Neuerscheinungen der Woche Neue Platten von Johnny Cash, Loma und James Blake & Lil Yachty
Unsere Neuerscheinungen der Woche im Überblick. Mit Johnny Cash, Loma, The Folk Implosion, Beatsteaks, Kafvka, Channel Tres, Nathaniel Rateliff, James Blake & Lil Yachty und Conny Frischauf
Beatsteaks – Please
Mit ihrem neunten Album “Please” liefern die Beatsteaks aus Berlin weiteres hochprofessionelles Material, um den Ruf als eine der besten Livebands des Landes zu verteidigen. Und an dieser Stelle wollen wir mal erwähnen, dass es absolut keine Selbstverständlichkeit ist, in diesem Business neun Alben aufzunehmen und immer noch so gut im Livegeschäft zu sein. “Please” ist ein heterogenes Kleinod an Songs, die vor allem live wieder sehr gut funktionieren dürften. Und zwar auch aktuell in den Jugendzentren im Osten, die sie gerade bespielen und auch noch weiter betouren werden. Ein starkes Signal für mehr Demokratie wollen sie damit setzen. Für das neue Album “Please” haben die Beatsteaks den Produzenten gewechselt: Von Moses Schneider hin zu Olaf Opal, dem Produzenten von The Notwist: "Wo Moses die große Kompression ist, ist Olaf der große Raum. Vielleicht ist das der Unterschied. Wir mochten Olafs Arbeit total. Er hat ja seit „Neon Golden“ alle Notwist-Alben produziert und hat auch International Music und Friends of Gas – auch eine bayerische Band – fanden wir alles gut. Wann, wenn nicht jetzt, Olaf fragen“, erzählt Thomas Götz im Zündfunk-Interview. (7,1 von 10 Punkten)
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Dead Man
Kafvka - Kaputt
Depression, Pandemie, Rechtsruck - das sind die Vorzeichen, unter denen das Post-Lockdown-Album “Kaputt” entstanden ist, das vierte von der Band um Songschreiber und Sänger Jonas Kakoschke. Er ist auch Mitbegründer der Seebrücke, die sich für sichere Fluchtwege einsetzen. Kafvka waren bei der Gründung keine rein politische Band. Auf “Kaputt” wollen sie die politischen Parolen ein wenig zurückfahren, trotzdem sind immer in Sichtweite: „Wir haben uns bei diesem Album die Freiheit genommen, nicht nur über die großen Parolen zu kommunizieren und auch nicht nur über die großen politischen Themen zu sprechen, sondern auch was macht das mit einem Menschen, der sich bewusst ist, dass es soviele Ungerechtigkeiten auf der Welt gibt“, sagt Jonas Kakoschke. Kafvka sind für mich wie Kraftklub ohne die Befindlichkeit, die Ärzte mit Mut zu Beats, Ton Steine Scherben als Rap-Band. Jede Zeile auf “Kaputt” positioniert sich politisch und gesellschaftlich - so wichtig das ist, ist es auf Albumlänge nicht unanstrengend, denn die Lyricwalze killt schnell mal jede aufkeimende Melodie. Kafvka wollen hier zu viel. (6,8 von 10 Punkten)
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KAFVKA & Team Scheisse – Geburtstag (offizielles Video)
Channel Tres – Head Rush
Irgendwie komisch, dass der Produzent, Sänger und Rapper Channel Tres aus Compton, LA jetzt erst sein Debütalbum veröffentlicht. Gefühlt schwirren schon unzählige Beatmonster-Alben seit Jahren rum, aber das waren tatsächlich immer EPs, die den Hype um den Techno-Rapper am Leben gehalten haben. Jetzt erscheint mit “Head Rush” das Debüt und die erste Single daraus war eine Hommage an das Berliner Berghain - für mich leider einer der schlechtesten Songs auf dem Debüt. Interessant wird es auf “Head Rush”, wenn seine sexpositiven Songs ohne Klischees auskommen oder wenn wir Gäste wie Toro Y Moi oder Estelle hören. Aber insgesamt bleibt der Eindruck, dass es hier sehr viel braver zugeht als zuletzt auf Singles und EPs von Channel Tres. Das ist schade, aber es wird den Hype am Ende, wenn überhaupt, nur bremsen. (7,5 von 10 Punkten)
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Channel Tres - Cactus Water (Official Video)
Nathaniel Rateliff & The Night Sweats – South Of Here
Wenn ich neue Songs von Nathaniel Rateliff höre, dann werde ich zuerst immer daran erinnert, dass der Produzent Richard Swift nicht mehr unter uns weilt. Rateliff und Swift waren in meinen Ohren ein kongeniales Team. Auf seinem neuen Album “South Of Here” geht es auch um die Themen Verlust, Liebe und Hoffnung. Musikalisch rückt Rateliff mit seiner Band, den Night Sweats, wieder einen Schritt näher an Springsteens E-Street-Band. Songs wie “Get Used To The Night” oder “Heartless” hätten sich auch gut auf “Darkness On The Edge Of Town” gemacht. Wir hören hier Material für das große amerikanische Songbook. Led Zeppelins Robert Plant sieht den ehemaligen Fabrikarbeiter Rateliff als einen Typen, der die Fackel des Rock ‘n’ Roll weitertragen wird. Ich persönlich weiß auch bei dieser durchaus retro-esken, formidablen Folk-Rock-Platte nicht, warum ich mir nicht doch die Originale, wie Crosby, Stills, Nash oder alte Springsteen-Platten, anhören soll. Für mich dann doch zu eklektisch. (6,8 von 10 Punkten)
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David and Goliath
The Folk Implosion – Walk Thru Me
Das erste gemeinsame Album seit 25 Jahren vom Duo The Folk Implosion, das sich in Anlehnung an Jon Spencers Blues Explosion einst so nannte. Lou Barlow, den wir auch von Dinosaur Jr. bzw. Sebadoh kennen, und John Davis haben sich während der Pandemie wieder angenähert. Was so eine erneute Brieffreundschaft alles heilen kann. Wir erinnern uns, Barlow nahm ja in den letzten Jahrzehnten mit The New Folk Implosion auf- ohne Davis, nachdem sie Anfang der Nuller Jahre ihr kleiner Hit “Natural One” mehr entzweit statt zusammengeschweißt hat. Der Song war durch den Soundtrack des Films “Kids” populär geworden. Die Songs auf “Walk Thru Me” haben weniger Hit-Potenzial, auch wenn einem der folky Sound des Duos sofort vertraut vorkommt. Bemerkenswert: die vielen Harmonien, die gesucht und gefunden werden. Passend auch zum Titel “Walk Thru Me” - geh durch mich hindurch. Hier sind zwei Dudes sehr happy, dass sie wieder eins sind. (7,0 von 10 Punkten)
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The Folk Implosion - My Little Lamb (Official Video)
Johnny Cash – Songwriter
„Spotlight“ heißt ein unveröffentlichter Song von Johnny Cash aus dem Jahr 1993, aufbereitet von seinem Sohn John Carter Cash und Teil der Neubearbeitung: Dan Auerbach von den Black Keys. Im Zündfunk-Interview erklärt Sohnemann Cash, aus welcher Schaffenszeit das Material kommt und warum er es gerade jetzt aufbereitet und veröffentlicht hat: „Es ist schwer zu sagen, was mein Vater mit dem Material vor hatte. Ob es ein Demo war oder eine Art Trainingseinheit. Sein Gesang und seine akustische Gitarre waren so kraftvoll und zeitlos wie immer. Wenig später hat mein Vater dann angefangen, mit Rick Rubin zu arbeiten. Zusammen haben sie neu definiert, wie in Johnny Cash-Song klingen kann: Reduziert, aber gleichzeitig voller Stil. Das war die Mission. Diese Aufnahmen zeigen den Ansatz, den Johnny Cash davor verfolgt hat. Deshalb wurden sie zur Seite gelegt. Dabei war die Herangehensweise an die Musik: Was würde Johnny Cash tun? Sprich: Ich habe alles vermieden, wovon mein Vater auch die Finger gelassen hätte. Kurz vor seinem Tod hatte er mir gesagt, dass ich beim Umgang mit seinem Nachlass, meinem Herzen folgen sollte. Das tue ich. Ich veröffentliche dieses Album jetzt, weil es sich richtig anfühlt und ich wenn ich es mir anhöre, denke ich mir, es hat funktioniert.“
Ich teile die Einschätzung von Johnny Carter Cash, dass das posthume Album im Sinne seines Vaters veröffentlicht wurde. Man hört ganz deutlich, wie sich das Material von dem unterscheidet, was Rick Rubin später aus Cash rausgeholt hat. Trotzdem wäre es eine Schande gewesen, wenn wir dieses Material nie zu hören bekommen hätten. Das Songwriting, das Storytelling sind gewohnt exzellent. Songs wie “Drive On” oder “Have You Ever Been To Little Rock” kommen mir unglaublich vertraut daher, als würden sie schon lange zum Cash-Kanon gehören. Leichenfledderei klingt anders - und trifft hier auf keinen Fall zu. (7,7 von 10 Punkten)
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Well Alright
Loma – How Will I Live Without A Body
Nachtmix-Kollege Ralf Summer hat die These aufgestellt, dass das Trio Loma die neuen Low sind. Ich ergänze seine These: die modernen Low. Denn das Trio Emily Cross, Dan Duszynski und Jonathan Meiburg (Shearwater) arbeiten für ihr drittes Album “How Will I Live Without A Body” mit einer KI zusammen, die ihnen Laurie Anderson zur Verfügung gestellt hat. Auch der Albumtitel kommt von der KI. Laurie Anderson, die Witwe von Lou Reed, hat eine KI mit ihrer Arbeit und Musik trainieren lassen. Die Band schickte Fotos, die KI antwortete mit Gedichten, die in zwei Songs (“How It Starts”, “Affinity”) mit eingebaut wurden. Um ehrlich zu sein: Ich habe das Album gehört, bevor ich von der KI wusste und habe keine Anwesenheit der Künstlichen Intelligenz gespürt. Die Texte fügen sich butterweich ins Oeuvre von Loma ein. Nur insgesamt empfinde ich ihr drittes Werk als weniger dringlich, wie die Vorgänger - ich würde daran aber nicht der KI die Schuld geben. Loma bleiben ein Ausnahmeprojekt, die hier auch einen Weg aufzeichnen, wie man kreativ - ohne Urheberrechtsgroll - mit KI in die Zukunft gehen kann. (8,2 von 10 Punkten)
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Loma - How It Starts (Official Video)
Conny Frischauf – Kenne Keine Töne
Die in Wien lebende Künstlerin Conny Frischauf lebt im Momentum, im Klang, im Noise, im Jetzt, sie ist zu langsam fürs Vergangene und zu schnell für die Zukunft. Der Sound von Frischauf ist herrlich artsy, nicht das nervige artsy-fartsy. Schwer auch mit Dagewesenen zu vergleichen. Ich habe lange überlegt, mit wem man sie in eine Schublade stecken kann: Krautrock? Elektronik aus Düsseldorf? Aber ich habe bis jetzt keine eindeutige Schublade gefunden. Ich weiß nur, dass mich solche Alben wie “Kenne keine Töne” faszinieren, weil ich nicht gleich Antworten darauf habe, irgendwie auch gar keine will. Conny Frischauf macht sprachlos, weil sie eine eigene Sprache spricht. Eine, die man lernen will und doch immer daran scheitern wird. (8,9 von 10 Punkten)
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Conny Frischauf - Nordwestwind (Official Video)
Lil Yachty & James Blake - Bad Cameo
Eine Bromance mündet schlussendlich in ein gemeinsames Album: Lily Yachty und James Blake machen für das Album “Bad Cameo” gemeinsame Sache. Alles begann auf Instagram, wo sich die beiden Herzchen hin und herschickten, dann machte sie ein gemeinsamer Freund bekannt. Es folgte ein Gast-Auftritt von Lil Yachty auf Blakes Tour. Und zack, jetzt hören wir ihr erstes Collabo-Album. Lil Yachty hat ja gerade für viel Kritikerlob gesorgt, da er sich weg vom Hip-Hop und Trap bewegt hat und stattdessen ein psychedelisches Rock-Album veröffentlicht hat. Auf “Bad Cameo” hören wir wieder keinen Rap und auch keinen Rock, tatsächlich eher Ambient und den für Blake typischen Autotune-Sound. Man könnte es „Melodic Ambient“ nennen. Wenn dann doch Beats einsetzen, dann musste ich tatsächlich an Radiohead denken bzw. eher an die Soloalben von Thom Yorke. War mir bisher nicht aufgefallen, wie nah Blakes Stimme dann doch an Thom Yorke dran ist. Das Album mit dem ironischen Titel “Bad Cameo” ist eines der besten Duo-Alben des Jahres. (9 von 10 Punkten)
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Lil Yachty & James Blake - BAD CAMEO (FULL ALBUM)