Simone Veenstra Sind dann mal weg
Die gebürtige Fränkin Simone Veenstra ist eine gefragte Drehbuchautorin. Und sie ist seit über zehn Jahren erfolgreich als Kinder- und Jugendbuchautorin. Jetzt hat sie ihren ersten Roman für Erwachsene vorgelegt.
Tina ist um die 80, ziemlich einsam und hat keine große Lust mehr zu leben. Als sie auch noch vergisst, den Gashahn in ihrer Wohnung zu schließen, wird sie von ihrer Familie, die in Amerika lebt, kurzerhand in ein Altersheim verfrachtet.
"Stattdessen hatte ihr Schwiegersohn alles versucht, um ihr den Aufenthalt im Seniorenheim Schafweide schmackhaft zu machen. 'Die sind echt super ausgestattet - Mal- und Bewegungstherapie, Seniorenschwimmen, bunte Abende: Du wirst massenhaft neue Freunde finden', hatte er ihr so begeistert vorgeschwärmt, dass sie ihm am liebsten vorgeschlagen hätte, doch selbst einzuziehen. Maltherapie, neue Freunde - wen dachte er vor sich zu haben? Eine Viertklässlerin am ersten Tag in einer neuen Schule?"
Zitat aus 'Sind dann mal weg'
Ein Suizidversuch im Altersheim misslingt, bleibt aber unentdeckt. Erst als Tina dort den lebenslustigen Ex-Kapitän Ole Erickson kennenlernt und sich mit ihm und seiner Clique anfreundet, blüht sie wieder auf. Doch dann ereilt Ole am wöchentlichen Quizabend ein tödlicher Herzinfarkt und die kleine Seniorengruppe fasst einen abenteuerlichen Plan. Sie will dem Kapitän den letzten Wunsch erfüllen und seine Asche in einem Fjord in Nordnorwegen verstreuen, was Oles Sohn verbietet. Deshalb beschließen Tina, Hedi, Paul und Männi am Tag der Beisetzung Oles Asche aus der Urne zu stehlen und gegen Gartenasche auszutauschen.
"'Ähm… nur eines noch…' Paul blickte sich suchend um. 'Wohin mit Ole?'
Tina stöhnte. 'Du warst für den Transport zuständig! Jetzt sag mir nicht, du hast vergessen, einen Behälter für ihn mitzubringen.' Paul verzog entschuldigend das Gesicht und zuckte mit den Schultern. 'Muss ich irgendwie… verpasst haben.'
Männi schnaubte. 'Wie jetzt? Herr-Ich-besorge-allen-alles hat nichts dabei, um unseren Kapitän einzutüten?' Er durchsuchte seine Taschen und zog schließlich einen abgegriffenen Jutebeutel mit dem Emblem einer Supermarktkette hervor, den er Paul entgegenhielt. 'Nur gut, dass einer von uns gewappnet ist.' Paul verzog angewidert die Nase. 'Ehrlich? Da rein?' Schaudernd las er den Werbespruch vor. 'Ik bin ne Jute??!' Entnervt schnappte Tina sich Männis Beutel und füllte den Inhalt ihrer Handtasche um. Dann hielt sie ihr gutes Stück den Männern hin. 'Echt Leder', versicherte sie. 'Was Stilvolleres haben wir nicht. Los jetzt.' Paul holte tief Luft, dann drehte er die Urne um. Es staubte als Oles Überreste in Tinas Handtasche landeten."
Zitat aus 'Sind dann mal weg'
Mit Hilfe des gleichaltrigen Beerdigungsunternehmers Karel gelingt der Diebstahl von Oles Überresten, bleibt allerdings nicht unbemerkt. So beginnt eine ebenso abenteuerliche wie vergnügte Flucht per Bahn, Bus und Schiff durch Deutschland, Dänemark und Schweden bis hoch in den Norden Norwegens. Die aus der Nähe von Forchheim stammende Autorin Simone Veenstra hat diese Reise zu Recherchezwecken selbst unternommen.
"Ich glaube, ich kann das tatsächlich nur so. Denn du kannst dir Informationen über das Netz holen, aber nicht die Atmosphäre. Nicht den Geschmack. Nicht das Bier, was dir nur jemand anbietet, wenn du vor Ort bist. Nicht die Leute, mit denen du zufällig ins Gespräch kommst und Informationen, die du dann bekommst. Oder Leute, die dich irgendwohin mitnehmen. Oder du kommst zufällig in irgendein Konzert mit rein, und so weiter. Ich habe festgestellt, dass ich es bisher immer so gemacht habe - selbst bei den Kinder- und Jugendbüchern - dass ich meistens dafür ein Stück weit gereist bin. Und bei diesem hier natürlich ganz exorbitant: dreieinhalb Wochen."
Autorin Simone Veenstra im Interview
Tatsächlich ist der Text durch die Vorort-Recherchen anschaulich und originell geworden. Die Party mit dänischen Studenten, die Begegnung mit einem norwegischen Tätowierer oder die Seereise per Postschiff sorgen für Authentizität. Dazu kommt noch ein sehr persönlicher Bezug der Autorin zu ihrer plastisch geschilderten Hauptfigur. Simone Veenstra hat damit ihrer 95-jährigen holländischen Großmutter ein literarisches Denkmal gesetzt.
"Meine Oma, Jantina-Aleida, kurz Tina, heißt genauso wie meine Hauptfigur. Meine Hauptfigur hat auch sehr viel von ihr. Vor allem davon wie stark sie ist und was sie alles so regelt und auch viel, was sie erlebt hat. Es stecken so ein bisschen Dinge darin, die mir meine Großmutter erzählt hat. Und jedes Mal wenn ich bei ihr bin, dann übernachte ich in dieser Seniorenresidenz. Meine Oma hat ein Gästezimmer für mich. Und dann bleibe ich ein paar Nächte. Und dann gehe ich mit den Herrschaften dort, also mit den Freunden meiner Großmutter los. Und davon ist auch sehr viel eingeflossen."
Autorin Simone Veenstra im Interview
Auch die erste Idee für ihren Road-Movie-Roman "Sind dann mal weg" hatte Simone Veenstra vor vielen Jahren bei ihrer Großmutter.
"Sie ist entstanden, als ich mit meiner Großmutter vor der Urne meines Großvaters saß. Der war kurz vorher gestorben und kremiert worden. Und wir haben uns überlegt, was wir mit ihm machen sollen. Und meine Oma sagte: Wir können ihn nicht einsperren. Er hätte ein Urnengrab gehasst. Zwar ist es in den Niederlanden ein bisschen einfacher jemanden dort zu verstreuen, wo er gerne hinmöchte, als in Deutschland, wo das auch geht. Aber dort gibt es strengere Richtlinien. Und da war mein Gedanke: Was wäre denn, wenn das nicht erlaubt wäre. Würden wir ihn klauen? Würden wir mit ihm auf eine Reise gehen? Und das war der erste Punkt für diese Geschichte."
Autorin Simone Veenstra im Interview
Info & Bewertung
Simone Veenstra: Sind dann mal weg, München 2017, Heyne Verlag, 400 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-453-42150-9
"Sind dann mal weg" ist ein ebenso humorvoller wie tiefgründiger Unterhaltungsroman. Er handelt vom Leben, Lieben und Lügen im letzten Lebensabschnitt. Ein Buch über Freundschaft und Abschied und der schönen Botschaft, dass es sich lohnt, auch im Alter positiv nach vorn zu schauen und Neues auszuprobieren. Ein Roman, der nach einer Verfilmung geradezu schreit. Am liebsten mit Mario Adorf, Bruno Ganz, Michael Mendl, Senta Berger und Hannelore Elsner.
Stichwort: Simone Veenstra
Die 1971 geborene Simone Veenstra, die bei Forchheim in der Fränkischen Schweiz aufwuchs und in Erlangen und Groningen studiert hat, lebt seit langem als Schriftstellerin in Berlin. Sie ist eine gefragte Drehbuchautorin, die unter anderem Drehbücher für Fernsehserien wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder "Verliebt in Berlin" geschrieben hat. Und sie ist seit über zehn Jahren erfolgreich als Kinder- und Jugendbuchautorin. Jetzt hat Simone Veenstra im bekannten Heyne Verlag ihren ersten Roman für Erwachsene vorgelegt. Er heißt "Sind dann mal weg" und handelt von einer Gruppe Senioren, die eine abenteuerliche Reise unternimmt. Dirk Kruse stellt den Roman vor.