Helwig Arenz Nachts die Schatten
"Nachts die Schatten" schildert beeindruckend das Leben eines Jungen in der Pubertät, zwischen Realität und Phantasie. Helwig Arenz folgt damit seinen Geschwistern Ewald und Sigrun Arenz, die schon als Autoren bekannt sind.
"Die Rockfabrik war eine Dorfdisko in der Nähe. Ich war nur einmal dort gewesen mit Klassenkameraden, seitdem wollte ich nie wieder hin. Noch nie bin ich so wenig angesehen und beachtet worden. Alles ist voller Menschen, überall wartet die Leere. In den Ecken umarmt dich die Einsamkeit. Hier und da strahlt ein hübsches Gesicht auf, aber es ist unerreichbar. Eine Reklame fürs Leben, für das du irgendwie nicht die richtige Währung hast."
Zitat aus dem Roman 'Nachts die Schatten'
Der Jugendliche Georg hat es schwer. Er ist sensibel, schüchtern und in sich verschlossen. Richtige Freunde hat er keine, und seine beiden älteren Brüder, die seine Anwesenheit oft nur dulden, machen es ihm auch nicht gerade leicht. Georg nimmt vieles wahr, bleibt aber meistens stiller Beobachter.
"Wenn man sein Leben lang einsam ist, dann entwickelt man ein Anderssein, ein verstecktes. Die Haut, der Körper ist zu groß für die dünne Seele. Die Seele wohnt nur ganz zurückgezogen und hinten. Weil sie die Welt nicht berühren will. Dazu ist die Haut da, die fremd gewordene. Aber was macht man mit dem frei gewordenen Raum? Damit man für die anderen prall und normal aussieht, stopft man sich voll. (…) Ich stopfte mich voll mit Tagträumen, mit dem Abfall von Worten, die andere fallen ließen. Ich stopfte mich voll mit Glauben und Aberglauben. Mit dünnen Fruchtblasen voller Angst. Nachts platzten sie oft und ich konnte nicht schlafen."
Zitat aus dem Roman 'Nachts die Schatten'
Realitätsnaher Adoleszenz-Roman mit phantastischen Elementen
Der einsame Georg kämpft mit den Irrungen der Pubertät. Mit Schuldgefühlen wegen sexueller Fantasien und einem Einbruch in seiner Schule, mit Verliebtheit, Ratlosigkeit und vor allem seiner überbordenden Phantasie, die Geister herauf beschwört. So will ihn eine kaum bekleidete weiße Frau im Keller verführen, und zwei komplett grüne Polizisten lauern ihm überall unerwartet auf. In diesem sehr realitätsnahen Adoleszenz-Roman wollte der Autor Helwig Arenz auch solche phantastischen Elemente haben.
"Diese Phantastik soll ja jetzt nicht Fantasy sein, sondern ist ein bisschen Metapher und wird teilweise auch beschrieben wie real. Für mich beim Schreiben war das natürlich ein großartiges Element, um zu verdeutlichen, dass der sich eigentlich nicht mit dem Zeug auseinandersetzt. Nicht mit diesen Themen. Sondern dass seine Phantasie dann verrückt spielt oder die Welt verrücktspielt und er das dann in Form von Geistern, Erscheinungen oder überhöhter Phantasie durchlebt. Und das macht natürlich auch Spaß zu schreiben. da fühle ich mich schon wohl. Es hat etwas Düsteres, Eindrückliches und Geheimnisvolles."
Helwig Arenz, Autor
Info & Bewertung
Helwig Arenz: Nachts die Schatten, Cadolzburg 2016, Ars Vivendi Verlag, 248 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-86913-720-9
Wie schon in seinem bemerkenswert guten Debütroman "Der böse Nik" über eine abgedrehte Wohngemeinschaft hat sich Helwig Arenz wieder für junge, heranwachsende Protagonisten entschieden. Was auch diesen zweiten Roman "Nachts die Schatten" auszeichnet ist die ungeheure Empathie des Autors. Er kann sich scheinbar mühelos in die Gedanken- und Gefühlswelten eines Zehn- oder Fünfzehnjährigen hineinversetzen und sie glaubwürdig schildern. Vielleicht liegt das auch an seiner jahrelangen Arbeit als Schauspieler im Kinder- und Jugendtheater.
"Ich selber kann mich an viele Sachen in meiner Kindheit gar nicht mehr erinnern. Und an meine kindliche Sicht wirklich auch nur in ganz kleinen Situationen. Etwa wenn es Missverständnisse gab, wie es hier auch Missverständnisse gibt, wenn er hört, der Frau wurde ein Kind angehängt. Was bedeutet das? Solche Sachen merkt man sich besonders, wenn es um Erwachsenenthemen geht. Ansonsten ist es tatsächlich ein Sich hineinversetzen. Und zwar nur anhand von einer Handvoll kleiner Erinnerungen an die eigene Kindheit, oder an das Heranwachsen der eigenen Tochter, der eigenen Kinder oder der Kinder im Bekanntenkreis."
Helwig Arenz, Autor
Dabei hatte Helwig Arenz die Geschichte seines Protagonisten nicht von Anfang an komplett im Kopf. Zuerst schrieb er tastend ein paar Szenen und entdeckte dann, dass sich aus den Konstellationen ein ganzer Roman machen lassen könnte.
"Dann habe ich gemerkt: da ist etwas drin. Und da kann ich auch dieses Thema des Aufwachsens behandeln. Was mache ich mit meinem sexuellen Erwachen? Was mache ich mit meinen Aggressionen? Was mache ich als schüchterner Mensch? Wie kann ich überhaupt ins Leben kommen? Wo finde ich meinen Platz im Leben? Das sind alles Fragen, mit denen ich mich gerne literarisch beschäftigen wollte. Und ich habe einfach gemerkt, dass sie vielleicht in dieser Geschichte zu beantworten sind."
Helwig Arenz, Autor
Beeindruckender Roman über das Erwachsenwerden
Helwig Arenz ist mit "Nachts die Schatten" ein beeindruckender Roman über das Erwachsenwerden, die erste Liebe und das Bezwingen der Angst gelungen. Sprachlich brillant, mitunter hochpoetisch und voller Einfühlungsvermögen. Ein Stück Literatur, das für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen geeignet ist, und dem man viele Leser wünscht.
Stichwort: Helwig Arenz
1981 in Nürnberg geboren und in Fürth aufgewachsen, ist Helwig Arenz der jüngste von sechs Geschwistern. Nach einem Schauspielstudium in Linz arbeitete Helwig Arenz als Schauspieler in Hamburg, Wilhelmshafen, Memmingen, Hof, Fürth und am Theater Pfütze in Nürnberg. Zunächst schrieb er dramatische Texte und Erzählungen. Für die Kurzgeschichte "Tom und Tierchen" wurde er 2013 mit dem Publikumspreis des Fränkischen Krimipreises ausgezeichnet. Mit "Der böse Nik" legte Helwig Arenz seinen ersten Roman vor. Unter seinen Geschwistern haben sich bereits sein ältester Bruder Ewald Arenz als Romancier ("Der Duft von Schokolade") und seine Schwester Sigrun Arenz als Krimiautorin ("Das ist mein Blut") einen Namen gemacht.
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