Franken - Buchtipps


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Hans Magnus Enzensberger Eine Handvoll Anekdoten

Literaturkritiker Dirk Kruse empfiehlt als Weihnachtsgeschenk die Erinnerungen von Hans Magnus Enzensberger. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Franken. Weitere Buchtipps drehen sich um Erfindungen aus Franken sowie Weihnachtsgeschichten.

Von: Dirk Kruse und Julia Hofmann

Stand: 18.12.2018 | Archiv

Buch "Eine Handvoll Anekdoten" von Hans Magnus Enzensberger | Bild: Suhrkamp Verlag | Foto: BR-Studio Franken/Franz Engeser

Der 1929 geborene Hans Magnus Enzensberger zählt zu den Größen nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Literatur. Der 89-Jährige ist immer noch einer der führenden und umtriebigsten Intellektuellen des Landes, der in seinem langen Leben viel bewirkt und erreicht hat. Ein riesiges Oeuvre an Gedichtbänden, Essays, Prosa und Theaterstücken hat er geschrieben. Enzensberger war Mitglied der legendären Gruppe 47, erhielt bereits im Alter von 33 Jahren mit dem Georg-Büchner-Preis den bedeutendsten aller deutschen Literaturpreise und war unter anderem Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch", des Kulturmagazins "TransAtlantik" und der "Anderen Bibliothek". Doch eine Autobiographie wollte dieser in allen Bereichen der Literatur tätige und erfolgreiche Autor nie schreiben, obwohl er sehr viel zu erzählen hätte.

"Naja, die Memoiren lügen ja immer. Das ist ja eine fatale Geschichte. Denn man blickt zurück und erinnert sich oft an Dinge, die überhaupt nicht stattgefunden haben. Also man weiß eigentlich nur sehr wenig über sich selbst."

Mans Magnus Enzensberger

Jetzt hat es Enzensberger aber dennoch getan. Wenigstens für seine Kinder- und Jugendjahre in Franken. Und zwar in der ungewöhnlichen Form einer Anekdotensammlung.

"Und deswegen ist es auch gebrochen in eine Art von Flashbacks, also von Rückerinnerungen, die zum Teil aber auch verdächtig sind. Denn man erzählt vielleicht schon das, was einem andere erzählt haben. In jeder Familie gibt es solche Legenden. Und da muss man aufpassen, damit man nicht lügt."

Mans Magnus Enzensberger im Interview

Ausschluss aus der Hitlerjugend

In "Eine Handvoll Anekdoten" schreibt Enzensberger in der dritten Person unter dem Kürzel M. über seine Kindheit in Nürnberg mit den drei kleineren Brüdern, über seine Evakuierung vor den Bombenangriffen nach Wassertrüdingen, das er immer als Kleinstadtkaff empfunden hat, seine Schulzeit am Gymnasium in Nördlingen und den Beginn seines Studiums in Erlangen. Enzensberger kam als Kind eines Nürnberger Postbeamten automatisch in die Hitlerjugend. Doch der paramilitärische Drill und die sadomasochistischen Mutproben gefielen ihm gar nicht.

"M., dem die Gewöhnung an den Dienst schwerfiel, wählte die nächstliegende Lösung: Er ging nicht mehr hin. Nach wenigen Wochen wurde er vor versammelter Mannschaft zu einer Zeremonie einbestellt, die auf dem Schulhof stattfand. Mit grimmiger Miene wurde ihm mitgeteilt, dass er mit sofortiger Wirkung aus der Hitlerjugend ausgestoßen sei. M. gelang es, das Gefühl der Befriedigung, das ihn ergriff, zu verbergen."

aus 'Eine Handvoll Anekdoten'

Abenteuer Bombennacht

Enzensberger findet Zuflucht vor der Hitlerjugend in der Nürnberger Stadtbibliothek und liest sich durch Berge von Büchern aller Art. Die Geburt eines Intellektuellen. In "Eine Handvoll Anekdoten" erzählt er Geschichten über eine fränkische Kindheit und Jugend in Zeiten des Krieges. Geschieben von einem eigenwilligen Charakter, der sich früh schon widersetzte und dem die Bombennächte wie Abenteuer vorkamen.

"Nicht ohne Schadenfreude erlebte M., wie die Autorität der Erwachsenen von einem Augenblick zum anderen in sich zusammenfiel, sobald es ernst wurde. Gerade die aufgeblasensten Popanze sanken in solchen Momenten in sich zusammen. Mancher saß in seiner schönen SS-Uniform wie ein Häufchen Elend im Luftschutzkeller, sobald der erste Einschlag einer Luftmine zu hören war."

aus 'Eine Handvoll Anekdoten'

Liebe zum Theater

Der 15-jährige Freigeist ist sogar als Angehöriger des Volkssturms mutig desertiert. Dennoch sind es keine Heldengeschichten, sondern Enzensberger hinterfragt das eigene Denken und Handeln. Nach dem Krieg orientiert er sich neu, jobbt als Barkeeper bei amerikanischen GIs und beginnt ein Studium in Erlangen, wo er sensibel darauf reagiert, wie einst braune Dozenten versuchen, sich eine weiße Weste anzulegen. Aber er entdeckt dort seine Liebe zum Theater. Denn er arbeitet begeistert bei der "Internationalen Theaterwoche der Studentenbühnen" mit, die im Markgrafentheater stattfindet.

"Alle malten Plakate, verkauften Karten, kümmerten sich um die Verpflegung und pinselten Kulissen. M. mimte den Dolmetscher und Dramaturgen und redigierte ein winziges Blättchen für die Teilnehmer, das er Spotlight nannte. Einmal wagte er sich sogar auf die Bühne und trat in Tiecks Gestiefeltem Kater auf. Seine schauspielerische Leistung kam den Zuschauern und ihm selber so verheerend vor, dass er beschloss, sich nie wieder in diesem Metier zu versuchen."

aus 'Eine Handvoll Anekdoten'

Dieses neugierige Ausprobieren und dann wieder abstreifen, wenn es nicht passt, ist ein Wesenszug von Enzensberger. Zu jeder Anekdote, die auch zahlreiche humorige Geschichten über die Familienmitglieder des Enzensberger-Clans beinhalten, gibt es Fotografien und Abbildungen von Erinnerungsstücken, die das Erzählte beglaubigen. Hans Magnus Enzensberger erweist sich hier als großer Meister der kleinen Form. Ein ebenso exemplarisches wie schön gestaltetes Buch.

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Hans Magnus Enzensberger: Eine Handvoll Anekdoten auch Opus incertum, Berlin 2018, Suhrkamp Verlag, 236 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-518-42821-4

Rollstuhl, Wienerle und Papiertaschentücher – Erfindungen aus Franken!

Wer weiß eigentlich, dass das Wiener Würstchen in Franken, genauer von einem Fleischhauer aus der Fränkischen Schweiz, erfunden worden ist? Solche Entdeckungen liefert dieses ansprechend gestaltete Buch. Die wohldosierten Informationshappen sind attraktiv bebildert und machen Lust aufs Blättern und Schmökern. Neben weltbekannten Produkten, wie dem Tempo-Taschentuch, finden sich auch bisher weniger bekannte, wie etwa die Erfindung des Rollstuhls im Jahr 1655 von einem Uhrmacher aus Altdorf. Vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart hat Franken jedenfalls eine erstaunliche Menge an Tüftlern und Erfindungen hervorgebracht.

Info & Bewertung

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Michael Diefenbacher, Bianca Bauer-Stadler, Petra Kluger: Vom Globus bis zum MP3. Erfindungen in und um Nürnberg, Nürnberg 2018, Verlag Hans Müller, 172 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-924773-07-6

12 Weihnachtsgeschichten – garantiert ohne Kitsch

Diese zwölf Weihnachtsgeschichten haben zwei Dinge gemeinsam: Sie spielen am 24. Dezember und sind alle locker miteinander verzahnt. Sie handeln vom Rockstar, der ein Verlobungsgeschenk für seine Freundin sucht und seine Kreativität wiederfindet, der 15-jährigen Tina, die in Thorsten verliebt ist, von Thorsten, dessen Eltern sich getrennt haben, von seiner Mutter Conny, die einen sterbenden Stadtstreicher im Krankenhaus pflegt und sich danach von ihrem Freund trennt, von einem zurückgezogenen Mann, der mit lauter Katzen in einer Villa lebt, von einem Bankräuber, der dann doch keine Bank überfällt, von einem Clochard, der sich für Jesus hält, von einem afrikanischen Jungen, der auf das Geld aus dem Benefizkonzert des Rockstars wartet, um eine Ausbildung beginnen zu können.

Diese Geschichten sind nicht kitschig und ziemlich unsentimental geschrieben, aber sehr nah an der Message von Weihnachten. Geschrieben hat sie der 1955 in Erlangen geborene und lange in Unterfranken lebende Reinhold Ziegler, der im vergangenen Jahr gestorben ist. Ziegler hat ein gutes Dutzend Bücher für Jugendliche und junge Erwachsene geschrieben und war ein großartiger Autor, der mehrfach für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war. Dieses Buch ist nicht nur für Jugendliche, sondern für alle Leser, die etwas über den wahren Geist von Weihnachten wissen wollen.

Info & Bewertung:

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Reinhold Ziegler: 24.12. aber pünktlich!, Berlin 2018, Ueberreuter Verlag, 144 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-7641-7090-5


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