Franken - Buchtipps


26

Uwe Neumahr "Das Schloss der Schriftsteller"

Nürnberg 1945/46: Journalisten und Schriftsteller aus aller Welt kommen in die Stadt, um über den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes zu berichten. "Ein Treffen am Abgrund", so der Untertitel des erzählenden Sachbuchs "Das Schloss der Schriftsteller" von Uwe Neumahr.

Von: Dirk Kruse

Stand: 10.05.2023 | Archiv

Cover Sachbuch Uwe Neumahr: "Das Schloss der Schriftsteller" | Bild: BR / Dirk Kruse

In Nürnberg wurde ab November 1945 mit dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Naziregimes Weltgeschichte und Justizgeschichte geschrieben. Das Tribunal im Schwurgerichtssaal 600 war auch ein mediales Großereignis. Es reisten Hunderte von Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt an, um über die Nürnberger Prozesse zu berichten. Darunter auch zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Die meisten von ihnen wurden in einem Presse-Camp in Schloss Faber-Castell in Stein untergebracht.

Über dieses "Schloss der Schriftsteller“ hat der Germanist und Autor Uwe Neumahr ein erzählendes Sachbuch veröffentlicht, das seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste steht. Untertitel: "Nürnberg '46. Treffen am Abgrund".

In Nürnberg traf im Herbst 1945 Weltliteratur auf Weltgeschichte. Unter den Literaten, die angereist waren, um über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu berichten: John Dos Passos und Ilja Ehrenburg, Erich Kästner und Erika Mann, Martha Gellhorn und Rebecca West, Willi Brandt und Markus Wolf, Elsa Triolet und Robert Jungk.

Buchtipp: Uwe Neumahr: "Das Schloss der Schriftsteller"

Gewohnt haben die meisten von ihnen im Schloss Faber-Castell in Stein. Denn Nürnberg lag zerbombt in Ruinen. Das Schloss vor den Toren der Stadt war noch intakt, allerdings alles andere als eine hochherrschaftliche Unterkunft.

"Man muss sich das eher wie eine Jugendherberge vorstellen, also es war relativ schmuddelig. Man muss sich vorstellen, dass die Korrespondentinnen und Korrespondenten dort auf Feldbetten zu zehnt in Zimmern schliefen. Also wirklich WG-mäßig. Und die Situation mit den sanitären Einrichtungen war buchstäblich katastrophal. Da ist halt auch nur eine Toilette. Und wenn sie da, ich sage mal, 200 Korrespondenten drin haben, dann wird es natürlich stressig. Zumal für die Frauen auch, die in der Villa untergebracht waren im Schlosspark. Und in dieser Villa gab es vor allem Urinale und zwei Toiletten für 40 Frauen. Da können Sie sich vorstellen, dass die da not amused waren. Und es gibt auch Berichte von dem Leiter des Press Camps, Ernest Cecil Deane, dass er da sehr stark auf Widerstand stieß, unter anderem auch von Erika Mann und Rebecca West."

Uwe Neumahr, Autor

Anschaulich schildert Uwe Neumahr in "Das Schloss der Schriftsteller" nicht nur das Pressecamp, sondern auch den Nürnberger Prozess, der sich über ein Jahr streckte. Da gab es zwar Höhepunkte wie die Eröffnungsrede des amerikanischen Chefanklägers Jackson oder das Kreuzverhör von Göring, doch auch sehr viel Langeweile, weil alle Beweismittel in Aktenform vorgelesen wurden, wie die Autorin und Paris-Korrespondentin Janet Flanner schrieb.

"Im Großen und Ganzen haben es unsere Ankläger geschafft, den am umfassendsten geplanten und dramatischsten Krieg, den die Welt je erlebt hat, langweilig und unzusammenhängend erscheinen zu lassen."

Zitat aus 'Das Schloss der Schriftsteller'

Das führte dazu, dass manche der Berichterstatter, die ja auch in einem großen Konkurrenzdruck zueinanderstanden, in ihren Berichten Kleinigkeiten dramatisierten und auch vor Falschmeldungen nicht zurückschreckten.

"Boulevardjournalisten tendierten tatsächlich dazu, das in die Welt zu setzen, was man heute auch Fake-News nennt. Also da wurde wirklich, ich sage es ganz offen, gelogen, dass sich die Balken biegen. Rudenko, der sowjetische Ankläger, soll Göring im Gerichtssaal erschossen haben. Dann schrieb eine US-Zeitung, dass Göring einem Herzinfarkt erlegen sei. Es wurde von Attentaten auf die Alliierten in Nürnberg berichtet, obwohl überhaupt nichts passiert war oder vielleicht nur ein Blindgänger hochging. Das wurde dann großgeschrieben und skandalisiert."

Uwe Neumahr, Autor

Viele der Berichte der internationalen Reporter und Literaten waren auch weltanschaulich geprägt. Besonders unterschied sich die russische von der amerikanischen Berichterstattung, weil sich hier schon der aufziehende Kalte Krieg bemerkbar machte. In einem waren sich aber fast alle einig: Man glaubte an eine Kollektivschuld der Deutschen.

Auch Thomas Manns Tochter Erika, die aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war, hatte ein sehr negatives Bild von den Nachkriegsdeutschen.

"Von der Kollektivschuld der Deutschen war Erika Mann überzeugt. Scharf kritisierte sie deren mangelnde Selbstreflexion, das 'penetrante Selbstmitleid' und die subjektive Schuldunfähigkeit. In einem Brief warnte sie ihre in den USA lebenden Eltern, nicht nach Deutschland zurückzukehren: 'Und ich flehe Euch an: Erwägt auch nicht eine Minute lang in dieses verlorene Land zurückzukehren. Es ist einfach nicht menschenerkennbar.'"

Zitat aus 'Das Schloss der Schriftsteller'

Diese Unnachsichtigkeit angesichts des unvorstellbaren Grauens der Konzentrationslager, ist aber auch verständlich. Die Stimmung war angespannt. Denn bei den Nürnberger Prozessen und im Presselager auf Schloss Faber-Castell trafen ganz unterschiedliche Gruppen aufeinander: Exilautoren auf die der inneren Emigration, überzeugte Nationalsozialisten auf KZ-Überlebende, Mitläufer auf Widerstandskämpfer, so Uwe Neumahr.

"Die Spannungen waren enorm. Also da wurden jüdische Korrespondenten von Hitlers Hausintendanten bewirtet. Da war der Fotograf Ray D'Addario, dem wir legendäre Prozessfotos verdanken. Der heiratete im Schloss. Und wer schmiss die Party? Der Hausintendant von Hitler. Also man kann sich diese Situation kaum absurder vorstellen."

Uwe Neumahr, Autor

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller, München 2023, C.H.Beck Verlag, 304 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-3-406-79145-1

"Das Schloss der Schriftsteller" ist ein sehr lesenswertes Sachbuch über einen Kulminationspunkt von Geschichte und Literatur. Fundiert recherchiert und anschaulich erzählt. Uwe Neumahr präsentiert uns Geschichte in Geschichten, etwa über Elsa Triolet, die knallharte Stalinistin mit abstrusen Verschwörungstheorien oder die Starreporterin Rebecca West, die eine Affäre mit einem Richter hatte.

Zusammen mit Steffen Radlmaiers "Der Nürnberger Lernprozess", dem Neumahrs Buch viel verdankt, und Christiane Kohls "Das Zeugenhaus" bildet "Das Schloss der Schriftsteller" eine ideale Trias zu einem Stück Weltgeschichte made in Franken.


26