Sind runderneuerte Reifen gefährlich? Wie nachhaltig und sicher sind runderneuerte Reifen?
Hand aufs Herz: Würden Sie auch eher einen billigen Neureifen kaufen als einen gleich teuren runderneuerten Autoreifen? Obwohl der nachhaltiger ist? Der BAYERN 1 Umweltkommissar klärt, wie gut und sicher die Recycling-Reifen wirklich sind.
Sind runderneuerte Reifen schlechter?
Die Runderneuerung von Reifen war vor allem in den Nachkriegsjahren in der Bundesrepublik gang und gäbe. In der DDR war sogar bis zuletzt jeder zweite Reifen runderneuert, was aus der stofflichen Verknappung resultierte. Runderneuerungen von Altreifen wurden vor allem durchgeführt, um den täglichen Bedarf in der noch jungen Bundesrepublik überhaupt decken zu können. Damals sind jedoch Materialien und auch Verfahren zum Einsatz gekommen, die mit dem heutigen Stand der Technik nicht vergleichbar sind. Aber genau daraus resultieren wiederum die Vorurteile, die es bis heute gegenüber runderneuerten Reifen gibt.
Dabei ist im Nutzfahrzeugbereich, im Erdbewegungsmaschinenbereich, ja selbst im Motor-Rennsport die Runderneuerung völlig normal. Im Flugzeugbereich sind Runderneuerungen an der Tagesordnung. Flugzeugreifen werden bis zu fünf oder sechs Mal runderneuert. Runderneuerte Reifen kommen im Rennbereich zudem auch bei Geschwindigkeiten von über 300 Stundenkilometer zum Einsatz.
Wie werden runderneuerte Reifen hergestellt?
Das Profil auf der Lauffläche eines Reifens darf die Tiefe vom 1,6 Millimeter nicht unterschreiten, sonst darf ein Reifen nicht mehr verwendet werden. Vom Prinzip her macht der Runderneuerer nichts anderes, als die Laufflächengummierung sowie eine dünne Deckschicht im Flankenbereich wiederherzustellen, um eine optimale Optik zu gewährleisten und die Gummierung wieder auf das Niveau eines Neureifens zu bringen. Dazu werden Gummimischungen vergleichbarer Qualität verwendet. Es kommen auch Mehrschichtverfahren zum Einsatz, um den Rollwiderstand des Reifens zu optimieren. Im Laufflächenoberbereich wird eine Nutzmischung aufgebracht, die so oder so ähnlich auch in der Neureifenindustrie verwendet wird. So dass eben auch in Bezug auf Rundlauf und Fahrverhalten keine Einschränkungen hingenommen werden müssen.
"Bei Runderneuerung von Reifen wird die Lauffläche, das ist der Bereich, wo das Profil drin ist, abgerieben, abgeschliffen, und dann wird das, was übrig bleibt, sehr aufwändig auf Beschädigungen geprüft. Und wenn die Karkasse einwandfrei ist, wird ein neuer Gummi aufgebracht und dann kommt der Reifen in einen Ofen, wird vulkanisiert und bekommt sein neues Profil."
Thomas Schwarz von der Fahrzeugtechnik des ADAC Südbayern
Mittlerweile kommt dabei sehr viel Technik zum Einsatz, was das Verfahren für den Betrieb auch entsprechend kostenintensiv macht. Es werden beispielsweise modernste Technologien wie die Cherografie, Druckprüfung, zum Teil auch Röntgenverfahren oder Nagellochdetektoren eingesetzt, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Dieser Aufwand hat Folgen für das Geschäft, sagt Michael Schwämmlein vom BVR, der auch als Technischer Sekretär des europäischen Runderneuerungsverbandes BIPAVER tätig ist:
"Die finanziellen Aufwendungen, um einen professionellen Runderneuerungsbetrieb zu betreiben, haben so stark zugenommen, dass wir massive Einbußen in ganz Europa zu verzeichnen haben. So dass die Marktanteile im runderneuerten Bereich, was den Reifenersatzmarkt im PKW-Bereich angeht, sicherlich deutlich unter ein Prozent liegen."
Michael Schwämmlein vom Bundesverband Reifenhandel/ BVR, und Technischer Sekretär des europäischen Runderneuerungsverbandes BIPAVER
In Deutschland werden Pkw-Reifen noch in den Werken der Firma "Rigdon GmbH" in Günzburg sowie von "Reifen Hinghaus" in Dissen (Niedersachsen) runderneuert.
Wann ist ein Reifen neu und wann sollte man Winterreifen ersetzen? Das lesen Sie zusammen mit vielen weiteren Infos in unserem Artikel "Tipps zur Einlagerung Ihrer Sommerreifen".
Die Karkasse – das entscheidende Reifengerüst
Basis einer jeden Runderneuerung, unabhängig vom Reifensegment und der Reifengattung, ist immer der abgefahrene Reifen, die sogenannte Karkasse. Die Karkasse ist sozusagen das tragende Gerüst in Gummireifen.
Die Reifenkarkasse ist das Herzstück. In der Karkasse ist der Wulstkern enthalten, also der Bereich, wo der Reifen auf der Felge sitzt. Sie ist somit die direkte Verbindung von Fahrzeug und Straßenbelag. Neben der Seitenwand und den Gewebelagen aus unterschiedlichen Materialien sind in der Karkasse auch noch die Gürtellagen, die in unterschiedlichen Winkeln verbaut sind, enthalten. Ziel ist es, dem Auto auch bei hohen Geschwindigkeiten und außerordentlichen Fahrmanövern ein Höchstmaß an Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Jeder Reifenhersteller hat für seine Karkassen natürlich ein eigenes "Rezept" und deshalb hat Thomas Schwarz vom ADAC auch gewisse Bedenken:
"Mir kann's als Kunde passieren, dass ich am Ende Karkassen von vier verschiedenen Reifenherstellern am Auto habe, die von außen alle gleich ausschauen, aber ein unterschiedliches Fahrverhalten an den Tag legen können."
Thomas Schwarz von der Fahrzeugtechnik des ADAC Südbayern
Das Problem ließe sich beispielsweise dadurch lösen, dass die Hersteller ihre Karkassen mit einem Chip versehen und darauf die notwendigen Informationen für die Runderneuerer hinterlegen. Allerdings dürften sich die Hersteller nicht gerade darum reißen, die genaue Zusammensetzung ihrer Karkasse preiszugeben.
Für Michael Schwämmlein vom Bundesverband Reifenhandel ist es dagegen viel wichtiger, dass die Tragstruktur des Reifens bereits in der Neureifenkonzeption auf eine Mehrleben-Strategie ausgelegt ist:
"Das heißt, wenn der Karkasse schon ein Potenzial mitgegeben wird, was die Verformung und die Einfederungszyklen angeht, sie also für ein zweites Leben ausgelegt ist, dann hat der Runderneuerer eine Grundlage, die so gut ist, dass man sagen kann, ein runderneuerter Reifen ist absolut mit einem Neureifenprodukt vergleichbar."
Michael Schwämmlein Bundesverband Reifenhandel und europäischer Runderneuerungsverband BIPAVER
Dabei ist im PKW-Bereich das Aufkommen an Altreifen so hoch, dass der Runderneurer jede Menge Auswahl hat, wenn es nur den Hauch eines Zweifels an der Qualität der Karkasse gibt.
Altreifen sind ein zunehmendes Umwelt-Problem
Allein in Deutschland fallen jedes Jahr knapp 60 Millionen Altreifen an. Das sind umgerechnet gut 600.000 Tonnen Material, das gesammelt und auch gelagert werden muss. Die Wiederverwertungsmöglichkeiten haben sich zwar in den letzten Jahren vervielfacht, aber nur etwa gut die Hälfte der ausgedienten Reifen wird tatsächlich zum Beispiel zu Gummigranulat verarbeitet. Die Altreifen werden dabei so weit geschreddert, dass sich am Ende das Gummi von den Metall-Verstrebungen im Reifen durch ein Siebverfahren trennen lässt. Ein Großteil dieses Granulats wird später auf Sportplätzen zu Kunstrasen oder Laufbahnen verarbeitet. Aber auch als Dämpfer in Waschmaschinen, in Dämmmatten oder Strommasten findet sich das aufbereitetete Altreifen-Granulat wieder.
Es gibt bereits auch vielversprechende Versuche, Altreifen wieder in die ursprünglichen Komponenten zu zerlegen. Bei der sogenannten Pyrolyse können im thermochemischen Zersetzungsprozess bei bis zu 800 Grad wiederum Stahl, Ruß, Pech und Öl als Rohstoffe gewonnen werden. Allerdings ist das Verfahren noch sehr aufwändig und kostenintensiv und deshalb nicht wirtschaftlich.
Woran erkennt man runderneuerte Reifen?
Runderneuerte Reifen unterliegen nicht der Reifenlabel-Verpflichtung. Laut der EU-Verordnung über die Kennzeichnung von Reifen sind dagegen Hersteller von neuen PKW- sowie leichten und schweren Nutzfahrzeugreifen seit 2012 verpflichtet, für jedes ihrer Produkte eine Kraftstoffeffizienzklasse, wie auch die Nasshaftungsklasse und die Klasse des externen Rollgeräuschs anzugeben. Aber natürlich gibt es auch strenge gesetzliche Vorgaben für runderneuerte Reifen und auch international gültige Mindeststandards: Jeder Pkw-Reifen darf dabei nur einmal runderneuert werden. Zu erkennen sind recycelte Reifen durch die die (Economic Commission for Europe) ECE-Nummern 108 bei PKW- und 109 bei LKW-Reifen auf der Seite sowie - ähnlich den Eiern - einem Code für das Land, das die Zulassung erteilt hat. Für Deutschland ist das "E1" . Außerdem muss "runderneuert" oder "retread" mit dem jeweiligen Datum der Runderneuerung vermerkt sein. Reifengröße, Geschwindigkeitsklasse und Lastindex sind natürlich - wie bei herkömmlichen Reifen auch - ebenfalls angegeben.
Tests, die Autofahrer gern heranziehen, bevor sie sich einen Satz neuer Reifen kaufen, gibt es bei runderneuerten Reifen kaum. Das gibt auch Thomas Schwarz vom ADAC Südbayern zu:
"Der ADAC hat mit runderneuerten Reifen nur sehr wenig Tests gemacht, weil der Markt die runderneuerten Reifen nicht annimmt."
Thomas Schwarz von der Fahrzeugtechnik des ADAC Südbayern
Das ist natürlich einerseits nachvollziehbar, andererseits haben Autofahrer dadurch wenig bis gar keine Chance, das Fahrverhalten in Relation zum Preis mit anderen Anbietern zu vergleichen. Michael Schwämmlein vom BVR kann auch nur auf interne Tests des Runderneuerers "Reifen Hinghaus" aus dem niedersächsischen Dissen im Teutoburger Wald verweisen: "Und der erreicht hier sowohl beim Rollwiderstand als auch bei der Nasshaftung absolut vergleichbare Werte in diesen Bereichen, wie es auch ein Premium Neureifen erreicht."
Dann doch lieber die billigen, aber neuen Reifen
Ein großes Problem waren in den letzten Jahren die Billigreifen aus China, die den europäischen Markt überschwemmt haben. Runderneuerte Reifen sind zwar immer noch ein wenig günstiger, aber die Ersparnis ist für viele Autofahrer nicht kaufentscheidend, sagt Thomas Schwarz vom ADAC Südbayern. "Wir haben sehr viele Billig-Neureifen am Markt, wo sich dann auch der Preisvorteil wieder relativiert. Viele kaufen dann doch lieber das Neue, bevor sie was nehmen, wo sie die Geschichte nicht kennen."
In den niedrigen Zollgrößenbereichen lohnt sich der runderneuerte Reifen kaum noch. Deshalb konzentrieren sich die Runderneuerer meist auf die größeren Dimensionen, auf Winter- und Ganzjahresreifen oder den gemischten Einsatz von Straße und Off Road, so Schwämmlein, "wo die Neureifenpreise in einem Bereich liegen, dass der runderneuerte Reifen mit einer Ersparnis von 40 bis 60 Prozent wirklich konkurrenzfähig ist."
Es gibt eine Zukunft für runderneuerte Reifen
Das schlechte Image von runderneuerten Reifen in weiten Teilen der Bevölkerung ist das eine Problem, allerdings könnte auch die öffentliche Hand sich deutlicher positionieren. Zum Beispiel sind bei Ausschreibungen der Polizei runderneuerte Reifen grundsätzlich ausgeschlossen, obwohl Sicherheits- oder Qualitätsstandards hierbei keine Rolle spielen dürften.
Gerade im Nutzfahrzeug- und Transportgewerbe ist der Einsatz von runderneuerten Reifen noch ausbaufähig.
"Im LKW-Bereich sparen Sie bei einem schweren LKW-Reifen etwa 50 Kilo Altmaterial ein und eine erhebliche Menge an CO2-Aufwendungen in der Produktion. Der Altreifenberg wächst. Die Frage ist, wie lange können wir es uns leisten so weiterzuarbeiten, wo wir doch die Möglichkeit hätten, einen Quick-Win zu erzeugen."
Michael Schwämmlein Bundesverband Reifenhandel und europäischer Runderneuerungsverband BIPAVER
Mit dem Programm "De-minimis" fördert der Bund zum Beispiel aus öffentlichen Mitteln auch den Umweltschutz in Unternehmen des Güterkraftverkehrs mit schweren Nutzfahrzeugen. Hier können dann auch Zuschüsse zu Investitionen in der runderneuerten Fahrzeugbereifung beantragt werden.
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