Thomas Darnstädt Nürnberg – Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945
Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg nahm vor 70 Jahren am 20. November 1945 im dafür hergerichteten Justizgebäude seine Tätigkeit auf. Dazu passend erschien nun ein dickes Buch des Spiegel-Redakteurs Thomas Darnstädt.
So wird es gewesen sein vor 70 Jahren im Schwurgerichtssaal 600, unter den Augen der Presse aus aller Welt:
"'Atten-schun', brüllt der Gerichtsdiener. 'All rise!' Acht Richter, zwei aus jedem Siegerstaat, betreten den Saal. In schwarzen Roben – die Russen in schokoladenbraunen Uniformen."
Buchzitat
Der Jurist und Journalist Thomas Darnstaedt schildert plastisch, mit Gespür für Dramatik. Deshalb dürfte auch der "ebenso kluge wie eitle Paradejurist" Chefankläger Robert Jackson seine Lieblingsfigur sein. Er war der Regisseur, der das Welttheater in Nürnberg für die Weltöffentlichkeit und für die Geschichtsschreibung inszenierte.
Nachdem sich die Angeklagten der Reihe nach für nicht schuldig erklärt hatten, trat Robert Jackson ans Pult.
"Kein Mucks im Saal. Die Dolmetscher im Glaskasten gingen in Hab-acht-Stellung, der Ankläger ordnete sein Manuskript: 'Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen.'"
Buchzitat
Große Bühne. Mit wenigen Sätzen schaffte es der amerikanische Chefankläger Jackson, den Gerichtssaal zum Abheben zu bringen. Der Ankläger der mächtigsten Nation der Welt machte seinem Auditorium klar, dass es in diesem Gerichtssaal um mehr ging, als um das Recht. Jackson ging es um die Bewährung der Moral.
"Selbst der nüchterne Alfred Döblin, der Schriftsteller des Elends der Weimarer Republik, mittlerweile Kulturmitarbeiter der französischen Militärregierung und auch im Gerichtssaal anwesend, war beeindruckt: 'Ja, es ist ernst. Der Vorhang hat sich gehoben vor einem entscheidenden Akt der Menschheitsgeschichte.'"
Buchzitat
Stimmung schaffen, inszenieren, was er sorgfältig zusammengetragen hat an Zeugnissen von damals, das kann der Journalist Darnstaedt. In handlichen elf Kapiteln lässt sich nachlesen, wie die Idee für ein Tribunal entstand, wie die Ermittler in ganz Europa nach Beweisen suchten, wie die Todesurteile vollstreckt wurden. Der JuristDarnstaedt ist dazu noch in der Lage, die Bedeutung Nürnbergs für die Rechtsgeschichte zu durchdringen. Das Neue daran verständlich zu machen, nicht nur für Juristen.
Das Gerichtsverfahren in Nürnberg führte dazu, dass zwar über ein paar sehr zähe Etappen hinweg schließlich doch der Internationale Strafgerichtshof in DenHaag gegründet wurde. Die vertragliche Grundlage für DenHaag, das sogenannte römische Statut, haben übrigens gerade die Machtstaaten China, Russland und auch Amerika, die Erfinder von Nürnberg, nicht unterzeichnet. Darnstädt nennt das einen Witz der Geschichte, aber der Jurist betont dennoch die Bedeutung des modernen Völkerrechts.
"Einen Krieg zu beginnen war zu Zeiten von Nürnberg eine Selbstverständlichkeit, war das Vorrecht der souveränen Staatslenker. Heutzutage ist Krieg rechtfertigungsbedürftig geworden. Allein das ist ein epochaler Schritt in der Entwicklung des Völkerrechts."
Thomas Darnstädt
Info & Bewertung
Thomas Darnstädt: Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945. 416 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, mit 16 Abbildungen. 24,99 Euro. ISBN: 978-3-492-05684-7
Angesichts der neuen Form von Krieg die der sogenannte IS über die Welt bringt, müssten möglichst viele Entscheidungsträger daran gehen, für die Prinzipien von Nürnberg – nämlich persönliche Verantwortung für das Anzetteln eines Krieges – als gesetztes Recht und allgemeingültige Moral zu streiten. Frieden durch Recht ist bisher die einzige Idee auf dem Globus, die funktionieren könnte. Nicht von ungefähr graben Juristen und Diplomaten inzwischen die alten Akten von Nürnberg wieder aus: "Wie haben die das gemacht?"
Darnstädts 416 Seiten starkes Buch ist natürlich eine gut lesbare detailreiche Darstellung des historischen Geschehens, aber gleichzeitig schlägt es für politisch Interessierte, die Brücke in die Zukunft.
"Das ist keine Geschichte von den Alten, das ist eine Geschichte von heute. Es geht darum, wie kriegen wir den Frieden in die Welt."
Thomas Darnstädt