Auf dem rechten Auge hellwach Back to the 90s
Dreimal wurde in den ostdeutschen Bundesländern unlängst gewählt, dreimal ist die rechtsextreme NPD durchgefallen. Ein Grund zur Freude, doch leider kein Grund zur Entwarnung. Es droht ein Rückfall in die 90er Jahre, als die Parlamente zwar nazifrei waren, die Abgeordneten dennoch Flüchtlingsrechte abschafften und der rassistische Mob gegen Asylbewerberheime und Häuser von Migranten wütete. Längst sind auch in Bayern Petitionen, Demos und Übergriffe gegen Flüchtlinge wieder an der Tagesordnung.
Von: Thies Marsen
Die NPD ist abgeschmiert. In Brandenburg war das zu erwarten gewesen, in Thüringen allerdings hatte sich die Neonazipartei durchaus Hoffnungen gemacht, die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Besonders bitter war die Niederlage in Sachsen zwei Wochen zuvor, wo die Partei nach zwei Legislaturperioden aus dem Landtag flog, schließlich war die Fraktion dort jahrelang das organisatorische und „intellektuelle“ Zentrum der NPD. Die Partei befindet sich zweifellos im Niedergang, was wohl weniger an ihrer Ideologie liegt, sondern eher an internen Intrigen.
Ein Grund zur Entwarnung? Leider nicht.
So manche politischen Inhalte der Neonazipartei, insbesondere Xenophobie und Hetze gegen Flüchtlinge, werden weiter im Landtag von Sachsen vertreten sein und neuerdings auch in Thüringen und Brandenburg – dank der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD). Auch wenn natürlich nicht jeder AfD-Wähler und auch nicht jeder Mandatsträger extrem rechts eingestellt ist, so tummelt sich in der Partei, die so viel Wert auf ihr bürgerliches Erscheinungsbild legt, doch allerhand unappetitliches Personal. Die AfD hat im Wahlkampf zudem rassistische Ressentiments bedient, hat gegen Flüchtlinge und Zuwanderer gehetzt – mit Erfolg.
Wettlauf um die rechten Wähler
Nun steht zu befürchten, dass der Erfolg der AfD das bewirken wird, was Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre der zeitweilige Erfolg der Republikaner (REP) bewirkte: Dass die etablierten Parteien, aus Angst vor Stimmverlusten, in den Wettstreit der Niedertracht eintreten werden.
Damals wies etwa die CDU-Parteispitze ihre Kreisverbände an, das Thema Asylbewerber gezielt auf die Agenda zu setzen. Jahrelang wurde gegen „Asylbetrüger“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ getrommelt, wurde das Bild vom Boot gezeichnet, das angeblich voll sei, wurden apokalyptische Visionen entworfen von Flüchtlingswellen und -fluten. Mit den bekannten Folgen: Das Asylrecht wurde bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Und Neonazis und andere Rassisten fühlten sich ermuntert, das auszuführen, was die sogenannte schweigende Mehrheit nur zu denken wagte: Flüchtlingsunterkünfte und Wohnhäuser von Einwanderern anzünden, Menschen jagen und ermorden. Und so manches Mal – in Hoyerswerda etwa, in Eisenhüttenstadt oder Rostock-Lichtenhagen – stand die schweigende Mehrheit daneben und applaudierte.
"Macht es wie in Rostock-Lichtenhagen"
20 Jahre später polemisieren auch sogenannte bürgerliche Politiker wieder gegen „Armutsflüchtlings“ und „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, sollen die Rechte von Flüchtlingen wieder beschnitten werden. Und NPD-Politiker, wie der Münchner Stadtrat Karl Richter, wittern trotz aller verlorenen Wahlen Morgenluft: Fast 20 Kundgebungen hat Richter seit Anfang August im Umfeld der ehemaligen Bayern-Kaserne im Münchner Norden veranstaltet, in der eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber untergebracht ist.
Lediglich einige junge Antifaschisten protestierten regelmäßig, ansonsten blieb der Widerstand gegen Richter mau. Noch schlimmer: Der Neonazi erhielt erstmals in München Beifall von Bürgern am Straßenrand für seine Hetzreden. Noch schlimmer die Reaktionen im Netz: „Macht es wie in Rostock Lichtenhagen“, fordert ein Kommentator auf Richters Facebook-Seite. Und ein anderer antwortet: „Das wird bald passieren.“
Zurück in die 90er
Es passiert längst: 130 Übergriffe und verbale Attacken auf Flüchtlinge zählte die Antifaschistische Informationsstelle aida 2010 bis 2014 in Bayern – bis hin zu Brandanschlägen, wie im vergangenen Januar in Germering westlich von München.
Noch gab es keine Toten, noch sind wir nicht zurück in den 1990er Jahren. Auch weil es in vielen bayerischen Orten engagierte Bürgerinnen und Bürger gibt, die Asylbewerber herzlich empfangen, ihnen Hilfe und Unterstützung anbieten. Von staatlicher Seite allerdings werden sie oft schmählich alleine gelassen. Die Flüchtlinge werden teils über Nacht in kleinen Dörfern einquartiert, in maroden Unterkünften, deren Besitzer lukrative Geschäfte auf Kosten von Flüchtlingen und Allgemeinheit machen.
Extremismus der Mitte
Die professionelle Betreuung der Asylbewerber ist meist mangelhaft. Ehrenamtliche, die helfen wollen, geraten schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Ist es völlig abwegig zu vermuten, dass diese Politik auch dazu dient, die Lage in den Gemeinden bewusst eskalieren zu lassen? Auf Kosten der Menschen, die dort leben ebenso wie auf Kosten der Menschen, die dort Schutz suchen vor Krieg, Armut und Gewalt? Schön, wenn Parteien wie die NPD nicht im Parlament sitzen. Doch Neonazis sind deshalb nicht aus der Welt. Und um rassistische Politik zu machen, braucht man ohnehin keine NPD, auch der „Extremismus der Mitte“ kann tödliche Folgen haben.