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Frustrierte Bürger hetzen gegen Flüchtlinge im Netz

Von: Silke Droll

Stand: 14.01.2015 | Archiv

Illustration: Mann am Computer, im Hintergrund Facebookseite mit rechtsextremen Kommentaren | Bild: colourbox.com; Montage: BR

"Macht Dachau auf", "Raus mit dem Pack", "Sprengt die Turnhalle" - "aber erst wenns drin san". So lauten Kommentare auf Facebook zu Asylthemen in Niederbayern, zum Beispiel in der Gruppe "Asylflut stoppen - auch in Niederbayern" mit 3.087 "Gefällt mir"-Angaben. Besonders beliebte Postings sind Artikel der rechtsextremen Partei "Der Dritte Weg". Abschätzig wird stets von "Asylanten" gesprochen. Dort, aber auch in scheinbar unverfänglichen Gruppen, wie "Spotted Pocking" und "Du bist aus Passau, wenn ..." wird mit ausländerfeindlichen und extrem rechten Äußerungen gehetzt. Zwei weitere Gruppen mit solchen Kommentaren namens BSA-Freyung Grafenau (BSA = Bürger stehen auf) und Bürgerinitiative Bayerischer Wald existieren mittlerweile nicht mehr. Die Hassrede gegen Flüchtlinge schockiert. Meistens schreiben Männer die schlimmsten Hetz-Kommentare, aber unter den "Gefällt mir"-Klickern sind auch viele Frauen.

Geldstrafe wegen Volksverhetzung

Nachtrag der Redaktion: Ein 25 Jahre alter Mann aus Tettenweis ist am Dienstag (28.07.15) vom Amtsgericht Passau zu einer Geldstrafe von 7.500 Euro wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Als auf Facebook um Sachspenden für Asylbewerber gebeten wurde, kommentierte er im November 2014 "I hätt nu a Gasflasche und a Handgranate rumliegen für des Gfrast. Lieferung frei Haus."

Gruppen-Administrator schreitet ein

Hinweis gegen extremes Gedankengut in der Facebook-Gruppe "Du kommst aus Passau, wenn ... "

In der beliebten Gruppe "Du kommst aus Passau, wenn ..." mit 5.930 Mitgliedern schob der Gruppen-Administrator der Welle von Hetz-Kommentaren über "schmarotzende Ausländer" gegen Flüchtlinge schließlich einen Riegel vor. Ganz oben ist in dem Forum jetzt folgender Hinweis fixiert: "Eigentlich dachten wir, dass es klar ist. Aber nach dem, was ich gerade löschen musste, möchte ich es noch mal klar sagen. Die Verbreitung von extremen Gedankengut (egal ob rechts, links, ....) führt unweigerlich zum Ausschluss aus dieser Gruppe. (...)."

Freyunger Landrat schaltet Polizei ein

Sebastian Gruber (CSU), Landrat von Freyung-Grafenau

In der mittlerweile geschlossenen Facebook-Seite "BSA-Freyung-Grafenau" gab es, wie zunächst die "Passauer Neue Presse" berichtete, Äußerungen, wie: "Ab nach Dachau mit denen. Ich heiz den Ofen schon mal vor." Der Freyunger CSU-Landrat Sebastian Gruber (33) war so entsetzt über seine Landkreis-Bürger, dass er persönlich die Polizei einschaltete und sich einen der Kommentatoren selbst vorknöpfte. Dabei stellte er ein großes Informationsdefizit über die realen Umstände von Asylbewerbern fest. "Gängige Fragen sind: Wieviel bekommt ein Asylbewerber? Werden dem Handys geschenkt?", sagt Gruber. (Beispiel: Ein alleinstehender erwachsener Asylbewerber, der einen eigenen Haushalt führt, erhält für Lebensmittel monatlich 142,49 Euro, Taschengeld in Höhe von 143 Euro sowie Unterkunft samt Nebenkosten, Bekleidung, Hausrat, Gesundheitspflege und Leistungen bei Krankheit als Sachleistung.) Es herrsche auch sehr viel Unklarheit über die verschiedenen Unterbringungsformen von Asylbewerbern. Wenn neue Unterkünfte eingerichtet werden, seien deshalb Informationsveranstaltungen wichtig, um offene Fragen zu beantworten. "Wir planen auch eine landkreisweite Postwurfsendung mit Infos zu den gängigsten Fragen zum Thema Asylbewerberunterbringung im Landkreis und allgemein, um in jeden Haushalt Infos zu transportieren", sagt Gruber.

Gegenwind von "Da Woid is bunt"

Die Gruppe "Da Woid is bunt" setzt sich für Integration und Vielfalt ein.

Ohne Gegenwind bleiben die Hass-Kommentare gegen Flüchtlinge auf Facebook in Niederbayern nicht. In den Kommentarleisten - zumindest außerhalb von eindeutig rechtspopulistischen Gruppen - schlägt den Facebook-Hetzern immer wieder die Fassungslosigkeit anderer User entgegen. "Ihr seit ja richtig rechts unterwegs. Des is ja der Wahnsinn. Wo bleibt euer Verstand", heißt es da etwa mitten in einem Kommentar-Strang voller Flüchtlingshetze. In der Facebook-Gruppe "Da Woid is bunt - für mehr Toleranz und Akzeptanz" mit 4.461 "Gefällt mir"-Angaben hat sich die Gegenbewegung organisiert. Nächste große Offline-Aktion: Eine Demo unter dem Motto "Niederbayern wehrt sich - Aufstehen gegen Rechts!" am 31. Januar in Passau. Auch Landrat Gruber ist froh, dass die Hetzer in der Minderheit sind. "Wir haben ein unwahrscheinlich hohes Engagement und viele Initiativen, die zur Integration der Asylbewerber dienen", sagt er.

Gibt es in Niederbayern nun mehr rechtspopulistische Hetzer als anderswo? Entladen die Niederbayern ihren Unmut über Flüchtlinge auf Facebook mehr als Bewohner anderer Regionen? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es ist unmöglich, alle Facebook-Kommentare aus Bayern zum Thema Flüchtlinge darauf zu überprüfen. Dem BR ist außerdem die rechtspopulistische Facebook-Gruppe "Bürgerinitiative Patrioten Mühldorf" aus Oberbayern aufgefallen. Möglicherweise gibt es auch aus anderen bayerischen Regionen ähnliche Flüchtlingshetze auf Facebook.

Aus Kommentaren spricht Sozialneid

Polizeibeamter hetzt gegen Flüchtlinge

Eine besonders erschütternde Entgleisung eines Polizisten aus Pocking (Lkr. Passau) auf Facebook folgte auf eine Frage in der Gruppe "Spotted Pocking", wie man ankommende Asylbewerber unterstützen kann. Eine Person hatte geschrieben: "Hallo, kann mir evtl. jemand sagen wann genau am Freitag die Asylanten in Pocking/Hartkirchen eintreffen werden, da ich diverse Willkommensgeschenke (...) zu verschenken hätte. danke". Darauf hagelt es Antworten, wie "Nein!", "Das isn Witz oder?" und "Brings in Tafel Pocking und ned dene" und Schlimmeres. Binnen weniger Sekunden folgt eine abfällige Bemerkung auf die andere, bis schließlich ausgerechnet ein Polizist schreibt:"I häd nu 60 Eintrittskarten fürs Onkelzkonzert mit Zugticket herzugeben. Aber ohne Rückfahrt. De erübrigt sich dann sowieso."

Tatsächlich spricht oft Sozialneid aus den verächtlichen Kommentaren zu Asylbewerbern. Kurz vor Weihnachten schreibt etwa ein User unter einen geposteten Artikel zu einem Gasthaus in Falkenstein (Lkr. Cham), das als Flüchtlingsunterkunft dienen soll: "So schöne Zimmer, wenn manche alte und kranke DEUTSCHE hätten." Zu einer Asylbewerberunterkunft in Poschetsried (Stadt Regen) schreibt ein User: "Und wer darf's bezahlen? Der ehrliche kleine deutsche Arbeitnehmer und Steuerzahler. Und wer darf den Lärm, die Belästigungen und die Straftaten aushalten? Die Anwohner. Und wer kümmert sich um deutsche Obdachlose, Familien, die bezahlbaren Wohnraum suchen, Alleinerziehende und um die Altersarmut? NIEMAND, denn Geld und Wohnraum brauchen wir ganz dringend für die lieben Wirtschaftsflüchtlinge und Asylbetrüger."
Auch Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl erklärt die Welle an Hass-Botschaften gegen Flüchtlinge in niederbayerischen Facebook-Gruppen - zumindest teilweise - mit eigenem Frust, Ängsten und Neid.

"Flüchtlinge stellen eine gute Projektionsfläche dar, einmal für Ängste, aber auch wenn man den eigenen Frust loswerden will. Das ist ein Gegenüber, bei dem es gewisse Hindernisse gibt, in Kontakt zu treten. Das können sprachliche Barrieren oder Bedenken bezüglich kultureller Unterschiede sein. Und immer wenn ich mit Menschen nicht so einfach in Kontakt treten kann, ist es leichter, mir Vorurteile über diese Menschen zu bilden und sie als Projektionsfläche für meine eigenen Ängste, Frustrationen oder Neidgefühle zu nutzen."

Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl

Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl

Die promovierte Politikwissenschaftlerin und Soziologin leitet die Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München und beobachtet aufmerksam die aktuelle Entwicklung zu rechtsextremen Tendenzen. Gerade im Internet würden sich viele Menschen leichtfertig zu extremen Aussagen hinreißen lassen, während sie sich im echten Leben oft als brave Bürger geben. "Selbst am Stammtisch werden nicht alle die Parolen erzählen, die sie jetzt im Netz einfach mal so verbreiten", sagt Heigl. Im Interview erklärt sie den neuen Rechtsextremismus rund um Sozialneid, Islamfeindlichkeit und dem populistischen Etikett "Armutsflüchtlinge".

Volksverhetzung oder Meinungsfreiheit?

Ausländerfeindliche Kommentare in der Facebook-Gruppe "Asylflut stoppen - auch in Niederbayern" (Anklicken zum Vergrößern)

So moralisch abstoßend viele der Hass-Kommentare gegen Flüchtlinge auf Facebook erscheinen, strafrechtlich relevant sind sie trotzdem oft nicht. "Einige dieser Äußerungen kann man ziemlich unproblematisch dem Tatbestand der Volksverhetzung zuordnen", sagt Strafrechtsexperte Dr. Jochen Bung von der Universität Passau. Bei vielen anderen Äußerungen ist eine strafrechtliche Verfolgung aber schwierig, weil sie laut dem Gesetz nicht als Volksverhetzung gelten. Oft wiege das im Grundgesetz verankerte Recht auf Meinungsfreiheit mehr, sagt der Jura-Professor. Viele der jüngsten Hetz-Kommentare wurden bei der Polizei wegen des Verdachts auf Volksverhetzung angezeigt und liegen nun der Staatsanwaltschaft Passau vor.

Facebook verbietet rassistische Kommentare

Auch auf Facebook sind laut den Richtlinien des Unternehmens rassistische und volksverhetzende Kommentare nicht erlaubt. "User können solche Kommentare melden. Außerdem überprüft ein Facebook-Team von sich aus Kommentare und die Kommentare werden auch mit Algorithmen danach durchsucht, ob sie eventuell unseren Richtlinien widersprechen. Auch die Nutzer sind hier in der Verantwortung und können diese Kommentare melden", sagt ein Facebook-Sprecher. Das Verbot ist eindeutig, die Umsetzung aber offenbar schwierig. Hass-Botschaften finden sich auf Facebook auch noch Tage und Wochen nach der Veröffentlichung. Der BR meldete bei Facebook mit einem privaten Profil als Test einen Kommentar: Unter dem Posting "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft" wünschte sich ein User "Bräuchten ein mit Österreichischen wurzeln". Die Entfernung des Kommentars wurde von Facebook abgelehnt.


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