Zwei neue Gedichtbände Pauline Füg: "Nach der Illusion" & Thomas Gsella: "Ich zahl’s euch reim"
Im Bücherregal, das nach Autorennamen sortiert ist, stehen Pauline Füg und Thomas Gsella eng beieinander. Sie haben auch einiges gemeinsam. Beide leben in Franken und beide schreiben Lyrik. Doch was sie dichten könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Fürtherin Pauline Füg legt in ihrem neuen Gedichtband "Nach der Illusion" komplexe, hochartifizielle Lyrik vor, während der Aschaffenburger Thomas Gsella in "Ich zahl’s euch reim“ humorige, politische Gedichte veröffentlicht hat.
Pauline Füg "Nach der Illusion"
Als Poetry Slammerin, die viel auf Deutschlands Bühnen unterwegs ist, weiß Pauline Füg wie man Texte mit wirkungsvollen Pointen schreibt. In ihrem neuen Gedichtband "Nach der Illusion" tut sie aber gerade das nicht. Denn die Fürtherin ist nicht nur Spoken-Word-Poetin, sondern auch studierte Psychologin. Beide Leidenschaften vereint sie in diesem Buch und schreibt Gedichte, die sich mit unserer Wahrnehmung und den Krankheiten unserer Seele beschäftigen. Hier etwa schlüpft Pauline Füg in die Haut eines desorientierten Demenzkranken.
Veränderung von Gehirnwellen; deine
wir haben flach geatmet am telefon
konntest du deinen namen nicht mehr
alles was du sagtest waren
fake news am morgen das datum
hinter der grenze deines verstandes
das geräusch bei entspannung
wurde nachts schlimmer
ich weiß nicht warum ich
gehofft habe dass das die wörter waren
sie enthielten zu wenig moleküle
um glaubhaft auf der zunge balanciert zu werden
beim schlucken bin ich immer
mit der spitze am falschen platz gelandet
ich habe mir sprache für dich ausgedacht
bin ich nur ein echo
von etwas das ich früher gerufen habe
ich glaube wir waren nicht da
noch nicht einmal digital
Geheimnisvoll und ziemlich hermetisch sind Pauline Fügs Gedichte. Denn wenn man poetisch hinterfragt, was Wirklichkeit und was Illusion ist, und das Verschwimmen dieser Grenzen aufzeigt, wird es für den Leser komplex. Von Wurmlöchern und Schrödingers Katze, Synapsen und Cortex, Depression und Korsakow-Syndrom handeln die Gedichte. Und von dem Leitgedanken der Parallelwelten, so Pauline Füg.
"Bei Krankheiten ist es ganz oft so, dass die Menschen sich fragen: Was wäre wenn? Was wäre wenn diese Person sich nicht suizidiert hätte? Was wäre wenn meine Oma mich noch erkennen würde? Was wäre wenn diese Person nicht das traumatische Erlebnis gehabt hätte und dadurch in eine Sucht gelangt wäre? Und ich finde, dass es immer wieder diese Parallelwelten und Parallelmöglichkeiten gibt und Teil des Trauerprozesses von diesen Personen ist. Und das ging irgendwie für mich Hand in Hand. Psychologie, Quantenphysik, Parallelwelten, Welle-Teilchen-Dualismus."
Pauline Füg
Es schadet nicht, sich ein bisschen über Pathopsychologie und Quantenphysik zu belesen. Denn das sind Schlüssel zum Verständnis dieser ausdrucksvollen Sprachgebilde. Man muss aber nicht alles verstehen in diesen Gedichten, nicht alles entschlüsseln. Man kann sich auch von einzelnen Zeilen oder Bildern anspringen und berühren lassen. Denn Pauline Fügs Sprachzauber besteht darin in dem Leser Hallräume für eigene Assoziationen zu öffnen.
Thomas Gsella "Ich zahl's euch reim"
Während Pauline Fügs Gedichte eher nach einem erfahreneren Lyrikleser verlangen, sind die Gedichte von Thomas Gsella leichter zugänglich. Denn der Aschaffenburger liebt die Pointe, den Witz und den Reim. Als langjähriger Redakteur des Satiremagazins "Titanic" darf man Gsella als Adepten der Neuen Frankfurter Schule bezeichnen, der von Lyrikern wie Robert Gernhardt beeinflusst wurde. Gsella bedichtet unser Alltagsleben und spitzt satirisch zu, was ihm in der Gesellschaft an Absurdem begegnet. Sein neues Buch "Ich zahl’s euch reim" ist Programm und enthält explizit politische Gedichte.
Till Schweiger
Der große Schweiger (kleiner Scherz)
Hat wieder nicht geschwiegen:
„Die AfD vermag nur Merz
Noch in den Griff zu kriegen!“
Denn Fritzi sei, befindet Till,
„Ein Mann, der Klartext redet.“
So sei, wer Merz als Kanzler will,
Auch klartextlich befehdet:
O gecker Krimihüpfer Till,
O Mindermime Schweiger:
Bleib im TV und schweige still
Und geh nicht auf den Zeiger.
Bei Thomas Gsella bekommen alle ihr Fett weg von Laschet über Lindner bis Scholz und Söder. Er spießt unsere Doppelmoral als Autofahrer und Klimaretter auf, richtet seinen Blick auf unsoziale Medien wie Facebook und Instagram, kritisiert Wirtschaft und Politik und thematisiert in einem ganzen Zyklus auch die Corona-Krise.
Die Corona-Lehre
Quarantänehäuser sprießen,
Ärzte, Betten überall,
Forscher forschen, Gelder fließen -
Politik mit Überschall.
Also hat sie klargestellt:
Wenn sie will, dann kann die Welt.
Also will sie nicht beenden
Das Krepieren in den Kriegen,
Das Verrecken vor den Stränden
Und dass Kinder schreiend liegen
In den Zelten, zitternd, nass.
Also will sie. Alles das.
Thomas Gsella ist ein Moralist und Aufklärer im Gewand des Satirikers. In "Ich zahl’s euch reim" haut er uns seine Gesellschaftsdiagnosen und unser Fehlverhalten so richtig um die Ohren. Doch weil er es oft mit Gewitztheit und Humor tut, lässt man es sich gern gefallen.
Info und Bewertung
Pauline Füg: Nach der Illusion, Paderborn 2021, Lektora Verlag, 100 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 978-3-95461-200-0
Ob eingängig wie bei Thomas Gsella oder vielschichtig wie bei Pauline Füg: Das Spektrum der Gegenwarts-Dichtung ist groß und vielfältig, und beide Bücher sind wärmstens zu empfehlen.
Info und Bewertung
Thomas Gsella: Ich zahl’s euch reim, München 2021, Kunstmann Verlag, 232 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-95614-457-8
Der Gedichtband "Nach der Illusion" von Pauline Füg ist im Lektora Verlag erschienen und kostet 13,90 Euro. Und der Gedichtband "Ich zahl’s euch reim" von Thomas Gsella ist bei Kunstmann erschienen und kostet 18,00 Euro.
Kommentieren