Fitzgerald Kusz "Mei Sprouch, meine Lyrik"
Fitzgerald Kusz wird 70. Der fränkische Schriftsteller wurde damit berühmt, dass er dem Volk sehr genau aufs Maul schaut. Hier verrät er uns, was ihm Dialekt bedeutet – und an wem er sich mit seinen Gedichten rächen möchte.
"die rache / der sprache / ist das gedicht": Wos für ä schäiner Spruch! Er stammt von Ernst Jandl. Gibt es eine schönere und witzigere Definition, was ein Gedicht eigentlich sein soll? Die Sprache rächt sich, sie schlägt zurück gegen die tagtägliche Berieselung, der wir ausgesetzt sind. Das einzige, was da noch hilft, is ein Gedicht. Und die Sprache, in der ich mich räche, ist der Dialekt, mei Sprouch.
Ich bin als Dialektsprecher aufgewachsen. Fränkisch war meine erste Sprache, mei Muttersprouch. Meine zweite Sprache war das Berlinerisch meines Vaters. Wahrscheinlich hat das Spannungsfeld zwischen den beiden Dialekten mein Ohr hellhörig gemacht für das, was Sprache vermag. Auf dem Gymnasium und der Uni wollte man mir meinen Dialekt austreiben. Es ist nicht gelungen. Der Dialekt war stärker. Er hat sich gerächt. Plötzlich stand was auf einem Blatt Papier: Mein erstes Gedicht. Es bestand aus nichts anderem als aus lauter Schimpfwörtern:
suä ruudzbridschn suä elendichä
suä dreckbambl suä dreckädä
suä weisbild suä schbinnäds
suä bläidä sunnä suä bläidä
suä lusch su groußä
ä suä sulln
ä suä
suä
© ars vivendi
Diese "schimpfrede" von 1970 war zugleich eine doppelte Rache. Die Rache an einer Freundin, die mich versetzt hatte und die Rache an der Hochsprache, die drauf und dran war, mei Sprouch, meinen Dialekt zu verdrängen. Der Damm war gebrochen. Von da an konnte ich nicht mehr aufhören, im Dialekt zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich in hochdeutscher Pop-Lyrik versucht. Von der Pop-Art habe ich das Prinzip des Zitierens gelernt. Das ließ sich sehr gut auf den Dialekt übertragen. Meine Mundart wurde so zur Mund–Bindestrich–Art.Mit der Betonung auf "art". Mund-Art, wie ich sie verstehe, ist kein bloßes "Dem-Volk-aufs-Maul-schauen", sondern Literatur, also ein Kunstprodukt.
Ich bin, durch mein Studium bedingt, ein unverbesserlicher "Philologe". Die Liebe zum "logos", zum Wort treibt mich um: die Sprachlust. Ich bin in die Sprache vernarrt. Sie is nicht bloß mein Handwerkszeich. Sie hat ein Eigenleben, einen unverwechselbaren Sound. Mei Sprouch "swingt", sie "groovt" und manchmal hat sie auch den "blues". Mit anderen Worten: Dialekt ist Musik, und diese Musik versuche ich aus den Wörtern heraus zu holen. Ich kann in meiner Sprouch sogar rappen:
däi ding dou
wou mid dem ding dou gäihd
houd däi ding dou gsachd
soll wos glanns gräing
vo dem ding dou soongs
obbä nix gwiiß waaßmä ned
© ars vivendi
Meine Lyrik ist für den Vortrag geschrieben. Erst dann erwachen die Texte zum Leben. Man sollte sie immer laut lesen. Gute Gedichte dürfen sich aber nicht bloß auf die Sprache verlassen. Sie müssen neben der Sprache noch etwas anderes haben, eine Energie, eine Antriebskraft, einen Treibstoff, der sie auf die poetische Umlaufbahn schickt. Diese Kraft ist es dann, die den "Flash" auslöst, das Staunen, den Schock, den Kick, den Wow-Effekt. Gedichte ohne dieses gewisse Etwas, ohne "vibrations", ohne "Schwingungen"; Gedichte, die außer Sprache nichts zu bieten haben, sind langweilig. Bloßes Wortgeklingel. Sie rauschen vorbei, sie bleiben nicht haften.
Überhaupt das Haftenbleiben! Wie erreicht man, dass Gedichte ins Bewusstsein dringen und im Gedächtnis hängen bleiben? Man muss alles Überflüssige weglassen, mit wenigen Worten maximale Wirkung erzielen. "Sprachkürze gibt Denkweite", lautet eine Maxime Jean Pauls, an die ich mich immer wieder halte. Das erklärt vielleicht auch mein Faible für den japanischen Dreizeiler, das Haiku:
deä wech is es ziel
du redsd di leichd:
iich find inn wech ned
© ars vivendi
Wir leben in einer Zeit ständiger Beschleunigung. Das Tempo, das unser Leben bestimmt, nimmt von Tag zu Tag zu. Die Lyrik muss dem etwas dagegensetzen. Sie nimmt die Geschwindigkeit aus den Dingen raus. Lyrik ist "Entschleunigung". Für die Dauer eines Gedichts scheint die Zeit still zu stehen:
ä naggdschneggn grabbld nachm reeng
ibän nassn asfald: ä ganz ä glannä
diefsdgeschwindichkeidszuuch
© ars vivendi
Ich habe mich für den Dialekt entschieden, weil ich in der Sprouch Dinge sagen kann, die ich in der Hochsprache unmöglich sagen könnte. Der Dialekt ist an allem dichter dran – an den Menschen, am Alltag, an den Emotionen, am Leben. Und er ist konkret. Das ist die eine Seite, aber es gibt noch eine andere Seite, die der Dialekt der Hochsprache voraus hat: Er lebt vom Humor. Und der ist in ihr drin. "Hauptsach, mer derf sein Humor ned verliern!" Mit diesem Spruch meiner Großmutter bin ich aufgewachsen. Was wäre mei Sprouch ohne den Humor! Er ist für mich ein Lebensmittel, ein "Überlebensmittel"! Er hilft, das Leiden an der Welt zu überwinden, er versöhnt mit dem Dasein und mit den Mitmenschen. Er ist, um noch einmal Jean Paul zu zitieren: "überwundenes Leiden".
iich hou mein humoä väluän
weä hilfd mä soung?
weid kannä ned saa
© ars vivendi
Es steht nicht gut um den Dialekt. Wie lange wird er sich noch halten? Ja, sogar vom Dialektsterben ist schon die Rede. Ich werde jedenfalls weiter dagegen anschreiben und mei Sprouch am Leben erhalten. Es wäre jammerschade, wenn die Energie, die Kraft und die geballte Ladung Emotion, die in meiner Sprouchsteckt, verloren ginge. Das ist die eigentliche "dia-leckdigg" des Dialekts:
dia-leckdigg
ohne meinä muddä iä schbrouch
kammi meim vaddä sei land
kreizweis
© ars vivendi
Zur Person
Fitzgerald Kusz ist verheiratet und hat drei Kinder. Er schrieb Dramen und Drehbücher für das Theater, für Film und Fernsehen und veröffentlichte zahlreiche Lyrikbände mit Mundartgedichten.
- 17. November 1944: Geboren als Rüdiger Kusz in Nürnberg
- 1964: Abitur am Melanchthon-Gymnasiums in Nürnberg
- Studium der Anglistik und Germanistik in Erlangen
- 1967-1968: Assistenzlehrer in Nuneaton Warwickshire, England
- 1972-1982: Lehrer für Deutsch und Englisch in Nürnberg
- 1976: Durchbruch mit seinem Theaterstück "Schweig, Bub!"
- seit 1982: freier Schriftsteller
- 1982: Theaterstücke "Derhamm is derhamm" und "Unkraut" werden uraufgeführt
- 1984: Theaterstück "Burning Love" wird uraufgeführt
- 1985: Theaterstück "Höchste Eisenbahn" hat in Esslingen Premiere
- 1990: Uraufführung "Die Nibelungen. Eine deutsche Seifenoper" in München
- 2003: Premiere des Stücks "Der Alleinunterhalter" in Nürnberg
- 2005: Das Stück "Witwendramen" wird uraufgeführt
- 2010: Uraufführung des Stücks "Lametta" in Nürnberg
Fitzgerald Kusz veröffentlichte unter anderen die Bücher "Beherzigungen", "Wunschkonzert", "Hobb", "Du, horch" oder "Der fränkische Jedermann". 2009 erschien zu seinem 65. Geburtstag das Buch "Der Vollmond über Nämberch" – mit seinen besten Gedichten aus 40 Jahren.
Für sein Wirken erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen wie den Förderpreis der Stadt Nürnberg (1974), den Hans-Sachs-Preis (1975), den Wolfram-von-Eschenbach-Preis (1983), das Bundesverdienstkreuz (1992), den Friedrich-Baur-Preis und die Verdienstmedaille Pro Meritis (beide 1998). 2013 wurde er mit dem Frankenwürfel ausgezeichnet.