Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Róisín Murphy, mui zyu, Paul Weller u. a.

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Róisìn Murphy, Gastr del Sol, Malva, Paul Weller, Andrew Bird Trio, Girl and Girl, DIIV, La Luz, mui zyu und Machinedrum

Von: Katja Engelhardt

Stand: 23.05.2024 17:02 Uhr

mui zyu - Nothing or Something to die for | Bild: FATHER / DAUGHTER RECORDS / CARGO

La Luz – News of the Universe

Das fünfte Album von La Luz ist das erste, das sie auf dem ewig coolen Sub Pop Label veröffentlichen. "News of the Universe" folgt einer Losung der Science-Fiction Autorin Octavia E. Butler, die gesagt hat: "I was in a dream, but now I can see that change is the only law." Veränderung ist die einzige Konstante. Eine Metapher dafür sind auch die auf dem Album besungenen "Dandelions”, der Löwenzahn. Frontfrau und Kopf der Band Shana Cleveland beschreibt Löwenzahn als Sonnen beschreibt, die zu Monden werden – nämlich als weiße, runde Pusteblumen. Eine Betrachtung, die Dank der Synthesizer, die das Album durchziehen, direkt abenteuerlich und sphärisch klingt. Shana Cleveland hat wohl Trost in der Akzeptanz des ständigen Wandels gefunden, nachdem sie eine Brustkrebs-Diagnose erhalten hat. Ihr Herz müsse immer offen bleiben, singt sie. Auf dem Album klingt eine Verbundenheit mit der Welt durch. Produziert hat es Maryam Qudos, die gleich neues Bandmitglied geworden ist. An diesem Album haben nur Frauen mitgearbeitet, auch bei den Tonaufnahmen und beim Mastering. Laut La Luz hätte das das Album entschieden mitgeprägt und diese Offenheit erst ermöglicht. (8 von 10 Punkten)

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La Luz - Poppies (Official Audio) | Bild: La Luz (via YouTube)

La Luz - Poppies (Official Audio)

Paul Weller – 66

Nichts scheint so verlässlich in dieser Welt, wie dass Paul Weller weiterhin Alben veröffentlicht. Dreimal darf geraten werden, wieso das neue Album von Paul Weller "66" heißt? Weil die Brit-Legende 66. Geburtstag feiert. Mit "66" eröffnet er eine Soul Disco. Es darf geschwoft werden – mal heftig, mal langsam, zu schummerigem Licht. Und natürlich haben alle Songs auf dem bedeutungsschwanger betitelten Album etwas mit der Sichtweise auf die Welt zu tun, die der Brit-Veteran sich über sein Leben hinweg angeeignet hat und die auch als aktuell verstanden werden dürfen. So singt er etwa, es wäre schwer noch den Glauben zu bewahren, in einer Welt, in der aus Lügen Wahrheit wird – "keeping faith is getting hard to do, in a world where lies become the truth" ("In Full Flight"). So wundervoll smooth und elegant er wieder einmal klingt: Wenn es schon um die Welt von heute geht, würde mir so ein bisschen mehr Wut ganz gut gefallen. Paul Weller aber ist natürlich eher der spirituelle Typ. Mit 66 Jahren darf man schon mal so weise klingen – und nach einer derart respektablen Reise durch die britische Musiklandschaft, die er ja auch geprägt hat; natürlich als Teil von The Jam und dem Style Council und solo. Als wäre das nicht genug, hievt Paul Weller auf seinem 17. Solo-Album noch mehr Pop-Musikgeschichte drauf: Graham McPherson von Madness hat mitgeschrieben, auch Noel Gallagher und Bobby Gillespie waren bei den Aufnahmen in Wellers Black Barn Studio dabei. Das schreit danach, das Studio eines Tages zu einem Popmuseum werden zu lassen. Aber noch ist Paul Weller ja aktiv. Zum Glück. (7 von 10 Punkten)

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Rise Up Singing | Bild: Paul Weller - Topic (via YouTube)

Rise Up Singing

mui zyu – nothing or something to die for

Auf ihrem Debüt hat mui zyu ihre Identitätssuche verhandelt. Sie hat ihre Wurzeln in Hong Kong, lebt in London und analysiert nach der Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft jetzt nicht mehr ihr Inneres sondern auch das Äußere und streckt behutsam ihre Fühler aus. Ihr Album "nothing or something to die for" ist ruhiger als das Debüt, versinkt ab und an leicht im Dream-Pop, nur ums mit Störgeräuschen und Dissonanzen wieder aufzurütteln. An manchem Gitarrensolo lässt sich erahnen, dass mui zyu auch Teil eines Artrock-Trios ist. Filmreferenzen ploppen auch noch auf: Der Albumopener ist von der Eröffnungsszene der "Space Odyssee" inspiriert, genauso wurde sie von David Lynch beeindruckt. Aber keine Angst, mui zyu behält über Albumlänge hinweg alles spielend im Griff. (9 von 10 Punkten)

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mui zyu - the rules of what an earthling can be (Official Video) | Bild: muizyuVEVO (via YouTube)

mui zyu - the rules of what an earthling can be (Official Video)

Girl and Girl – Call A Doctor

Turbulenter geht es auf dem Debütalbum der australischen Girl and Girl zu, mit dem sie ein kleines Meisterwerk vollbracht haben. Auf "Call A Doctor" besingt Frontmann Kai James psychische Erkrankungen – Erfahrungen, die er selbst gemacht hat. Das formen die Vier so schmissig, smart und mit einem Augenzwinkern, dass James nicht zu einem Anschauungsobjekt verkommt und wir nicht zu Voyeuren. Produziert hat das Album Burke Reid, der auch etwa mit Courtney Barnett zusammengearbeitet hat – ebenso aus Australien, deren Alben ebenso von einem unmittelbaren Sound profitieren. Wobei Girl and Girl dringlicher klingen, einen theatralischen Touch haben. Der spiegelt wider, in welchen Labyrinthen der Frontmann sich gedanklich verloren hat. Man möchte Kai James und Girl and Girl erst zujubeln und dann ganz fest in den Arm nehmen. (8 von 10 Punkten)

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Girl and Girl - Hello (Official Video) | Bild: Girl and Girl (via YouTube)

Girl and Girl - Hello (Official Video)

Maschinedrum – 3FOR82

Der US-amerikanische Produzent Machinedrum versammelt auf seinem Album Rapper wie Mick Jenkins, Sängerinnen wie Tinashe und sein guter Freund Jesse Boykins III ist auch wieder mit von der Partie, genauso wie Poetin Aja Monet. Sie eröffnet das neue Album von Machinedrum mit Spoken Word darüber, dass man sich beim alleine Tanzen am besten kennenlernt und dann erst wirklich gut mit jemand anderem gemeinsam tanzen kann. Eine Metapher, die wunderbar für Kollaborationen funktioniert. Davon ist das Album "3FOR82" voll. Nur einen Solosong hat Machinedrum drauf gepackt. Nachdem er die Songs bis auf die Vocals fertig hatte, hätte er allen Kollaborateuren die Frage gestellt: "Wenn du dein jüngeres Ich besuchen könntest, was würdest du ihm sagen?" Das kitzelt eine emotionale Seite heraus und gibt Machinedrums elftem Studioalbum sowohl einen roten Faden als auch eine lyrische Weichheit, die dem Projekt sehr gut steht, mit Sounds zwischen Drum&Bass und jazzigen Noten. "3FOR82" erscheint beim lässigen Ninja Tune Label. (7 von 10 Punkten)

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ILIKEU | Bild: Machinedrum - Topic (via YouTube)

ILIKEU

DIIV – Frog in Boiling Water

Das in New York gegründete Quartett DIIV klingt auf seinem neuen Album schon arg bedeutungsschwanger. Und sie dimmen das Licht noch etwas weiter runter als auf dem Vorgänger. Es wird düsterer. "Frog in Boiling Water" – der Frosch im kochenden Wasser – dieser Metapher bedienen sich DIIV für den Titel ihres vierten Albums. Wenn ein Frosch in einem Topf mit Wasser säße, dass sich langsam erhitzt, bis es kocht – dann würde der Frosch sterben. Weil er die Veränderung kaum wahrnimmt. Eine grausame Aussicht, vor allem, wenn man sie auf uns Menschen bezieht – so wie DIIV es meinen. Auf ihrem Album beschreiben sie die modernen Widrigkeiten und Missstände, die wir kaum noch wahrnehmen, weil wir uns graduell an sie gewöhnt haben. Dabei sind sie oft abstrakt. Hinter dem passend finsteren Shoegaze-Hall ist manchmal nicht viel zu verstehen. DIIV bewegen sich im Postrock, zwischen Loops und Breakbeats – ein Weg, den sie auf ihrem letzten Album schon eingeschlagen sind. Wobei die Arbeit an diesem Album alles andere als einfach gewesen sein soll: Die Band hätte es fast auseinandergerissen, heißt es. Wobei Spannungen in der Band nicht Neues sind, auch wegen des Privatlebens von Sänger und Gitarrist Zachary Cole Smith, das immer wieder für kleine Schlagezeilen gesorgt hat. (8 von 10 Punkten)

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DIIV - "Frog In Boiling Water" (Official Visualizer) | Bild: DIIV (via YouTube)

DIIV - "Frog In Boiling Water" (Official Visualizer)

Malva – A Soft Seduction Daily

Die Münchnerin Malva besingt die Liebe in all ihren Facetten - die traurige, beendete, erträumte, unerwiderte oder nie so richtig begonnene. Das zweite Album "A Soft Seduction Daily" erscheint beim sympathischen Label Trikont. Wobei zu Malva noch jemand gehört: Quirin Felix – Produzent und Multiinstrumentalist, beide sind sie Anfang 20. Auf ihrem zweiten Album klingt Malva immer wieder lauter als bisher – da wird auf Englisch mit 00er Jahre Indie aus Großbritannien geflirtet. Und trotzdem – oder gerade deswegen – stechen die ruhigen Stücke heraus, auf denen sie sich auf Deutsch dem Chanson nähert und deren Texte poetischer sind und mehr Gewicht haben, als bei den Mitwipp-Indie-Songs. Anachronistisch ist das Album der Münchner Popmusikstipendiatin, auf dem Malva Gläser leert, sich das Glück ausmalt und Nächte irrlichternd zum Tag macht. Mir fehlen da ein bisschen die Kratzer im Lack. Auch wenn ich gern auf eine Albumlänge mit ihr am Tresen sitze. (6 von 10 Punkten)

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MALVA - ROMANCE WITH A MEMORY (feat. Jesper Munk) [Official Video] | Bild: Trikont Unsere Stimme (via YouTube)

MALVA - ROMANCE WITH A MEMORY (feat. Jesper Munk) [Official Video]

Andrew Bird Trio – Sunday Morning Put-On

Der Albumtitel "Sunday Morning Put On" klingt irreführender Weise wie eine Stimmungsplaylist – Songs, die man Sonntagmorgen auflegen soll. Dahinter steckt das neue Album von Andrew Bird und eine charmante Radio-Liebensgeschichte. In seinen 20ern hätte er regelmäßig sonntags im Radio eine ganz bestimme Blues-Sendung und eine Jazz-Sendung gehört – nun covert er Genre-Standards, mit dem Andrew Bird Trio. Spielen werden sie die unter anderem im "Green Mill", dem legendären Jazz Club in Chicago. Sie meinen es also ernst – Andrew Bird, Drummer Ted Poor und Bassist Alan Hampton. Eine klassische Ausbildung an der Violine hat Andrew Bird ja. Die setzt er gerne sehr kreativ ein und fehlt natürlich nicht. Vielleicht gönnt man dem sympathischen und Genre-umtriebigen Andrew Bird auch schlicht jeden Ausflug und jede neue Facette. Ich jedenfalls hätte nicht gedacht, dass mir das Album so viel Spaß machen könnte. Online findet man auch schon erste Sessions. Andrew Bird zuzuschauen macht noch mehr Spaß. (7 von 10 Punkten)

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Andrew Bird's Sunday Morning Put-On | Bild: andrewbirdmusic (via YouTube)

Andrew Bird's Sunday Morning Put-On

Gastr del Sol – We Have Dozens of Titles

Ihr letztes Album haben Jim O’Rourke and David Grubbs 1998 veröffentlicht. Sie haben zwar jeweils weiterhin Musik gemacht, aber nicht mehr als Gastr del Sol. Jetzt gibt es also ein neues Album, besser gesagt eine Art Sammlung: Auf "We Have Dozens of Titles" sind Stücke aus dem Archiv und Liveaufnahmen zusammengestellt. Wahrscheinlich wird dieses sehr spezielle Album leider kaum neue Fans generieren, zu wenig eingängig ist diese wilde Genre-Fusion, zu sehr ein Kleinod ist der Langspieler einer ohnehin schon schwer zu fassenden Band. Obwohl es viel zu entdecken gibt, kunstvolle Spannungsbögen geschlagen werden und Gesprächsfetzen eingeflochten werden, genauso wie Klänge aus dem öffentlichen Nahverkehr etwa – entrückt und charmant. Veröffentlicht wird das Album auf dem Chicagoer Label Drag City, auf dem Gastr del Sol schon zu aktiven Zeiten immer wieder zuhause waren. (7 von 10 Punkten)

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The Seasons Reverse (live) | Bild: Gastr del Sol - Topic (via YouTube)

The Seasons Reverse (live)

Róisìn Murphy – Hit Parade Remixes

Seit den 90ern füllt sie die Tanzflächen und formt den Elektropop - als Teil von Moloko und als Solokünstlerin. Ihr letztes Album hat die Irin mit dem Hamburger DJ Koze aufgenommen – Hit Parade heißt es, weil er wohl scherzhaft zu ihr meinte: Róisìn, ich bringe dich an die Spitze der Charts. Gebracht er sie auf jeden Fall an die Spitze der Zündfunk Albumcharts 2023. Jetzt kommt ein Remix Album heraus. Ganz neu ist das für Murphy nicht, immerhin gibt es auch zu ihrem Album "Róisìn Machine" einen Remix. Zu hören ist aus dem neuen "Hit Parade Remixes" bisher nur eine Vorab-Single. (keine Wertung)

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Róisín Murphy - 'The House (System Olympia Remix)' (Official Audio) | Bild: Róisín Murphy (via YouTube)

Róisín Murphy - 'The House (System Olympia Remix)' (Official Audio)