen. Vor allem abends, wenn er müde ist, fällt es seinen Eltern auf.
Im Alltag hat er wenig Probleme: Auch beim Sport, dem Fechten, behindert es ihn nicht. Trotzdem muss er regelmäßig zur Kontrolle, denn unbehandelt kann Schielen zu erheblichen Problemen führen.
"Schielen heißt, dass beide Augen nicht in eine Richtung schauen. Ein Auge weicht ab, was verschiedenste Probleme machen kann. Es kann zu Doppelbildern kommen, zu Kopfschmerzen, zum Abschalten eines Auges. Es gibt insgesamt rund einhundert verschiedene Schielformen. Bei den meisten ist es wichtig, sie frühzeitig zu erkennen, um keine bleibenden Schäden zu haben. Schielen ist also deutlich mehr als ein kosmetisches Problem."
Dr. med. Ernst Höfling, Augenarzt, Spezialist für Strabologie, München
Auch Vera schielt und zwar dauerhaft. Das Schielen begleitet die 29-Jährige schon ein Leben lang. Sie ist sehr aktiv. Die Augen-Fehlstellung ist eine Belastung im Alltag.
Studien zeigen, dass schielende Menschen im Berufsleben benachteiligt sein können. Auch sonst ist es für Betroffene oft eine Belastung. Es kann aber auch zu Beeinträchtigungen des Sehens allgemein führen:
"Schielen verursacht im Wesentlichen zwei Probleme: Zum einen, wenn ein Auge abweicht, kann man kein räumliches Sehen haben, oft haben die Kinder das von der Anlage nicht. Das andere Problem ist, dass die Sehschärfeentwicklung asymmetrisch abläuft, also ein Auge letztlich, wenn man es nicht frühzeitig behandelt, dann dauerhaft schlecht ist."
Dr. med. Ernst Höfling, Augenarzt, Spezialist für Strabologie, München
Schielen und räumliches Sehen
Unterschieden werden kann die Richtung des Schielens: Außen-, Innen- oder Höhenschielen. Aber auch der Zeitpunkt, wann es zum ersten Mal aufgetreten ist, also ob es sich um angeborenes oder erworbenes Schielen handelt.
"Ursachen ist im Wesentlich tatsächlich die genetische Disposition: Es gibt regelrechte Schielfamilien, wo eben viele schielen. Aber daneben gibt es durchaus eben auch Faktoren wie Frühgeburtlichkeit, schwere Erkrankungen in der frühen Kindheit und die höhere Weitsichtigkeit."
Dr. med. Ernst Höfling, Augenarzt, München
Schielen: Regelmäßige Untersuchungen sind wichtig
Schielen: Die Ursache des Schielens sollte bei Kindern möglichst früh abgeklärt und behandelt werden.
Wichtig ist beim ersten Schielen und in jedem Alter einen Augenarzt aufzusuchen, um die Ursache herauszufinden. Nur so kann gewährleistet werden, dass keine ernsthafte Erkrankung übersehen wird. Auch Tumore, Netzhautablösungen, neurologische Erkrankungen oder Verletzungen im Auge können Schielen auslösen. Am besten geht man zu einem speziellen Augenarzt, der sich auf Strabologie spezialisiert hat.
Schielen: Die passende Therapie
Als Atai klein war, wurde bei ihm ein Auge abgeklebt – das nennt man Okklusions-Therapie. Sie ist einfach und äußerst effektiv. Je früher man anfängt, abzukleben, umso geringer ist der Klebeaufwand insgesamt, so der Rat der Expertin.
"Es wird das gute - führende - Auge zugedeckt. Damit wird die Bahnung Auge-Gehirn auch für das „schlechtere“ Auge stimuliert und somit werden genügend Impulse vom schlechten Auge ans Gehirn weitergeleitet. Und damit ist die Sehentwicklung dann auch auf dem ehemals schlechteren Auge gewährleistet. Im Idealfall ist es so, dass beide Augen später zu 100 Prozent sehen. Das Zeitfenster für die Therapie ist aber relativ eng. Also man kann nicht sagen, wir warten jetzt mal, bis das Kind acht Jahre alt ist und fangen dann an, zuzukleben, sondern das muss man relativ früh machen."
Bettina Lieb-Ullrich, Diplom Orthoptistin, München
Schielen: Was bewirkt eine OP?
Weil das Schielen bei Atai seit einiger Zeit stärker wird, hat sich die Familie für einen Eingriff entschieden. Es handelt sich um eine Standard-Operation, die bei ihm in Vollnarkose stattfindet.
"Das Problem liegt in den allermeisten Fällen in der zentralen Steuerung des Gehirns, da kann man nicht dran drehen. Man kann nur die Muskeln, also die Stellglieder verändern. Und zwar kann man sie zurücklagern und damit schwächen, man kann sie falten oder verkürzen. Es gibt unterschiedliche Techniken, um dem Patienten die Augen möglichst gerade zu stellen und damit im Idealfall dem Gehirn wieder ein beidäugiges Sehen zu ermöglichen."
Dr. med. Ernst Höfling, Augenarzt, München
Schielen: Erklären lässt sich die OP am Modell, wo die äußeren Muskeln am Auge gekürzt oder verändert werden?
Die Schnitte sind winzig und erfolgen über die Bindehaut. Der ideale Zeitpunkt für eine OP hängt vom jeweiligen Fall ab, viele Kinder werden zwischen dem 5. und dem 6. Lebensjahr operiert, bevor sie in die Schule kommen.
Wenn der Schielwinkel so groß ist, dass keine beidäugige Zusammenarbeit möglich ist, sollte die Fehlstellung durch Operationen an den äußeren Augenmuskeln beseitigt werden. Manchmal ist die operative Stellungskorrektur auch Voraussetzung für eine wirksame Abdeckbehandlung. In der Regel erfolgt der Eingriff aber erst, wenn das Kind die Brille verlässlich trägt, mit beiden Augen annähernd gleich gut sieht und bei der Untersuchung mitarbeitet.
"Es ist ein Eingriff ins Auge und auch wenn nicht viel schiefgehen kann, habe ich schon Respekt. Aber Sorgen mache ich mir nicht, weil das ist schon ziemlich sicher, glaube ich. Deswegen passt alles."
Atai, Patient
Vera hat das schon hinter sich. Sie wurde bereits mehrmals operiert, das erste Mal als Kind. Danach war zwischenzeitlich alles gut. Jetzt muss nochmal operiert werden, weil ein Auge schlimmer geworden ist. Das kann nach einem Eingriff durchaus vorkommen.
Manchmal sieht sie Doppelbilder. Vor allem nach der Bildschirm-Arbeit ist ihr Seheiendruck verschwommen. Im August hat sie einen OP-Termin.
Experten fürchten allerdings, dass die Versorgung für Patienten künftig deutlich schlechter wird.
"Durch die in den letzten Jahren beschlossene Reduktion der Vergütung von Schieloperationen bis hin zu einer Unter-Vergütung, die nicht mal kostendeckend ist, wird in Zukunft wahrscheinlich die Versorgung immer schlechter werden. Das heißt für Patienten, dass sie auch längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, die jetzt schon bei mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr liegen. Außerdem bedeutet es auch, dass sie immer weitere Anfahrtswege zur Behandlung in Kauf nehmen müssen, und dass vielleicht einige Patienten sogar gar nicht mehr rechtzeitig behandelt werden können."
Prof. Dr. med. Oliver Ehrt, Strabismologie, Augenklinik, LMU München
Schielen: Ursache Weitsichtigkeit
Bei der 7-jährigen Luise ist das Schielen ausgeprägt: Angefangen hat es bei ihr schon als Baby.
"Eigentlich ist es nur mir am Anfang aufgefallen und dann ist das aber innerhalb von so ein bis zwei Tagen wirklich stärker geworden und beide Augen sind weggerutscht. Und dann haben wir angefangen, uns echt Sorgen zu machen. Mein Mann ist am Sonntag, so hoppla di hopp, in die Augenklinik gefahren nach München und da kam dann raus, dass es Gott sei Dank nur die Weitsichtigkeit ist, die das verursacht hat."
Mutter von Luise
Die Augen versuchen quasi permanent, die Weitsichtigkeit auszugleichen und rutschen dabei wie von selbst nach innen. Dank einer normalen Brille, bei Luise für die Weitsichtigkeit, muss das Auge nicht mehr so viel akkommodieren. Das allein hilft gegen das Schielen! Nicht jeder braucht also eine OP.
Generell raten Augenärzte dazu, jedes Kind beim geringsten Verdacht untersuchen zu lassen, besonders wenn Risikofaktoren vorliegen. Aber auch jedes „unauffällige“ Kind sollte mit 30 bis 42 Monaten untersucht werden.