Max Wolf Glücksreaktor
Max Wolf ist renommierter Naturwissenschaftler. Mit „Glücksreaktor“ hat er seinen ersten Roman geschrieben. Und der führt in seine eigene Vergangenheit nach Erlangen. In seinem Erstling geht es um einen Jugendlichen aus Erlangen, der von der Technoszene infiziert wird.
Es ist das Jahr 1995. Der Erlanger Gymnasiast Fred Becker ist auf der Suche nach dem richtigen Leben. Und das soll ganz anders werden als das Leben seiner konformistischen Eltern. (0:10)
"Die Frauen im Dr. Ritterweg sind Hausfrauen, die Männer Ingenieure und Kaufmänner. Alle arbeiten bei Siemens. Faitach liegt nämlich nur zwölf Kilometer entfernt von Erlangen. Und Erlangen, das hat mein ein Meter zweiundneunzig großer Vater mir einmal mit insektenmäßigem Stolz erklärt, Erlangen ist der größte Standort der Siemens-Aktiengesellschaft. Weltweit. Und deshalb ist Erlangen, Faitach und jedes der anderen sechs Käffer zwischen Erlangen und Faitach bevölkert mit Siemensameisen. Und natürlich ist mein Vater genau so eine Ameise."
Zitat aus dem Roman Glücksreaktor
Der 17-jährige Fred ist ein begabter Schüler, der sich vor allem für die Naturwissenschaften interessiert. Was er mit seinem Leben mal anfangen soll, weiß er noch nicht. Aber er weiß ganz genau, was er nicht will.
"Ich werde mein Leben nicht in diesem Kaff verbringen. Ich werde nicht für ein Unternehmen arbeiten und irgendwelche sinnlosen Produkte verkaufen. Ich werde nicht einfach das Leben meiner Eltern oder das von irgendjemand anderem kopieren. Ich werde keine Ameise. Ich will sprudeln!"
Zitat aus dem Roman Glücksreaktor
Schon immer war Fred auf der Suche nach dem Kick. Mit 14 holte er sich den in der Skaterszene. Danach machte er einen auf Rocker, hörte Motörhead und schoss sich jedes Wochenende mit Alkohol ab. Mit 17 ist er ein erprobter Kiffer und darf endlich in eine eigene Bude nach Erlangen ziehen. Doch dann entdeckt er die Technoszene. Für Fred der ultimative Kick.
"Unser neues Leben ist bunt und fröhlich und starkstrommäßig aufgeladen. Der Brennpunkt ist die Samstagnacht im Boot. Die ganze Woche fiebern Nick und ich dieser Nacht entgegen: dem endlosen Tanzen im Elektrorausch, den meterhohen Gefühlswellen, die durch unsere Körper schwappen, dem pulsierenden Klangteppich, auf dem wir mit Überschallgeschwindigkeit durch die Nacht rauschen. Nick und ich, in unserem neuen Leben sind wir zwei oszillierende Federn."
Zitat aus dem Roman Glücksreaktor
Das "Boot", in dem Fred abfeiert, gab es wirklich in Nürnberg. Es war ein ausrangierter Ausflugsdampfer, der als Disco am Main-Donau-Kanal vor Anker lag, erklärt Max Wolf.
"Das Boot war wirklich ein phantastischer Ort, wo man Nachtleben auf eine besondere Weise erlebt hat. Da war unheimlich viel Energie. Da hat es vibriert. Und da hat man einfach die Nächte und auch die Tage auf eine Weise erlebt, wie man es davor noch nie erlebt hat. Das waren emotionale Extremzustände über Stunden und Tage hingezogen. Und das ist einfach etwas ganz Besonderes und Intensives. Da spielen ja auch Drogen eine wichtige Rolle, weil man sonst gar nicht ein, zwei Tage durchtanzen kann. Im Nachhinein denke ich mir oft, das ist gutgegangen. Da habe ich nochmal Glück gehabt, dass das ohne größere Folgeschäden bei mir abgelaufen ist."
Autor Max Wolf im Interview
Nächte- und tagelanges Tanzen im Sound harter, elektronischer Musik geht nicht ohne Drogen. Fred nimmt Extasy, Speed und Kokain, um sich aufzuputschen und raucht jede Menge Joints, um wieder runterzukommen. Ein sprudelndes Leben im Dauerrausch, das der in Franken aufgewachsene Max Wolf aus eigener Erfahrung kennt.
"Das Buch hat sehr autobiographisch angefangen. Ich habe mit Szenen begonnen, die ich genauso erlebt habe. Aber wenn man dann länger an so einem Text arbeitet - ich habe an 'Glücksreaktor' fast vier Jahre geschrieben - dann entwickelt sich das auf eine ganz natürliche Weise weg von der eigenen Geschichte. So war das zumindest bei mir. Und dieser Entstehungsprozess von so einem Buch folgt dann eigentlich ganz anderen Prinzipien als dass man seine Geschichte aufschreiben will. Man will eine tolle Geschichte schreiben. Und man nutzt das Autobiographische als Startpunkt."
Der Autor Max Wolf im Interview.
Dass dieses Leben auf der Überholspur nicht gesund ist, liegt auf der Hand. Fred bekommt unter der Woche Weinkrämpfe und kann Realität von Traum kaum noch unterscheiden. Der Absturz aus der Partywelt der Raver ist hart. Das offene Ende des Romans dramatisch. Allerdings wirken die sich in einer Spirale wiederholenden Szenen zwischen extremem Hochgefühl, totaler Ermattung und dem Hass auf das Ameisenleben der Erwachsenen ein wenig redundant.
Info & Bewertung
Max Wolf: Glücksreaktor, Roman, Hamburg 2018, Hoffmann und Campe (Tempo), 256 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-455-00439-7
Doch was Max Wolf den 17-jährigen Ich-Erzähler formulieren lässt, ist sprachlich faszinierend. Zwar reden die Protagonisten den Jugendslang der 90er Jahre, doch die Beschreibungen der Delirien des Tanzens stecken voller ungewöhnlicher, naturwissenschaftlicher Metaphern. "Glücksreaktor" profitiert vor allem sprachlich von den Erfahrungen seines Autors, der als Verhaltensbiologe an einem Leibniz-Forschungsinstitut arbeitet.
"Glücksreaktor" ist ein gewichtiger Coming-of-age-Roman über die Technoszene. Inhaltlich oft vorhersehbar, aber rasant erzählt und sprachlich brillant. Lesenswert.
"Ich habe schon lange geschrieben. Und das ist vielleicht auch ein bisschen komplementär zur Wissenschaft. Wissenschaft ist eine furchtbar schöne Tätigkeit, aber eben auch sehr reglementiert. Es gibt da ganz gewisse Standards wie man schreibt und arbeitet. Das literarische Schreiben ist etwas viel Freieres und eine andere Art von Kreativität, die man da ausleben kann, und die auch ganz faszinierend ist. Und das Schöne ist, dass diese Dinge in 'Glücksreaktor' zusammenkommen. Da spielt ja auch Naturwissenschaft eine große Rolle. Und das Buch vereinigt das Literarische mit dem Naturwissenschaftlichen."
Autor Max Wolf im Interview.
Stichwort: Max Wolf
Der 1976 geborene Max Wolf ist ein renommierter Naturwissenschaftler. Der promovierte Evolutionsbiologe arbeitet an einem Leibniz-Forschungsinstitut in Berlin und ist für seine Arbeiten in der Verhaltensforschung bereits mit internationalen Preisen ausgezeichnet worden. Doch jetzt hat Max Wolf mit "Glücksreaktor" seinen ersten Roman geschrieben. Und der führt in seine eigene Vergangenheit nach Erlangen, wo der Autor aufgewachsen ist. In seinem Erstling geht es um einen Jugendlichen aus Erlangen, der von der Technoszene infiziert wird.