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Millionendeals Die Steuertricks der Commerzbank

Jedes Jahr entgehen dem Bund Millionen, weil Banken Steuerschlupflöcher nutzen. Beispiel Commerzbank: Sie taucht in Dokumenten, die dem Bayerischen Rundfunk vorliegen, besonders häufig auf. Die Methode: Cum/Cum-Aktiendeals.

Von: Pia Dangelmayer, Wolfgang Kerler, Arne Meyer-Fünffinger

Stand: 02.05.2016 | Archiv

Die Zentrale der Commerzbank steht in Frankfurt am Main (Hessen) im Morgenlicht und spiegelt sich in einem Autodach. | Bild: picture-alliance/dpa

Eigentlich hätte die Hauptversammlung Ende April zum feierlichen Abschied von Martin Blessing werden sollen: Nach acht Jahren sprach er zum letzten Mal als Vorstandsvorsitzender der Commerzbank zu den Aktionären - und konnte dabei endlich wieder einen Milliardengewinn präsentieren, nach vielen mageren Jahren.

Trotzdem musste sich der scheidende Konzernchef auch kritische Fragen von Aktionären gefallen lassen, auch zu den juristisch umstrittenen Cum/Cum-Geschäften, die der Steuervermeidung dienen. Wie hält es die Bank damit?

"Die Commerzbank tätigt täglich über 100.000 Handelsgeschäfte mit Tausenden unterschiedlichen Kunden, Brokern, Banken und vielen anderen Marktteilnehmern. Insoweit handeln wir zwangsläufig in so genannten Cum/Cum-Situationen. Wir stellen durch umfangreiche interne Systeme und Kontrollen sicher, dass alle Handelsgeschäfte im Einklang mit dem geltenden recht stehen."

Martin Blessing, scheidender Commerzbank-Chef, am 20. April 2016

Milliardenschwere Transaktionen

Gegenüber den Aktionären war das also eine vage Bestätigung von Cum/Cum-Geschäften. Das ist mehr als der Bayerische Rundfunk und seine Kooperationspartner von der Commerzbank erfuhren. Auf mehrere Anfragen zu den Rechercheergebnissen antwortete die Bank: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns dazu nicht äußern." Abschließend teilte sie mit, sie halte sich an geltendes Recht. Dem Bayerischen Rundfunk liegen Dokumente vor, die milliardenschwere Cum/Cum-Geschäfte mit Beteiligung der Commerzbank bestätigen.

Cum/Cum-Geschäfte mit Beteiligung der Commerzbank

Beispiel 2015: Kurz bevor Siemens seine Dividende ausschüttet, verleihen internationale Investoren riesige Aktienpakete an die Commerzbank. Allein mit diesem Deal werden rund eineinhalb Millionen Euro Steuern gespart. Und die nächsten Trades sind schon in der Pipeline.

Ende März soll es um Daimler-Aktien im Wert von hunderten Millionen Euro gehen, kurz darauf Beiersdorf. Im April: Henkel, Merck, Münchener Rück und so weiter. Mit den Aktien fast aller deutschen Großkonzerne laufen Cum/Cum-Geschäfte. Durch Transaktionen mit der teilverstaatlichten Commerzbank entgehen dem deutschen Staat in einem Jahr zweistellige Millionenbeträge.

Auffallend hohe Stimmrechte

Die Summe könnte sogar noch höher sein. Das ergibt eine Auswertung des deutschen Unternehmensregisters durch BR Recherche und BR Data. Demnach meldete die Commerzbank zwischen 2013 und 2015 rund 250 Mal Überschreitungen und/oder Unterschreitungen von Stimmrechtsanteilsschwellen bei deutschen Aktiengesellschaften, darunter Adidas, Siemens oder Deutsche Bank. Dabei zeigt sich über Jahre hinweg ein klares Muster: In rund 80 Prozent der Fälle, in denen Stimmrechtsanteile gemeldet wurden, geschah dies rund um die Auszahlung der Dividende. Experten bestätigten dem Bayerischen Rundfunk, dass dies ein Indiz für Cum/Cum-Geschäfte sei.

Zur Grafik

Unternehmen sind gesetzlich (WpHG §25a ) verpflichtet zu melden, wenn sie bestimmte Schwellenwerte der Stimmrechte (inkl. Optionen) an deutschen Aktiengesellschaften über- bzw. unterschreiten. Diese Meldungen wurden aus aus dem Unternehmensregister ausgelesen. Es zeigt sich: Die Commerzbank hat immer wieder kurz vor oder nach dem jeweiligen Dividendenstichtag mehr als 5% oder 10% der Stimmrechte erworben bzw. abgestoßen. Für diese ausgewählten Unternehmen werden alle Schwellenüberschreitungen des Stimmrechtsanteils der Commerzbank zwischen 2013 und 2015 dargestellt. Grau gefärbte Flächen beschreiben Zeiträume, in denen es keine Schwellenüberschreitungen gab - der Stimmrechtsanteil der Commerzbank also dauerhaft unter 5% betrug.

Zwei Beispiele

So lässt sich die Auswertung interpretieren, am Beispiel Adidas: Normalerweise ist die Commerzbank kein Großaktionär des Sportartikelherstellers. Doch am 7. Mai 2014 meldete die Bank bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), dass sie ab sofort 4,3 Prozent der Adidas-Stimmrechte besaß - unter Berücksichtigung von Optionen auf Aktien ergab sich sogar ein Anteil von über 8 Prozent. Auf einmal gehörte die Commerzbank zu den wichtigsten Adidas-Aktionären.

Nur wenige Tage nach der Stimmrechtsmitteilung schüttete Adidas seine Dividende aus. Bei Anteilen von über 4 Prozent hätte die Commerzbank rund 13,5 Millionen Euro erhalten. Doch am 20. Mai - kurz nach dem Dividendentermin - schrumpfte der Commerzbank-Anteil an Adidas wieder erheblich zusammen. Ein Hinweis auf ein Cum/Cum-Geschäft? Sollte dem so gewesen sein, hätte der deutsche Staat allein durch diesen Deal rund 2 Millionen Euro Steuergeld verloren.

Noch ein Beispiel: Siemens, 2015. Wieder taucht die Commerzbank pünktlich zum Dividendenstichtag als Großaktionär auf und verschwindet danach wieder. Falls es sich um einen Cum/Cum-Deal in dieser Größenordnung handelte, könnten dem Staat 16,2 Millionen Euro Steuer entgangen sein.

Was unternahm die Bundesregierung?

Das Pikante an den Cum/Cum-Aktivitäten der Commerzbank: Der größte Aktionär des Instituts ist nach wie vor die Bundesrepublik Deutschland. Der Bund hält rund 15 Prozent am Unternehmen und schickt zwei Vertreter in den Aufsichtsrat. Experten bezweifeln, dass die Bundesregierung nichts von den juristisch fragwürdigen Geschäften gewusst hat.

"Ich gehe davon aus, dass der Bund als Großaktionär der Commerzbank darüber informiert ist, dass solche Geschäfte praktiziert werden. Und solange er nicht einschreitet, ist dies für mich ein klares Signal auch an die Bank, dass offensichtlich der Bund und auch der Bundesfinanzminister diese Geschäfte nicht missbilligen."

Klaus Nieding, Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz

Sind diese Zweifel berechtigt? Das Bundesfinanzministerium lehnt unsere Interviewanfragen zum Thema Cum/Cum-Transaktionen ab. Mit Blick auf mögliche Aktivitäten der Commerzbank in diesem Bereich antwortet ein Sprecher schriftlich:

"Wir erwarten, dass sich die Commerzbank AG an alle geltenden rechtlichen Vorgaben hält."

Sprecher des Bundesfinanzministeriums

Rechercheteam

Die Recherche ist eine Kooperation des Bayerischen Rundfunks (BR Recherche / ARD-Politmagazin report München) mit dem New Yorker Recherchebüro ProPublica (Cezary Podkul), der Washington Post (Allan Sloan) und dem Handelsblatt (Sönke Iwersen und Volker Votsmeier).


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Kommentieren

Georg Heinrich, Freitag, 06.Mai 2016, 10:18 Uhr

5. Damalige Entlassung von Finanzbeamten

In jenen Tagen, als Herr Koch Ministerpräsident war, wurden drei Finanzbeamte entlassen. Ein Vierter konnte sich dem entziehen in dem er behauptete er könne sich an nichts erinnern. Darauf wurde dieser als gesund erklärt, die anderen drei als krank. Der Arzt, der so urteilte wurde dafür bestraft. Aber mehr darf keiner wissen. Waren die Drei gerade bei der Commerzbank am prüfen? Dann muss man sich sich den Rest wohl denken.

Kündinger, Dienstag, 03.Mai 2016, 11:34 Uhr

4. Cum/Ex-Geschäfte Commerzbank

Diese " vermeintliche " Gesetzeslücke ist den deutschen Finanzministern, beginnend mit Hans Eichel, der bis 2005 Finanzminister war, nachfolgend Peer Steinbrück und auch Wolfgang Schäuble hinreichend bekannt. Alle drei Finanzminister wurden von den Reportern auf diese Situation und den damit einhergehenden Steuerverlusten angesprochen und aufmerksam gemacht. Keiner hat reagiert. Schäuble will " jetzt 2016 " einen Gesetzesentwurf vorlegen, wonach diese Lücke geschlossen werden soll. 12 Jahre nach Bekanntwerden. Wann werden Politiker eigentlich für ihr Unterlassen und den damit entstehenden Schäden verantwortlich gemacht ???

Christof, Dienstag, 03.Mai 2016, 11:17 Uhr

3. unser System

Immer häufiger ist es die Presse, die derartiges aufzeigt. Verzocken sich "Systemrelevante" helfen Staat und Profiteure. Man sollte doch erwarten dürfen, dass unsere rechtlichen Voraussetzungen derartiges erst gar nicht erlauben. Aber warum sonst dominiert der virtuelle Markt schon längst gegenüber dem Realmarkt.

Wen wundert es da noch wenn immer mehr "Normalbürger" zum Protestwähler werden? Wer glaubt denn da noch daran, dass ein erfolgreiches Unternehmen "seriös" zum Erfolg kommt. "Finanzkrise; mittelfristiger Sozialleistungsabbau; Vermögenskonzentrationen; Preisabsprachen; Panama Papers ..." Allein unser Steuerrecht ist doch schon so aufgebaut, dass solche Machenschaften funktionieren können. Hinter diesen Schlagwörter steckt doch grundsätzlich das Versagen unser eingesetzten, immer sehr gut abgesicherten Führungspersönlichkeiten. Es wäre schön, wenn Verantwortung mal wirklich zur Verantwortung gezogen wird. Aber sobald zwei im selben Boot sitzen gibt es für diese keine Risiken mehr! Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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Bernhard, Dienstag, 03.Mai 2016, 10:42 Uhr

2. Sehr gute Arbeit, Danke

Habe heute früh im Auto nochmals bei BR 5 vieles gehört, was einem Normalbürger so ja nicht klar ist.
Nun liegt wohl der Ball beim Finanzministerium.
Aber wie heisst es so schön. Irgendwann kommt die Wahrheit (fast) immer auf denTisch.

Der Ding, Dienstag, 03.Mai 2016, 10:03 Uhr

1. Sehr schön!

Super Recherche-Stück! Noch besser hätte ich es gefunden, wenn die Animation, die erklärt wie Cum/Cum-Geschäfte funktionieren, direkt in diesem Artikel liegen würde, statt hinter einem Link "versteckt" zu sein.