Das Thema Wende und Reise
Obwohl Vorgesetzte, Freunde und Familie heftige Bedenken anmelden, bittet Kleist im Anfang 1799 um seinen Abschied aus der Preußischen Armee.
Das Wendejahr 1800
Im April wird er entlassen, schon wenig später belegt er in Frankfurt an der Oder die Fächer Mathematik, Physik, Naturrecht, Kulturgeschichte und Latein. Im Frühjahr 1800 bricht er das Studium nach nur drei Semestern unvermittelt ab. Zwei Gründe scheinen ausschlaggebend: Zum einen schreckt Kleist vor der zwingend nötigen Entscheidung für ein konkret berufsqualifizierendes Weiterstudium zurück. Zum andern hegt er Ehepläne. Um seine heimliche Verlobte, die Generalstochter Wilhelmine von Zenge, heiraten zu können, braucht er eine feste Anstellung, einen Brotberuf, ein Amt. So will es Wilhelmine und anders ist das Einverständnis des Schwiegervaters auch gewiss nicht zu erlangen.
Ausflüchte und die "Würzburger Reise"
Kleist geht das Problem auf seine Weise an: Er verreist, taucht ab, verschafft sich Aufschub. Nach kurzem Aufenthalt in Berlin immatrikuliert er sich zunächst mit dem älteren Freund Ludwig von Brockes unter falschem Namen an der Universität Leipzig. Im September und Oktober brechen beide zu einer Fahrt auf, die als "Würzburger Reise" eines der vielen Lebensrätsel aufwirft. Über Ursachen und Zweck des zweimonatigen Aufenthalts in Würzburg wird in der Forschung und in der Kleistlegende ebenso genüsslich wie ergebnislos spekuliert. Suchte Kleist Kontakt zu Freimaurern? Wollte er eine Phimose, Impotenz oder ein anderes urologisches Problem behandeln lassen? War er gar in geheimer Mission als Spion unterwegs? Wenn ja, für wen und wozu? Fiktionen gibt zuhauf, Fakten fehlen. Als einzige Anhaltspunkte dienen Kleists Briefe an Wilhelmine, die das Geschehen aber nicht erhellen, sondern in ein schillerndes Dunkel tauchen: Kleist raunt von "unglaublichen Opfern", die das "Glück der Verlobten erkaufen", von den "Früchten einer Tat", für die er "sein Leben wagte", von einer "Sonne", die "bald über ihm und ihr aufgehen wird. Konkreteres ist nicht zu erfahren, und vielleicht ist diese Selbstmystifikation auch das eigentliche Reiseziel.