Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Beth Gibbons, Crumb, The Avett Brothers u. a.
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Beth Gibbons, einem Talking-Heads-Tirbutealbum, Crumb, The Avett Brothers, Sophia Jani & Teresa Allgaier, Schubsen, The Truffauts, Blitzen Trapper und Barry Adamson
V.A. – Everyone's Getting Involved: A Tribute to Talking Heads' Stop Making Sense
Zum 40. Jahrestag des legendären und von so manchen Kritiker:innen als bester Konzertfilm aller Zeiten bezeichneten Talking Heads-Klassikers "Stop making sense" ist der Film dieses Jahr in restaurierter Form wieder in die Kinos gekommen. Aber damit nicht genug – auch der Soundtrack dazu feiert seinen 40. Deshalb erscheint jetzt die Compilation "Everyone's Getting Involved: A Tribute to Talking Heads' Stop Making Sense" mit 16 superinteressanten Cover-Versionen. 40 Jahre nachdem David Byrne seinen kultigen Big Suit aus der Wäscherei geholt hat, um ihn an drei Abenden im Pantages Theatre in Hollywood zu tragen, ist nicht nur der Oversized-Anzug-Hype zurück, unterstützt von Luxuslabels wie Balenciaga oder Saint Laurent, sondern auch die Songs von damals sind wieder da. Unterschiedlichste KünstlerInnen haben hier Klassiker wie "Psycho Killer”, "Burning down the house" und "Once in a lifetime" gecovert. Das klingt manchmal etwas schockierend, wie im Fall von Miley Cyrus, die allzu offensichtlich versucht dem New Wave der Talking Heads ihre eigene, sehr gewöhnungsbedürftige Disco-Fox-Note aufzudrücken und manchmal auch einfach nur langweilig, wie die etwas unmotivierte, sehr brave Version von "Heaven" von The National. Aber, es gibt auch wirklich ganz grandiose Momente auf diesem Album. Zum Beispiel wenn The Cavemen, eine nigerianische Highlife-Band, "What a day that was" covert – und aufzeigt, von wem die Talking Heads inspiriert wurden, nämlich u.a. vom Afrobeat. Oder wenn The Linda Lindas aus "Found a job" einen wunderbaren Psychedelic Rock Knaller machen. Oder Kevin Abstract, auch bekannt als Mastermind des Hip Hop-Kollektivs Brockhampton "Once in a lifetime" zu einem sehr zeitgemäßen Song macht, Trap-Einflüsse inklusive. Die großen Pop-Namen wie Miley Cyrus, Lorde, The National oder Girl in Red sollen vermutlich für die Popularität der Compilation sorgen, die wirklich interessanten Versionen kommen aber von Él mató a un policía motorizada oder Chicano Batman feat. Money Mark. (7,8 von 10 Punkte)
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Burning Down the House
Beth Gibbons – Lives Outgrown
Keine 40 Jahre, aber dann doch 30 Jahre nach "Dummy", dem für das Genre Trip Hop so wichtigen Debüt von Portishead, veröffentlicht deren Sängerin Beth Gibbons ihr erstes Solo-Album "Lives Outgrown". Davor hatte es 2002 nur ein Album zusammen mit Rustin Man gegeben und 2014 Beth Gibbons Interpretationen von Góreckis Symphony of Sorrowful Songs. Und, nicht zu vergessen, 2022 ein Song zusammen mit Kendrik Lamar "Mother I Sober". Ein eher schmaler Veröffentlichungskatalog. Umso größer jetzt die Freude über "Lives Outgrown". Statt dem düsteren, geheimnisvollen Spirit von Portishead, überrascht uns Gibbons hier mit einem … Hauch Hoffnung. Songs wie das wirklich wunderschöne "Floating on the moment" begraben die Vergangenheit und feiern den Augenblick. Mit einer instrumentalen Opulenz, mit deepem, unglaublich soulfulen Kammer-Folk-Pop, der unter die Haut geht. Mit Streichern, Bläsern, Field Recordings und etlichen exotisch klingenden Instrumenten und Harmonien ("Rewind", "Beyond the Sun"). "Lives Outgrown" wär aber natürlich nichts ohne die faszinierende, unverkennbare Stimme von Beth Gibbons. Die Britin singt hier ungewohnt explizit von den Veränderungen in ihrem Leben ("Lost Changes"), den Abschieden und den Ängsten, aber auch den Sehnsüchten ("Whispering Love"). Entstanden sind diese zehn außergewöhnlichen Songs in den vergangenen zehn Jahren, produziert haben James Ford (u.a. The Last Dinner Party, Fontaines D.C.) und Lee Harris, der Schlagzeuger von Talk Talk. Und da Beth Gibbons nach wie vor eine sehr schüchterne Künstlerin ist, hat sie auch keine Interviews zum Album gegeben. Aber dem Zündfunk dafür ein Radio-Konzert geschenkt, aufgenommen am 11. Mai hier im Bayerischen Rundfunk, ohne Publikum! Ausgestrahlt wird das Konzert demnächst im Zündfunk bzw. Nachtmix. (8,5 von 10 Punkten)
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Reaching Out
Crumb – Amama (8)
Die New Yorker Band Crumb macht eine super charmante Mischung aus Dream-Pop, Psychedelia plus einem Hauch Jazz, luftig und leicht wie ein Tag in der Sommersonne, Sonnenbrand inklusive. Denn Crumb bzw. Frontfrau Lila Ramani besingt auch gern die Kehrseite der Medaille, besser gesagt des Tourlebens. Da geht es um eine vom Tourbus zerquetschte Schildkröte ("Crushxd"), die Einsamkeit auf Tour ("(Alone in) Brussels") oder Bettwanzen in schäbigen Motels ("The Bug"). Der Sehnsuchtssong und Titeltrack "Amama" ist der Großmutter von Sängerin Lila Ramani gewidmet, die am Anfang auch mit einer Whatsapp-Nachricht zu hören ist. Entstanden ist das Album mit Hilfe von Jonathan Rado von Foxygen, der auch schon so illustre Bands wie The Killers, Father John Misty und Weyes Blood produziert hat. Und der aus dem neuen Crumb-Album ein wunderbar verschwurbeltes, sehr leichtfüßiges Psych-Pop-Album gemacht hat. (8 von 10 Punkte)
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Crumb - AMAMA [Official Video]
The Avett Brothers – The Avett Brothers
Seit 2009 produziert Studio-Legende Rick Rubin die Musik der Avett Brothers aus North Carolina. Und wie zu erwarten liefert das Alternative-Country-Quintett seitdem 1A-Alben ab. Was auch für ihre jüngste, schlicht "The Avett Brothers" betitelte Platte gilt. Schon der Opener "Never Apart" hat mich sofort. Nach einem kurzen, verträumten Acapella-Einstieg, sanften Streichern, geht's direkt hinein in einen künftigen Avett Brothers Klassiker. "Never Apart" hat alles, wofür die Fünf aus North Carolina so geschätzt, ja geliebt werden. Absolut schnörkelloses Songwriting, da sitzt jeder Akkord, ist kein Ton zu viel, gepaart mit einer Leichtigkeit, die auch vor schweren Themen nicht zurückschreckt. The Avett Brothers können einfach wunderschöne Balladen schreiben. Aber schon der nächste Song stellt wieder alles auf den Kopf. "Love of a Girl" ist ein Rock'n'Roll-Knaller, für den so manche junge Indie-Rock-Band ihr letztes Plektrum geben würde. Zwar bleibt es bei diesem einmaligen Ausflug in Rock-Gefilde, aber langweilig wird's in der nächsten halben Stunde trotzdem nicht. Nach allen Seiten hin offener Alternativ-Country, der doch ganz bei sich und seinen sympathischen Urhebern zu bleiben scheint. (7,9 von 10 Punkten)
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The Avett Brothers - Love of a Girl (2024 At The Beach)
Sophia Jani & Teresa Allgaier – Six Pieces for Solo Violin
Ganz ohne Stimme kommt das Album von Sophia Jani und Teresa Allgaier aus. Sophia Jani hat in Augsburg, München und Yale studiert und ist aktuell Composer-in-Residence beim Dallas Symphony Orchestra. Teresa Allgaier beschäftigt sich als Violinistin nicht nur mit zeitgenössischer Klassik, sondern auch mit experimenteller Popmusik und Elektronik. Ihr gemeinsames Album "Six Pieces for Solo Violin", mit sechs bzw. eigentlich sieben Stücken, hat Sophia Jani komponiert und Teresa Allgaier mit der Violine eingespielt. Aufgenommen in einer kleinen abgelegenen Kirche im Wald bei Nesselwang, einer Kirche mit dem schönen Namen Maria Trost. Ein Ort, der für Teresa Allgaier ein ganz besonderer Ort ist, weil ihr Vater dort auch Kirchenmusiker ist und sie die Kirche schon seit ihrer Kindheit kennt. Dort haben Sophia Jani und Teresa Allgaier dann versucht an die Grenzen der Klänge zu gehen, die für eine Violine möglich sind. So ist ein sehr reduziertes, sehr intensives Album entstanden. Musik, die gelassen beginnen und sich im Laufe eines Stückes in einen reißenden Fluss verwandeln kann ("Arpeggio"). Musik, die manchmal sehr repetitive Züge hat und dann an Minimal Music erinnert. Zeitgenössische Klassik, die sich auch als Soundtrack für nächtliche Exkursionen durch die Stadt, den Nachhauseweg vom Club eignet. (7,9 von 10 Punkten)
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Sophia Jani, Teresa Allgaier - Six Pieces for Solo Violin: II. Arpeggio
schubsen – Das Öffnen der Visiere
schubsen aus Nürnberg haben mit "Das Öffnen der Visiere" (Nach "Neue Blessuren", "Stühle rücken in Formationen" und der "Sprachfetzen EP") ihr viertes Album veröffentlicht. Ein Album mit tollen, kantigen Gitarren. schubsen werden nicht umsonst die "fränkischen Gang of Four" genannt. Und mit mindestens genauso tollen, fordernden Texten. Wie wär's dann auch noch mit den "fränkischen Fehlfarben"? Wie auch immer – das vierte schubsen-Album ist auf alle Fälle ein großer Wurf. Und das, obwohl es unter erschwerten Bedingungen entstanden ist, beinah überhaupt nicht entstanden wär. Zwei Bandmitglieder haben schubsen verlassen, was aber den Rest der Band, Sänger Robbie Krupar und Multi-Instrumentalist Friedrich Huschka, nicht davon abhalten konnte, ein neues Album aufzunehmen. Schließlich tun die Nürnberger nichts lieber als uns auf die Tanzfläche zu schubsen. Allerdings nicht ohne uns vorher noch ordentlich den Kopf zu verdrehen mit ihren wahnsinnigen Gedanken. Mein Post-Punk-Liebling der Woche: "Das Öffnen der Visiere" von schubsen. (7,7 von 10 Punkten)
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schubsen - Muss ich denn immer alles sein (Official Video)
Blitzen Trapper – 100's of 1000's, Millions of Billions
Auf dem neuen Album von Blitzen Trapper aus Portland, Oregon ist mir zuerst der Song "Cosmic Backseat education" aufgefallen. Sänger und Songschreiber Eric Earley über den Song: "Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind im Auto meiner Eltern auf dem Rücksitz lag und einfach nur Radio hörte, und ich glaube, dort hab ich das meiste gelernt, was ich in meinem Leben und in meiner Karriere gebraucht habe". Die Eltern von Eric Earley haben da offensichtlich die richtigen Sender gehört. Denn das neue Blitzen Trapper-Album "100's of 1000's, Millions of Billions" beglückt uns mit ausgefeilter Americana, Songs irgendwo zwischen Tom Petty und Wilco, zwischen Lo-Fi und Psychedelic. Aber nicht nur die Klänge aus dem Radio haben Earley beeinflusst, er hat sich in den vergangenen Jahren auch viel mit buddhistischen Texten und Meditation beschäftigt. Daher auch der Titel "100's of 1000's, Millions of Billions" – ein Zitat aus den Mahayana-Sutren, das heißen soll: "Die Wesen, mit denen wir leben und die wir lieben, sind seit Hunderttausenden von Jahren bei uns, seit Millionen oder Milliarden von Lebensjahren." Ommm … (7,8 von 10 Punkten)
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THE TRUFFAUTS: "Conundrum" vom neuen Album "Refrain". (VÖ: 17. Mai 2024)
Barry Adamson – Cut to Black
Ein formidabler Begleiter für nächtliche Exkursionen, wenn sich Realität und Traum treffen, ist der Brite Barry Adamson. Adamson, der schon Bassist bei Magazine, Birthday Party und Nick Cave and the Bad Seeds war und als gefragter Filmmusikkomponist u.a. am Soundtrack zu David Lynchs "Lost Highway" mitgearbeitet hat, weiß wie "Mystery" geht. Auf "Cut to Black" stehen ruhige Blues-Töne neben ebenso anachronistischen Soul-Krachern und funky Gospel-Stompern, die auch auf Daptone Records hätten erscheinen können. Die aber für die perfekte Zeitreise eine Spur zu glatt, zu sauber produziert sind. Barry Adamson blickt aber nicht nur musikalisch zurück, gleich der Opener beamt uns ins Jahr 1964, in jenes Motel in Los Angeles, in dem die Soul-Legende Sam Cooke unter nie ganz geklärten Umständen erschossen wurde. Und es geht sogar noch weiter zurück, wenn wir Barry Adamson dabei zuhören, wie er mit dem alten Aberglauben spielt, der Blues sei die Musik des Teufels. Aber leider bleibt es eben nur beim Spielen, fehlt hier das Quentchen hell, der Schmutz, die Dunkelheit, die aus "Cut to Black" ein mich wirklich überzeugendes Album gemacht hätten. (6,5 von 10 Punkten)
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Barry Adamson - Cut To Black (Official Audio)
The Truffauts – Refrain
The Truffauts (ebenfalls aus Nürnberg) machen jetzt schon seit 1986 toujours eingängigen und gleichzeitig immer angenehm unfertigen Indie-Pop mit Sixties- und Chansoneinschlag. Letzterer ploppt natürlich immer dann besonders auf, wenn bei den Truffauts französisch gesungen wird. Schließlich war ihre Liebe zu Frankreich, zum französischen Film und hier vor allem zum Regisseur Francois Truffaut der Grund, warum sie sich The Truffauts genannt haben. (7,4 von 10 Punkten)
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THE TRUFFAUTS: "Conundrum" vom neuen Album "Refrain". (VÖ: 17. Mai 2024)