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Arzneimittel Schluss mit Medikamentenknappheit? Wirkstoff-Recycling made in Erlangen

Es ist ein Dauerproblem: Medikamenten-Mangel, Lieferengpässe, frustrierte Kundinnen und Kunden in Bayerns Apotheken. Doch jetzt arbeitet die Forschung an möglichen Lösungen. In Erlangen werden Wirkstoffe aus Altmedikamenten neu aufbereitet. Langfristig könnte das die Medikamentenknappheit lindern. Außerdem macht "Gesundheit!" den Check: Wie geht man richtig mit abgelaufenen Medikamenten um und wie wichtig ist das Ablaufdatum?

Von: Florian Heinhold

Stand: 07.05.2024

Altmedikamente in der Hausapotheke

Jeder kennt es, vor allem wenn man Kinder hat: Die Hausapotheke muss ständig aktualisiert werden, weil Medikamente ablaufen. Ein Klassiker für viele Eltern sind angebrochene Husten- und Fiebersäfte, die ab dem Zeitpunkt der Öffnung nur noch wenige Monate nutzbar sind. In der Kolibri-Apotheke in Erlangen trifft "Gesundheit!" den Apotheker Thomas Wagner. Und der Experte vom Bayerischen Apothekenverband mahnt: Das Haltbarkeitsdatum sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

"Das sollte man sehr genau nehmen. Es ist auch kein Mindesthaltbarkeitsdatum, sondern ein maximales Haltbarkeitsdatum bei Arzneimitteln. Im Vergleich zum Lebensmittel können Sie bei Arzneimitteln ja nicht schmecken, ob es vielleicht verdorben ist. Im besten Fall kann passieren, dass das Medikament nicht mehr wirkt. Aber im schlechtesten Fall kann es natürlich auch sein, dass Zersetzungsprodukte entstehen, die auch gesundheitsschädlich sind."

Thomas Wagner, Apotheker, Kolibri Apotheke, Erlangen

Doch eine kurze Umfrage unter Kundinnen und Kunden in der Apotheke zeigt: Viele Menschen sind unsicher, wie man alte Medikamente richtig entsorgt. Einige sammeln sie zu Hause, weil sie nicht wissen, was damit zu tun ist. Andere bringen die Medikamente in die Apotheke. Thomas Wagner kann dann meist eine einfache Antwort geben: Die meisten Altmedikamente gehören einfach in den Restmüll und werden dann in Müllverbrennungsanlagen sicher entsorgt. Eine Ausnahme bilden allerdings Betäubungsmittel und Wirkstoffe, die süchtig machen können. Hier sollte eine Entsorgung über die Apotheken stattfinden, um Missbrauch zu vermeiden.

Wirkstoff-Recycling als Zukunftsperspektive

Viele Menschen haben das Gefühl, wertvolle Wirkstoffe zu verschwenden, wenn sie alte Medikamente einfach in den Hausmüll werfen und fragen sich: Gibt es in Zeiten des immer wiederkehrenden Medikamentenmangels keinen besseren Weg? Genau daran forscht ein Team der pharmazeutischen Chemie an der Uni Erlangen. Professor Markus Heinrich und seine Truppe aus Chemikerinnen und Chemikern lassen sich alte Medikamente aus Apotheken bringen, denn: "In Altmedikamenten sind häufig noch sehr wertvolle Substanzen enthalten. Und da lohnt es sich, diese zurückzugewinnen", so Professor Heinrich.

Alles muss sorgfältig sortiert und ausgepackt werden. Denn das Forscherteam hatte eine geniale Idee: Warum nicht alte Medikamente einfach recyceln?

"Diese Substanzen, die wir dadurch zurückgewinnen, sind wirklich nur für Forschung und Lehre gedacht. Aber in Zusammenarbeit mit der Industrie können die Verfahren natürlich dafür angewendet werden, wieder Wirkstoffe zurückzugewinnen und daraus wieder Medikamente zu machen."

Prof. Dr. rer. nat. Markus Heinrich, Pharmazeutische Chemie, Universität Erlangen

Eine Entblisterungsmaschine packt die wertvollen Altmedikamente aus, dann wird in mehreren Schritten der Wirkstoff von den Reststoffen im Altmedikament getrennt. Abschließend erfolgt eine genaue Qualitätsprüfung. Langfristig könnte das helfen, die Engpassproblematik zu lindern.

"Durch die Sammlung der Altmedikamente, die bei uns aktuell läuft, haben wir Zugang zu etwa 500 Wirkstoffen. Von denen haben wir bisher etwa 200 untersucht hinsichtlich der Rückgewinnung. Und man kann sagen, dass das mit einem Großteil gut funktioniert."

Prof. Dr. rer. nat. Markus Heinrich, Pharmazeutische Chemie, Universität Erlangen

Falsche Entsorgung als Gefahr für Bayerns Gewässer

Und eine Wiederverwertung von Medikamenten wäre nicht nur zur Sicherstellung des Angebots sinnvoll. Je weniger Wirkstoffe entsorgt werden, desto besser wäre das auch für die Umwelt – denn die unsachgemäße Entsorgung von Medikamenten über die Kanalisation ist ein echtes Problem. Medikamente sollten niemals in die Toilette gekippt, oder im Waschbecken heruntergespült werden. Durch normale Ausscheidungen kommen schon genug Wirkstoffe in unsere Gewässer. Daran forschen auch die Expertinnen und Experten für aquatische Toxikologie am Landesamt für Umwelt. In großen Becken werden Regenbogenforellen für die Forschung gezüchtet.

"Die Regenbogenforelle ist praktisch die Laborratte aus dem Wasser, also eine Fischart, zu der es relativ viele Referenzdaten gibt."

Dr. med. vet. Julia Schwaiger, Aquatische Toxikologie, Landesamt für Umwelt, Wielenbach

Mit Hilfe dieser „Laborratten“ kann das Team von Dr. Schwaiger genau untersuchen, welche Wirkstoffrückstände im Wasser sich auf die Gesundheit von Fischen auswirken. Beim Einfluss von Medikamenten auf die Gewässer gibt es große Unterschiede. Ibuprofen lässt sich in Kläranlagen zum Beispiel deutlich besser eliminieren als Diclofenac, das zu Schädigungen an den Fischnieren und Kiemen führen kann.

"Da gibt es Medikamente, die werden sehr gut abgebaut und es gibt welche, die werden nicht so gut abgebaut. Und dann gelangen diese in den Fluss, in den die Kläranlage ihr gereinigtes Wasser ableitet. Fische sind permanent im Wasser, sie werden also dauerbelastet durch diese Stoffe."

Dr. med. vet. Julia Schwaiger, Aquatische Toxikologie, Landesamt für Umwelt, Wielenbach

Ein sparsamer Einsatz von besonders problematischen Wirkstoffen wäre ein Lösungsansatz, genauso wie ein besseres Monitoring von problematischen Substanzen und die Einführung von Grenzwerten. Und wer weiß: Vielleicht landen dank der Forschung aus Erlangen in Zukunft allgemein weniger wertvolle Arzneimittel im Müll – und im schlimmsten Fall im Abwasser.


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