Franken - Zeitgeschichte


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Völkermord vor Gericht "Recht anstelle von Rache und Vergeltung"

Bei der Eröffnung der Akademie Nürnberger Prinzipien war auch Hassan Bubacar Jallow dabei, Ankläger des Strafgerichtshofs für den Völkermord in Ruanda. Mit dem BR sprach er über die Herausforderung, einen solchen Prozess zu führen.

Von: Ulrike Lefherz

Stand: 09.06.2015 | Archiv

Hassan B. Jallow – Ankläger beim Ruanda-Tribunal | Bild: International Nuremberg Principles Academy

Hintergrund

Innerhalb von drei Monaten des Jahres 1994 wurden in Ruanda bis zu eine Million Menschen brutal ermordet, die meisten davon Angehörige der Tutsi-Minderheit. Die politisch Verantwortlichen müssen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda verantworten. Ende 2015 soll dessen Arbeit abgeschlossen sein. Ankläger ist seit zwölf Jahren der 63-jährige Jurist Hassan Bubacar Jallow aus Gambia.
Er nahm am 6. Juni 2015 an der Eröffnung der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien teil. Dort traf ihn unsere Reporterin Ulrike Lefherz zum Interview.

BR: Herr Jallow, seit zwölf Jahren beschäftigen Sie sich mit den Gräueltaten, die an den Tutsis in Ruanda begangen wurden. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen?

Hassan Bubacar Jallow: Die Massenmorde der Nazis, die in Ex-Jugoslawien, in Kambodscha und Ruanda sind alle nach dem gleichen Muster abgelaufen. In allen Fällen haben die politisch Verantwortlichen einzelne Bevölkerungsgruppen diskriminiert und für das verantwortlich gemacht, was in der Gesellschaft schief läuft. So auch in Ruanda. Die Volksgruppe der Tutsis musste als Sündenbock für verschiedene Probleme herhalten. Das lief über einen längeren Zeitraum, es gab viel Propaganda. Und es wurde öffentlich dazu aufgerufen, sich an den Gräueltaten zu beteiligen. Das führte schließlich zu den schrecklichen Übergriffen, bei denen in nur drei Monaten fast eine Million unschuldiger Zivilisten ermordet wurde. Nur weil sie zur Minderheit der Tutsis gehörten. So etwas passiert, wenn Staatsregierungen die Menschenrechte nicht achten. Mich bekräftigt das in meinem Einsatz für die Menschenrechte. Wir müssen überall auf der Welt ein Umfeld schaffen, in dem die Staatsregierungen die Menschenrechte achten und die Rolle des Rechtes hochhalten. Jeder Mensch ist gleich viel wert.

BR: Reden wir über Propaganda. Der Internationale Gerichtshof für Ruanda hat auch drei Journalisten verurteilt, weil sie die Menschen gegen die Minderheit aufgehetzt hatten.

Jallow: Alle drei haben jahrelange Haftstrafen bekommen, zwei lebenslänglich, einer 35 Jahre. Im Radio Mille Collines und auch in einem Printmedium wurden die Leute zum Mord an Tutsis aufgehetzt, und das ist in der Folge auch passiert. Zunächst wurde immer wieder erklärt, solange die Tutsis da sind, gibt es keinen Frieden, keinen Fortschritt und keine Sicherheit. Das wurde natürlich vielfach wiederholt. Alle drei Journalisten haben sich nicht für schuldig bekannt. Einer hat den Genozid schließlich öffentlich bedauert, allerdings keine eigene Mitverantwortung eingeräumt.

BR: Seit 20 Jahren beschäftigt sich das Internationale Strafgericht nun mit dem Fall Ruanda. Nach einem Bericht der UN ist die Zermürbung der Mitarbeiter eines der Hauptprobleme beim Strafgerichtshof. Was ist an der Arbeit so anstrengend?

Jallow: Diese Fälle zu bearbeiten ist eine Riesenherausforderung, weil es ein riesiges internationales Vorhaben ist. Das Ruanda-Tribunal hat seinen Sitz in Arusha in Tansania, aus Sicherheitsgründen. Das ist leider weit von den Schauplätzen der Massaker entfernt. [Es sind etwa 1.000 Kilometer bis nach Kigali, zur Hauptstadt Ruandas; Anm. d. Red.]. Sie sind weit weg von den Zeugen. Also müssen Sie erst zu ihnen fahren und sie dann nach Tansania bringen. Außerdem hielt sich natürlich keiner der Angeklagten mehr in Ruanda auf, sondern überall auf der Welt versteckt. Die müssen sie erst einmal ausfindig machen. Auch die Anwälte sind überall verteilt. Immerhin haben wir es geschafft, 93 Beschuldigte festzunehmen. Der letzte dieser Fälle, der Butare-Fall, kann hoffentlich bis Ende dieses Jahre abgeschlossen werden. Dann werden wir den Strafgerichtshof auflösen. Neun Angeklagte sind noch auf der Flucht. Von diesen Verfahren haben wir sechs an Ruanda zurück gegeben, die anderen drei werden wir mit Hilfe einer Institution weiterverfolgen, die vom UN-Sicherheitsrat eingerichtet wurde, dem "Mechanismus für Internationale Strafgerichtshöfe".

BR: Bei den Nürnberger Prozessen vor rund 70 Jahren hat die Bevölkerung an der Aufarbeitung der Nazi-Kriegsverbrechen kaum Notiz genommen. War das in Ruanda der Fall?

Jallow: Es war eine unserer größten Herausforderungen, mit der wir am Anfang zu kämpfen hatten. Es gab diese geografische Distanz, und die macht den Informationsfluss auch nicht gerade einfacher. Anfangs haben nicht viele in Ruanda mitbekommen, was wir in Tansania verhandelt haben, obwohl es direkt mit ihrem Leben und ihrer Geschichte zu tun hat. Wir haben deshalb eine Öffentlichkeitsoffensive gestartet. In Kigali und anderen Städten haben wir Informationscenter eingerichtet. Wir haben Kontakt aufgenommen zu den Verbänden der Überlebenden, der Anwälte, Verteidiger und Richter. Ich selbst habe es mir zur Aufgabe gemacht, wenigstens alle zwei Monate zu den Schauplätzen der Massaker zu fahren, um mit Überlebenden zu sprechen und unsere Arbeit zu erklären. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass die Betroffenen mitbekommen, dass die internationale Gemeinschaft sich ihrer Sache annimmt.

BR: Welche Begegnung hat Sie während der vielen Jahre nachhaltig berührt?

Jallow: Ich erinnere mich lebhaft an einen meiner Mitarbeiter, von dem ich erst hinterher erfahren habe, dass auch er seine Familie verloren hatte. Ich habe ihn gefragt, wie er damit zurecht kommt. Er sagte mir: "Ich weiß, wer es war. Ich weiß, wer meine Familie umgebracht hat. Und ich weiß, dass diejenigen vor Gericht stehen. So lange sich die Juristen der Sache annehmen, kann ich still halten." Das hat mich sehr beeindruckt, ich habe bei diesen Worten großes Vertrauen in die Kraft des Rechts gespürt. Und gleichzeitig hat es mir die enorme Verantwortung aufgezeigt, die wir am Strafgerichtshof gegenüber den Opfern und den Überlebenden haben. Anstelle von Rache und Vergeltung soll das Recht die Angelegenheit regeln.

BR: Welchen Beitrag kann die neu gegründete Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien leisten?

Jallow: Ich war vor drei Jahren schon einmal in Nürnberg bei einem Treffen der Ankläger an den Internationalen Strafgerichtshöfen. Wir treffen uns meiner Ansicht nach viel zu selten, um Erfahrungen auszutauschen. Was in Nürnberg vor 70 Jahren geschaffen wurde, hat die internationale Strafjustiz begründet. Die Nürnberger Prinzipien haben den globalen Kampf gegen Ungerechtigkeit, gegen Straflosigkeit und für die Rechenschaftspflicht politisch Verantwortlicher an Kriegsverbrechen maßgeblich beeinflusst. Dass dieses erhalten und weiterentwickelt wird, ist sehr wichtig. Nürnberg ist dazu der ideale Ort. Die neue Herausforderung wird sein, dass sich die einzelnen Staaten selbst um ihre Völkerrechtsverletzungen kümmern. Und die internationale Gerichtsbarkeit nur dann zum Zuge kommt, wenn das nicht möglich ist oder der politische Wille fehlt.


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