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Übergewicht, Adipositas EU-weite Studie: Übergewicht vermeiden

Übergewicht ist ein riesiges Problem. Europaweit steigt die Zahl der Menschen, die deutlich zu viel auf die Waage bringen. In Deutschland sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig. Dabei wäre Gegensteuern möglich – das belegt die bisher größte europäische Studie zu Ernährung, Lebensstil und Bewegung bei Kindern, Jugendlichen und Eltern. Die Forscher haben untersucht, was passieren muss, damit sich junge Menschen für einen gesünderen Ernährungs- und Lebensstil entscheiden.

Von: Thomas Kempe

Stand: 07.02.2017 | Archiv

Übergewicht | Bild: BR

Die Europäer werden immer dicker. Ein Problem für die Betroffenen selbst und auch für die Gesundheitssysteme. Übergewicht und Adipositas erhöhen das Risiko für eine Vielzahl von Folgeerkrankungen, wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar bestimmte Krebsarten. Die Gesundheitskosten, die dadurch allein in Deutschland entstehen, werden auf rund 17 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Techniker Krankenkasse zählte 2016 fast 700.000 Arztbesuche in Deutschland mit der Diagnose Adipositas. Aber warum werden Menschen zu dick?

Wie lässt sich Übergewicht erfolgreich verhindern?

EU-weite Studie Übergewicht: Acht Länder nehmen teil.

Europaweit haben Wissenschaftler über mehrere Jahre hinweg beobachtet, wie Familien ihren Alltag gestalten. In acht europäischen Ländern (Deutschland, Schweden, Ungarn, Italien, Zypern, Spanien, Belgien, Estland) wurden Familien seit 2006/07 begleitet und insgesamt rund 16.000 Kinder immer wieder untersucht. Pro Land wurden jeweils zwei Regionen/Städte ausgewählt, die sich gut vergleichen lassen.

Studie ifamily: Familien bekommen Unterstützung im Kampf gegen Übergewicht.

Die Familien in einer Stadt wurden im Verlauf der Studie unterstützt - in Sachen Ernährung, Lebensstil und Bewegung. Sie bekamen Tipps und Anregungen für einen gesunden Lebensstil. In den Kontrollstädten gab es diese Interventionen nicht. In Deutschland wurden die Städte Wilhelmshaven und Delmenhorst ausgewählt. In den Jahren 2008 bis 2010 bekamen die teilnehmenden Familien in Delmenhorst Unterstützung. Es gab Schulprogramme, Ernährungsfragebögen, die Aufforderung mindestens einmal täglich gemeinsam mit den Kindern zu Essen, „Familienzeit“ ohne Fernsehen oder Ähnliches zu verbringen und Vieles mehr.

EU weite Studie mit drei Zielbereichen

Klare Botschaften, die helfen Übergewicht zu vermeiden.

Die Forscher zielten dabei auf drei Bereiche ab:
1. Ernährung
2. Bewegung
3. Umgang mit Stress
Es wurden einfache Botschaften gewählt.

  • Im Bereich Ernährung zum Beispiel: Mehr Wasser trinken (weniger gesüßte Getränke); Mehr Obst und Gemüse essen.
  • Im Bereich Bewegung: Weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen (vor dem Fernseher oder PC) und insgesamt körperlich aktiver sein.
  • Im Bereich Stress: Mehr Zeit mit der Familie verbringen und für ausreichend Schlaf sorgen.

Ergebnis: Die Interventionen in Delmenhorst haben deutlich positive Effekte gezeigt.

In der Interventionsgruppe war ein größerer Anteil von übergewichtigen Kindern danach normalgewichtig. Der Veranlagung zu Übergewicht kann also entgegengewirkt werden.

"Es kam heraus, dass Kinder, die zu Beginn unserer Untersuchung übergewichtig waren, in der Interventionsregion eher eine Chance hatten, normalgewichtig zu werden als dort, wo wir nicht interveniert haben."

Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Ahrens -  Europäischer Koordinator I.Family-Studie, Leibniz-Institut BIPS, Bremen

Übergewicht: weniger Bildschirmzeit für Kinder

Erstaunlich ist, dass der Faktor Bildschirmzeit/Fernsehen eine vergleichsweise große Rolle zu spielen scheint.

"Die Auswirkung von zu viel Fernsehzeit auf die Gesundheit der Kinder ist massiv.  Also das ist einer der stärksten Effekte, die wir beobachten in der Studie."

Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Ahrens - Europäischer Koordinator I.Family-Studie, Leibniz-Institut BIPS, Bremen

Übergewicht: Werbung hat deutlichen Einfluss auf das Ernährungsverhalten

Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Wer vor dem Bildschirm sitzt, bewegt sich weniger.
2. Kinder, die viel fernsehen und dadurch auch viel Werbung schauen, greifen häufiger zu gezuckerten Getränken. Das gilt sogar für Kinder, die sonst keine Vorliebe für gezuckerte Getränke haben. Zudem waren Kinder, die häufiger Lebensmittel aus der Fernsehwerbung konsumieren, häufiger übergewichtig.

"Kinder, die eben regelmäßig Werbung im Fernsehen sehen, fordern diese Lebensmittel ein. Wenn die Eltern dann diesem Kaufimpulsen oder diesem Wunsch nachgeben, dann können wir feststellen, dass die Kinder mehr Zucker und Fett verzehren und dadurch auch ein höheres Übergewichtsrisiko haben."

Dr. oec. troph. Antje Hebestreit – Ernährungswissenschaftlerin, Leibniz-Institut BIPS, Bremen  

Übergewicht: Interventionen mit positiver Wirkung

Grundsätzlich schlussfolgern die Forscher: Die Intervention wirkte sich gesundheitsfördernd auf die Familien aus. Es ist sinnvoll, ein Bewusstsein für gesündere Lebensführung zu schaffen. Insgesamt verzehrten die Familien weniger Zucker und tranken mehr Wasser als Familien aus der Kontrollgruppe. Die Ernährungsgewohnheiten von Eltern und Kindern passen sich an. Wenn oft gemeinsam gegessen wird, gewinnt die elterliche Ernährungsweise an Einfluss. Die Interventionen sollten schon beim Einkaufen beginnen, so die Expertenmeinung.

Forschung zu Übergewicht: Welche Nahrungsmittel wiken wie auf das Gehirn?

Die Untersuchungen fließen als Teil in die so genannte I. Family-Studie der EU ein. Mit Hilfe der I. Family-Studie soll herausgefunden werden, wie und warum sich junge Menschen in Europa für einen bestimmten Ernährungs- und Lebensstil entscheiden und wie dieser langfristig ihre Gesundheit beeinflusst.

Mittels MRT-Aufnahmen wird geprüft, wie Kindern und Jugendliche ihre Lebensmittelentscheidungen fällen. Was sorgt dafür, dass sie sich für gesundes Essen entscheiden?

"Es geht letztlich darum: Wie reagieren Kinder, Jugendliche und auch ihre Eltern auf Lebensmittelbilder? Und zwar Bilder von gesunden und ungesunden Lebensmitteln. Es gibt Hinweise, auch jetzt schon aus einer Pilotstudie, dass wir alle eigentlich stärker reagieren oder unsere Hirnaktivität stärker stimuliert wird durch ungesunde Lebensmittelbilder."

  Dr. rer. nat. Maike Wolters - Ernährungswissenschaftlerin, Leibniz-Institut BIPS, Bremen 

Ungesundes ist also für alle attraktiv. Die Forscher fanden aber heraus, dass die Hirnareale, die uns davon abhalten, sofort bei jeder Leckerei zuzugreifen, bei übergewichtigen Kindern weniger aktiv sind als bei normalgewichtigen. Das heißt: Sie haben sichtbar weniger Hemmung, Ungesundes zu essen.  

Übergewicht: Auch Stress macht dick

Stress und Übergewicht: Welche Zusammenhänge gibt es?

Eine Teilstudie des Projekt zeigte: Je mehr Probleme die Kinder hatten, desto höher war ihr Konsum an süßen und fettigen Lebensmitteln. Um zu überprüfen, ob das ausgeschüttete Stresshormon Cortisol das Ernährungsverhalten beeinflusst, wurden viermal täglich Speichelproben der Kinder genommen. Ein erhöhter Cortisolspiegel zeigt an, dass ein Kind gestresst ist. Bedingt durch Belohnungssysteme im Gehirn und verstärkten Appetit, kann hierdurch ein ungesundes Ernährungsverhalten ausgelöst werden. Tatsächlich zeigte sich, dass ein hoher Cortisolspiegel mit einer erhöhten Aufnahme von süßen Lebensmitteln einherging. Die Annahme, dass Stress mit einer ungesunden Ernährung in Verbindung steht, wird durch diese Ergebnisse also gestützt.

"Wir stellen fest, dass Kinder die negative Emotionen haben durch Essen kompensieren. Und dann in erster Linie natürlich zu Lebensmitteln greifen, die fett- und zuckerhaltig sind."

Dr. oec. troph. Antje Hebestreit – Ernährungswissenschaftlerin, Leibniz-Institut BIPS, Bremen  

Darum ist es wichtig, so die Forscher, dass eine gesunde Lebensumwelt geschaffen wird und das können die Eltern oft nicht alleine. Die Wissenschaftler fordern mehr Engagement auch von der Politik, um dem Übergewicht entgegen zu treten. Mehr Räume in denen Kinder zur Bewegung angeregt werden. Sichere Straßen zum Beispiel, Radwege, aber auch mehr und bessere Spielplätze. Außerdem, so die Forscher der I. Family Studie, sollte überlegt werden, ob und wie Fernsehwerbung für ungesunde Lebensmittel eingeschränkt werden kann.


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